Lyudmil Tsvetkov: Human vs Machine (Schach)

Glanz und Elend des Anti-Computerschachs

von Walter Eigenmann

Seit den längst ver­gan­ge­nen Zei­ten vor ca. 20 Jah­ren, als die Schach­soft­ware all­mäh­lich das Lau­fen lern­te, sprich von den Pro­gram­mie­rern eine ernst­zu­neh­men­de Spiel­stär­ke imp­le­n­tiert er­hiel­ten, so dass sie für Nor­mal-Sterb­li­che und schliess­lich so­gar für Gross­meis­ter zur Ge­fahr wur­den, gab es im­mer auch wie­der ehr­gei­zi­ge Ama­teur- und Pro­fi-Schach­spie­ler, die sich mit der her­auf­däm­mern­den Über­macht der Ma­schi­ne nicht ab­fin­den woll­ten. Das The­ma Hu­man vs Ma­chi­ne war in al­ler Mun­de, und der Be­griff des Anti-Com­pu­ter­schachs wur­de geboren.

Die Prot­ago­nis­ten des Anti-Com­pu­ters ent­wi­ckel­ten um die Jahr­hun­dert­wen­de her­um oft ei­nen bei­na­he mis­sio­na­ri­schen Ehr­geiz dar­in, der tum­ben Ma­schi­ne de­ren struk­tu­rel­len Schwä­chen bzw. Gren­zen des Be­rech­nens auf­zu­zei­gen. Dem pri­mi­ti­ven Schach-Al­go­rith­mus des Pro­gram­mes soll­te das heh­re Plan-Den­ken des Men­schen ge­gen­über­ge­stellt wer­den, die tak­ti­sche Schlag­kraft der En­gi­nes wur­de mit weit­sich­ti­ger Stra­te­gie bekämpft.
Dem­entspre­chend häuf­ten sich da­mals in den ein­schlä­gi­gen On­line-Fo­ren und Schach-Print­me­di­en die sog. An­ti­com­pu­ter-Par­tien – ver­blüf­fen­de Sie­ge von (oft auch on-the-board) star­ken Spie­lern ge­gen die sei­ner­zeit ak­tu­el­len En­gi­nes (“Schach­mo­to­ren”). Da­bei ge­lan­gen die­sen mit al­len Com­pu­ter­schach-Was­sern ge­wa­sche­nen Hau­de­gen im­mer wie­der spek­ta­ku­lä­re Ge­win­ne ge­gen die Si­li­kon-Mons­ter, und die Schach­welt staun­te, wo sie doch sel­ber zu­hau­se am hei­mi­schen Brett­com­pu­ter oder vor dem ei­ge­nen PC-Ch­ess-Screen je­des Mal chan­cen­los blieb…

Der Urvater des Anti-Computerschachs: “Claus Carstens”

Mit diesem Banner in der vor Jahrzehnten weitverbreiteten deutschen Schach-Gazette "Rochade Europa" kündigte der Anti-Computerschach-Experte "Claus Carstens" (Pseudonym) jeweils seine Kolumne an, in der er genüsslich die damals führenden Schachprogramme dem öffentlichen Gelächter preisgab.
Mit die­sem Ban­ner in der vor Jahr­zehn­ten weit­ver­brei­te­ten deut­schen Schach-Ga­zet­te “Ro­cha­de Eu­ro­pa” kün­dig­te der Anti-Com­pu­ter­schach-Ex­per­te “Claus Cars­tens” (Pseud­onym) je­weils sei­ne Ko­lum­ne an, in der er ge­nüss­lich die da­mals füh­ren­den Schach­pro­gram­me dem öf­fent­li­chen Ge­läch­ter preisgab.

