Donat Blum: Opoe (Roman)

In Teilen gelungen, im Ganzen gescheitert

von Isabelle Klein

Die ho­hen Er­war­tun­gen, die Do­nat Blum mit sei­nem Ro­man “Opoe” durch den Ver­weis – Zi­tat im Vor­wort – auf Her­zogs Film “Fitz­car­ral­do” und des­sen Opern­bau er­weckt, näm­lich die Gren­zen des Er­reich­ba­ren zu spren­gen, das Ver­rück­te zu ver­wirk­li­chen, al­les zu wol­len, die­se Er­war­tun­gen er­füllt das bei­na­he la­pi­da­re Ende nicht. Da­mit ist hier das Buch von hin­ten auf­ge­rollt, da die­se Be­trach­tung am sinn­volls­ten er­scheint. Ein Buch, eine Sinn­su­che: Wi­der Ba­na­li­tä­ten, Schwarz­weiss­ma­le­rei; ge­gen Dua­li­tät und ver­bun­de­ne Ein­ord­nun­gen – so das Anfangsversprechen.

Ein vergebliches Leben

Donat Blum - Opoe - Roman-Rezension - Ullstein Verlag - Glarean MagazinSehr ge­lun­gen be­ginnt der Au­tor sei­nen Erst­ling, in dem al­les im Fluss scheint, in dem die schwer fass­ba­re Su­zan­ne, die nie­der­län­di­sche Oma (Opoe), in ih­rer Schwei­zer Wahl­hei­mat sich je­der Ka­te­go­ri­sie­rung ent­zieht. Eine in­tro­ver­tier­te Frau, die die Oper liebt, ge­nau wie sie Wien liebt, ohne je­doch je­mals ei­nes von er­lebt zu ha­ben. Ein sinn­lo­ses Le­ben, ur­teilt der En­kel. “Die­se Trau­er­fei­er war das Tüp­fel­chen auf dem i ei­nes ver­ge­be­nen Le­bens. Der De­ckel zum Töpf­chen der Sinn­lo­sig­keit” (Sei­te 11). Mit­ten in die Ge­schich­te ge­wor­fen, er­war­tet man durch Fitz­car­ral­do Fa­mo­ses, ist in Bann ge­zo­gen. Karl La­ger­feld hat ein­mal ge­sagt, der Sinn des Le­bens sei … ja, was?! Sim­pel die Ant­wort: Zu leben!
In­so­fern po­la­ri­siert Bl­ums An­spruch, das Le­ben ei­ner Frau, die er so gut wie nicht kennt, “ab­ur­tei­len” zu kön­nen. Acht Jah­re sind seit dem Tag ver­gan­gen, als er vor­über­ge­hend zu Stu­di­en­zei­ten bei der Oma in Bern leb­te. Spo­ra­disch der Kon­takt seit­dem. Man kennt sich nicht wirk­lich, bleibt ein­an­der fremd.

Im Beziehungsgeflecht verflacht

Im Jetzt: die Be­er­di­gung. Be­zie­hungs­ge­flech­te des En­kels, Sinn- und se­xu­el­le Iden­ti­täts­su­che ent­fal­ten sich un­ver­mit­telt. Der Au­tor, der wohl zu­gleich En­kel und Prot­ago­nist ist, will Quer­ver­bin­dun­gen auf­zei­gen, hat das Ge­fühl, die Er­for­schung der Ver­gan­gen­heit der Oma hel­fe ihm, sich selbst zu finden.
Des­we­gen be­gibt er sich vom Ur­sprung des Rheins an des­sen Ende. Ein wi­der­sprüch­li­ches und ge­ra­de des­we­gen ge­winn­brin­gen­des Bild ent­fal­tet sich vor dem Auge des Le­sers, bis das Gan­ze m.E. in zu viel Be­zie­hungs­sinn­su­che des En­kels aus­ar­tet und da­durch ver­flacht, wo­bei lei­der auch Opoe auf der Stre­cke bleibt.

Perspektiven-Wechsel und Zeitsprünge

Per­spek­ti­ven-Ver­schie­bun­gen, Zeit­sprün­ge, Din­ge im Fluss, das al­les macht das Le­sen durch­aus in­ter­es­sant. Aber kur­ze, ab­ge­hak­te 1-2-Sei­ten-Ka­pi­tel brin­gen kei­ne Dy­na­mik in “OPOE”.
Blum über­nimmt sich, läuft beim See­len­strip­tease auf Sand und be­geht den Feh­ler, dass er sich ge­gen Ende et­was zu sehr in Sex ver­steigt. Wäh­rend das Feuil­le­ton bei letz­te­rem ger­ne über “Alt­her­ren­sexphan­ta­sien” ätzt, die so kei­ner braucht, bin ich dies­be­züg­lich der Mei­nung, dass we­ni­ger mehr ist und ex­pli­zi­te Er­wäh­nun­gen ei­nen ge­wis­sen Mü­dig­keits­fak­tor erzeugen.
Har­sche Wor­te? Viel­leicht, aber nach ei­nem über­aus viel­ver­spre­chen­den Be­ginn, der ge­ra­de­zu kaf­ka­esk an­mu­tet in sei­ner el­lip­ti­schen Er­zähl­per­spek­ti­ve, mit Rück­blen­den und Per­spek­tiv­wech­seln so­wie kur­zen, spo­ra­di­schen Epi­so­den und Ka­pi­teln hin und her springt und dem Le­ser ei­ni­ges ab­ver­langt, wird das Ver­spre­chen, dass eine be­son­de­re Be­zie­hung zwi­schen die­sen bei­den so un­ter­schied­li­chen Men­schen be­stün­de, nicht gehalten.
Nach also ex­zel­len­tem Be­ginn, in dem man vol­ler Fra­gen ist und sich die­se auch im Hin­blick auf die ei­ge­ne Er­fah­rung mit den Gross­el­tern, samt ver­pass­ten Chan­cen und Aus­wir­kun­gen, zu stel­len be­reit ist, ver­flacht “Opoe” im Mit­tel­teil zu­se­hends. Man nä­hert sich der we­nig greif­ba­ren Frau, die zu Be­ginn so ge­lun­gen cha­rak­te­ri­siert wird, eben nicht wei­ter an. Ober­fläch­li­che Er­zäh­lung von Sta­tio­nen ih­res Le­bens, Schil­de­run­gen fast schon ba­na­ler Ge­ge­ben­hei­ten las­sen Er­war­te­tes zu­rück­tre­ten. Statt­des­sen zu viel Sinn­su­che in se­xu­el­ler Erleichterung.

