Andrew Soltis: Bobby Fischer Rediscovered (Schach)

Ein Schach-Genie im Spiegel seiner Partien

von Ralf Binnewirtz

Dem ame­ri­ka­ni­schen Gross­meis­ter und Schach­au­tor Andrew Sol­tis ist mit “Bobby Fischer Redis­co­vered”, einer nach 17 Jah­ren merk­lich ver­bes­ser­ten Zweit­auf­lage, ein beacht­li­cher Wurf gelungen.
Mit nun­mehr 107 her­aus­ra­gen­den und aus­ge­wo­gen kom­men­tier­ten Fischer-Par­tien sowie zahl­rei­chen infor­ma­ti­ven Text­bei­ga­ben, die Leben und Werk des legen­dä­ren Prot­ago­nis­ten erhel­len, ist diese Par­tie­aus­wahl ein unver­zicht­ba­rer Bestand­teil jeder ernst­haf­ten Fischer-Kollektion.

Bobby Fischer Rediscovered - Andrew Soltis - Batsford Chess - Cover - Glarean MagazinAuch nach dem Tode von Bobby Fischer im Jahre 2008 ist der ste­tige Strom der Publi­ka­tio­nen aller Art über die ame­ri­ka­ni­sche Schach­le­gende nicht ver­ebbt. Das aktu­ellste Pro­dukt die­ser anhal­ten­den Fas­zi­na­tion ist die rund­erneu­erte Zweit­auf­lage der Par­tie­se­lek­tion, die der US-Gross­meis­ter und renom­mierte Schach-Autor Andrew Sol­tis erst­mals 2003 vor­ge­legt hat. Die im Buch­ti­tel for­mu­lierte, auf den ers­ten Blick etwas kurios anmu­tende “Wie­der­ent­de­ckung Fischers” erklärte der Autor bereits 2003 damit, dass des­sen Par­tien nach drei Jahr­zehn­ten (ab Reykja­vik 1972 gerech­net) eine neue Betrach­tung und Bewer­tung mit fri­schem Blick ver­dient hät­ten. Schauen wir uns an, was wir von der im Unter­ti­tel so vor­ge­stell­ten “über­ar­bei­te­ten, ergänz­ten und neu ana­ly­sier­ten Auf­lage” 2020 erwar­ten dürfen.

Einblicke in Fischers Persönlichkeit

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In der Ein­lei­tung (“Author’s Note”) blickt Sol­tis u.a. zurück auf die per­sön­li­chen – mal mehr, mal weni­ger zufäl­li­gen – Begeg­nun­gen mit dem von ihm bewun­der­ten Schach­ge­nie in der US-Schach­szene. Hier­aus hat sich aller­dings nie eine dau­er­hafte Bekannt­schaft oder gar Freund­schaft ent­wi­ckelt (eine sol­che wurde bekannt­lich nur weni­gen Aus­er­wähl­ten zuteil). Eine ein­ma­lige Schnell­par­tie gegen Fischer (1971) ver­korkste Sol­tis in Gewinn­stel­lung zum Ver­lust, allzu sehr gelähmt von der domi­nan­ten Prä­senz sei­nes Gegenübers.
Diese kur­zen Tref­fen gewäh­ren bereits inter­es­sante Ein­bli­cke in Fischers Per­sön­lich­keit. Des Wei­te­ren geben die Ein­füh­run­gen zu den Par­tien einen infor­ma­ti­ven Über­blick auf den schach­li­chen Wer­de­gang Fischers, auf des­sen Vor­lie­ben, Vor­züge und Schwä­chen, auf seine fun­da­men­ta­len schach­li­chen Grund­sätze, die er in kurze Faust­re­geln zu fas­sen pflegte, und seine eröff­nungs­theo­re­ti­sche Vor­be­rei­tung. Es sind diese per­sön­lich gefärb­ten Aus­füh­run­gen des Autors, bis­wei­len ange­rei­chert mit his­to­ri­schen Bezü­gen und anek­do­ten­haf­ten Bege­ben­hei­ten, die eine beson­dere Stärke des Buchs aus­ma­chen und erheb­lich zum Lese­ver­gnü­gen bei­tra­gen. Und dazu, dass der Leser auch den Men­schen Bobby Fischer ein wenig kennenlernt.

No smoke, no drinks, no girls

Hierzu ein kur­zes Bei­spiel: Vor dem Inter­zo­nen­tur­nier Por­to­roz 1958 schrieb Fischer-Mut­ter Regina einen “ent­hül­len­den” Brief an den Jugo­sla­wi­schen Schach­ver­band, in dem sie kund­tat: “… He [Bobby] would not give simul­ta­neous exhi­bi­ti­ons or inter­views – and didn’t like jour­na­lists ‘who ask non-chess ques­ti­ons’ about his pri­vate life. She vol­un­tee­red to the Yugo­slavs that Fischer didn’t smoke, drink or date girls and ‘doesn’t know how to dance.’ But, she added, ‘He likes to swim, play ten­nis, ski, skate, etc.'” (S. 25)
Selbst­re­dend kann und soll das Buch nicht mit einer ech­ten Bio­gra­fie kon­kur­rie­ren, wie sie etwa Frank Brady ver­fasst hat.

