Gedicht des Tages von Otto Zur Linde

Herbstsonne. Wolken. Die Birke

Herbst­son­ne. Wol­ken. Die Birke

Herbst­son­ne. Wol­ken. Die Birke
Biegt sich im bö­igen Wind.
Durch dün­ne­res Baumlaubgewirke
Küh­le­res Son­nen­licht rinnt.

Lev­ko­jen und As­tern im Strausse
Duf­ten nicht. Und Amaryll
Und let­ze Ge­ra­ni­en vorm Hause
Blüh­ten so herbst­spät und still,

So schwei­gend ge­gen den Tod hin –
Die Trau­ben blaun am Balkon.
Eine Krä­he krächzt, war­nen­de Botin
Des Win­ters, der war­tet schon.

Soll nun das Wür­gen des Jahres
Wie­der in Win­ter gehn?
Herbst­som­mer, Herbst­win­ter schon war es,
Wir sa­hen kein Os­tern aufstehn.

Der Som­mer ging, und die Nacht sank,
Der Tag kam und der Tod.
Wir wa­ren des Blü­hens unachtsam,
Und des Sin­gens war uns nicht not.

Wohl hör­ten wir Lie­der von Lippen
So rot, die sind nun bleich:
Ker­zen und Christkinderkrippen,
Und ein Schnee­feld schmerzenreich.

Und ein Acker mit blut­ro­ten Raden,
Und ein Feld­rain mit Knabenkraut;
Tau­send tote Soldaten
Hat je­der Tag geschaut.

Tau­send im Jahr und im Volke
Wie lang, oh wie lang ist ein Jahr!
Und der Welt eine blut­ro­te Wolke,
Überm Feld eine Aaskrähenschar.

Und ein Kreuz am Him­mel, das weitet
Sei­ne Arme nach Ost und nach West,
Dar­un­ter aber schreitet
Der Krieg, der Tod, die Pest.


Otto Zur Linde - Deutscher Lyriker - Glarean MagazinOtto Zur Lin­de (1873-1938)

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