Identitätsfindung auf halbem Wege

Blum schafft es lei­der nicht an­satz­wei­se, die ge­weck­te Fas­zi­na­ti­on die­ser merk­wür­di­gen Gross­mutter, die so (wun­der­bar) schwer greif­bar und fass­bar er­scheint, die ih­ren En­kel siezt und so we­nig gross­müt­ter­lich wirkt, aus­zu­bau­en. “Ge­weck­te” Er­war­tun­gen soll­ten auch in ei­nem Erst­lings­werk er­füllt wer­den. Der Klap­pen­text: “[…] mit ver­blüf­fen­der Leich­tig­keit er­zählt Do­nat Blum in sei­nem De­büt […] von den gros­sen Fra­gen des Le­bens.” Wirklich?
Gros­se Fra­gen be­schrän­ken sich eben nicht, dach­te ich zu­min­dest, wei­test­ge­hend auf Iden­ti­täts­fin­dung durch Be­zie­hungs­su­che bzw. auf die Fra­ge, ob man mit ei­nem Part­ner oder meh­re­ren glück­lich wer­den kann. Son­dern sie be­tref­fen alle Aspek­te des Le­bens. Aber viel­leicht hat sich mir auch ganz ein­fach der Sinn von “Opoe” nicht er­schlos­sen, wer weiss…

Zwischen Bedeutsamkeit und Beliebigkeit

Kurz und bün­dig: Ge­ra­de im letz­ten Drit­tel wei­tet sich das, was sich schon im Mit­tel­teil ab­zeich­net, ganz enorm aus. Be­ge­ben­hei­ten wer­den ge­streift, ver­kom­men durch Kür­ze und man­geln­de Tie­fe in ih­rer Be­deut­sam­keit zur Be­lie­big­keit und las­sen ei­nes feh­len: In­ten­si­tät und Sinn. Auch un­ter schein­bar Ober­fläch­li­chem lässt sich eben kei­ne Tie­fe und Be­deut­sam­keit fin­den. Das Flui­de, das Sein sel­bi­gens im Ur­laub; mit wech­seln­den bzw. gleich­zei­ti­gen Part­nern, im Sein der of­fe­nen Be­zie­hung; im Aus­tes­ten des Er­trag­ba­ren – dies al­les führt eben nicht dort­hin, wo es schein­bar soll, näm­lich zu tie­fe­rem Sinn, zum Erkenntnisgewinn.

In Teilen gelungen, im Ganzen gescheitert

FAZIT: Das Ro­man-De­büt “Opoe” von Do­nat Blum ist ein am­bi­tio­nier­ter Ver­such, in Tei­len ge­lun­gen, im Gros­sen ge­schei­tert. Nichts­des­to­trotz ein be­rei­chern­des Le­se­er­leb­nis, in dem vie­le Fra­gen ge­weckt wer­den, wenn­gleich Do­nat Blum die Er­war­tun­gen nicht ganz be­frie­di­gen kann

War­um ist bei­spiels­wei­se die­se ver­gan­ge­ne Frau plötz­lich so wich­tig für ihn? War­um fühlt er sich ihr post­hum so nah? Was ist da­von die Quint­essenz, aus­ser die­ser: mit klei­nen Din­gen zu­frie­den sein? Und lei­der wird auch das Un­zu­or­den­ba­re ab der Mit­te viel zu dual. Die ei­nen sa­gen, Opoe sei eine Le­be­frau, eine Ver­schwen­de­rin ge­we­sen, wo­hin­ge­gen sie doch auch an an­de­re dach­te, selbst Geld ver­dien­te, sich aber nie eman­zi­pier­te. All das ist letzt­lich weit weg vom heh­ren An­spruch des Be­ginns, dass Un­fass­ba­re zu fas­sen, Gren­zen zu spren­gen, mul­tik­au­sal das Schub­la­den­den­ken ad acta zu legen.

Das Ro­man-De­büt “Opoe” von Do­nat Blum ist ein am­bi­tio­nier­ter Ver­such, in Tei­len ge­lun­gen, im Gros­sen ge­schei­tert. Nichts­des­to­trotz ein be­rei­chern­des Le­se­er­leb­nis, in dem vie­le Fra­gen ge­weckt wer­den, wenn­gleich Do­nat Blum mei­ne Er­war­tun­gen nicht be­frie­digt hat. Zu­viel Joel, Yuri und Le­vin (Män­ner im Le­ben des En­kels) ge­gen Ro­man-Ende las­sen das Su­jet lei­der blass aussehen. ♦

Do­nat Blum: Opoe – Ro­man, 176 Sei­ten, Ull­stein Ver­lag, ISBN-139783961010127

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch die Ro­man-Re­zen­si­on von Si­mo­ne Stöl­zel: Der Tod in Potenzen

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)