Bobby Fischer Rediscovered - Andrew Soltis - Batsford Chess - Lesebeispiel - Glarean Magazin
Die “Jahr­hun­dert­par­tie” gegen Donald Byrne (8. Match­par­tie in New York 1956) mit Fischers legen­dä­rem Damen­op­fer, kom­men­tiert von Andrew Soltis

Wen­den wir uns dem Haupt­teil des Buches zu, den auf­ge­nom­me­nen Par­tien. Die 100 Games der Erst­auf­lage, in chro­no­lo­gi­scher Folge ange­ord­net, fin­den sich auch in der Neu­auf­lage wie­der: Sie umspan­nen die gesamte Schach­kar­riere Fischers von der “Jahr­hun­dert­par­tie” 1956 gegen D. Byrne bis zur 11. Match-Par­tie gegen Spas­ski in Sveti Ste­fan 1992. Nur etwa ein Vier­tel die­ser Par­tien ist auch in Fischers eige­nem Werk “Meine 60 denk­wür­di­gen Par­tien” ent­hal­ten. Neu hin­zu­ge­kom­men ist ein Epi­log mit 7 wei­te­ren Par­tien, die bis­lang “über­se­hen” wur­den bzw. nicht die ihnen gebüh­rende Auf­merk­sam­keit erfah­ren haben.


Exkurs: Die Partie Bobby Fischer vs Andrew Soltis

… aus dem Jahre 1971 ist viel­leicht kein Ruh­mes­blatt für Gross­meis­ter Sol­tis. Aber hey, der Geg­ner hiess Bobby Fischer…

(Mit­tels Maus­klick auf einen Zug oder eine Vari­ante öff­net sich ein Ana­lyse-Fens­ter, inklu­sive Down­load-Option als PGN-Datei)


Gute Balance zwischen Text und Varianten

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Sämt­li­che Par­tien wur­den von Sol­tis gründ­lich kom­men­tiert, ohne dass sich seine Ana­ly­sen in weit­läu­fige, unüber­sicht­li­che Ver­zwei­gun­gen von Vari­an­ten erge­hen. Dies und eine aus­ge­wo­gene Balance zwi­schen Text­kom­men­tie­rung und Vari­an­ten wird die grosse Mehr­heit der Leser­schaft zu schät­zen wis­sen. Die Ana­ly­sen wur­den für die Neu­auf­lage beträcht­lich über­ar­bei­tet, sie beru­hen teil­weise auf eige­nen Bemü­hun­gen, teils auf frem­den Vor­gän­ger­ana­ly­sen, was sicher­lich nicht kri­tik­wür­dig ist. Dies gilt auch für Sol­tis’ Ent­schei­dung, keine Ver­lust­par­tien Fischers auf­zu­neh­men, sowie nur wenige – dafür hoch­in­ter­es­sante – Remispartien.

Bobby Fischer und Mutter Regina - Melonen-Essen in Manhattan - Schach im Glarean Magazin
Teen­ager Bobby und Mut­ter Regina beim Melo­nen-Essen in Brook­lyn / New York

Die Mar­ken­zei­chen von Bobby Fischers Stil, das luzide Posi­ti­ons­spiel, die Fähig­keit, Vor­teile zu gene­rie­ren und diese gna­den­los zu ver­wer­ten, die tak­ti­sche Schlag­fer­tig­keit, all dies ver­knüpft mit einem unbän­di­gen Sie­ges­wil­len, schei­nen in all sei­nen gross­ar­ti­gen Par­tien auf. Dabei zeigt sich, dass Fischer ins­ge­samt nur sehr wenige Opfer­par­tien gespielt hat, auch wenn diese zu sei­nen bekann­tes­ten gehö­ren mögen.
Mit die­ser aus­ge­zeich­ne­ten Par­tie­aus­wahl dürf­ten nicht nur Fischer-Fans voll auf ihre Kos­ten kom­men. Ich kann die­ses Buch nur nach­hal­tig emp­feh­len – es dürfte die zweit­beste Par­tie­samm­lung zu Bobby Fischer sein, die beste stammt halt immer noch vom gros­sen Meis­ter selbst! ♦

Andrew Sol­tis: Bobby Fischer Redis­co­vered, 312 Sei­ten, Bats­ford, ISBN 978-1-84994-606-3 (engl.)

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Schach-Genies auch die Anek­do­ten aus der Welt des Schachs

… sowie zum Thema “Schach in der Zeit des Kal­ten Krie­ges” von Boris Gulko & Vik­tor Kort­schnoi: Der KGB setzt matt

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