Eine der meist­dis­ku­tier­ten Per­sön­lich­kei­ten der da­ma­li­gen Schach­sze­ne war der Com­pu­ter­schach-Ko­lum­nist der viel­ge­le­se­nen Schach­zei­tung “Ro­cha­de Eu­ro­pa”. Die­ser un­ter dem Pseud­onym “Claus Cars­tens” schrei­ben­de An­ti­com­pu­ter-Spe­zia­list (“Die hohe Schu­le des Com­pu­ter­schachs”) stell­te der fas­zi­nier­ten Öf­fent­lich­keit zahl­rei­che Par­tien ge­gen die sei­ner­zeit stärks­ten Pro­gram­me vor – mit je­weils ver­nich­ten­der Bi­lanz für die Maschine.
Die meis­ten Schach­spie­ler bis hin­auf zum In­ter­na­tio­na­len Meis­ter hat­ten be­reits da­mals kaum mehr eine re­el­le Chan­ce ge­gen die Top-En­gi­nes. Nicht so die­ser “CC”, der of­fen­bar wie kein zwei­ter die Spiel­wei­se der Pro­gram­me ana­ly­siert hat­te, um dann ihre Lö­cher in den Al­go­rith­men, ihre “Horizont”-Probleme, ihr po­si­tio­nel­les Un­ver­ständ­nis, ihr De­fi­zit be­züg­lich “Stra­te­gie”, ihre Lecks hin­sicht­lich viel­zü­gi­gen “Vor­aus­den­kens” der all­ge­mei­nen Lä­cher­lich­keit preiszugeben.

Echte oder gefakte Partien?

Be­lä­chelt wur­de aber auch “CC” sel­ber: Ihm wur­den ge­fak­te Par­tien und ma­ni­pu­lier­te En­gi­ne-Set­tings un­ter­stellt; für man­che Com­pu­ter­schach-An­hän­ger war er über­haupt nur ein Be­trü­ger oder gar ein von der Re­dak­ti­on er­fun­de­nes Phan­tom zwecks Auf­po­lie­rung der Le­ser­quo­ten. Je­den­falls ir­gend ein Schar­la­tan, der aus pu­rer Ei­tel­keit sei­ne an­geb­li­chen Ge­winn­par­tien säu­ber­lich in stun­den­lan­ger Ar­beit nicht auf dem Brett, son­dern “am grü­nen Tisch” kon­stru­iert habe. Aber al­len Un­ken­ru­fen zum Trotz war der Un­ter­hal­tungs­wert des “CC” ein be­trächt­li­cher, und so man­cher Schach­freund dürf­te die “Ro­cha­de” vor al­lem sei­ner “Ho­hen Schu­le des Com­pu­ter­schachs” we­gen ge­kauft haben…

Wir ge­ben hier eine die­ser be­rühmt-be­rüch­tig­ten, von “Cars­tens” sel­ber oft süf­fi­sant bis ar­ro­gant kom­men­tier­ten Par­tien aus der “Ro­cha­de” wie­der (ohne den Carstens’schen Originalton…) – –

Zum in­ter­ak­ti­ven Nach­spie­len ein­fach mit der Maus auf ei­nen Zug oder Kom­men­tar kli­cken, für den Down­load der Par­tie im PGN-For­mat dann den But­ton ganz rechts be­nüt­zen (“Down­lad the game”)

Tipp: Wer zu­hau­se ggf. noch die glei­che Ryb­ka-Ver­si­on auf ei­nem (vor­zugs­wei­se ziem­lich al­ten) PC in­stal­liert hat, kann ja mal die Pro­be aufs Ex­em­pel ma­chen und ver­su­chen, die Züge des Pro­gram­mes zu rekonstruieren…

Geheimnis um “Claus Carstens” gelüftet?

Der amerikanische Psychiater und "Geistheiler" Ernest Pecci spielte 125 Partien gegen Schachprogramme und schrieb darüber einen 400-seitigen Report: "Chess - A Psychiatrist Matches Wits with Fritz"
Der ame­ri­ka­ni­sche Psych­ia­ter und “Geist­hei­ler” Er­nest Pecci spiel­te 125 Par­tien ge­gen Schach­pro­gram­me und schrieb dar­über ei­nen 400-sei­ti­gen Re­port: “Ch­ess – A Psych­ia­trist Matches Wits with Fritz

Vie­le Jah­re spä­ter, nach­dem “CC” sei­ne “Um­trie­be” – zu­min­dest in der brei­ten Öf­fent­lich­keit – längst ein­ge­stellt hat­te und die “Ro­cha­de Eu­ro­pa” in an­de­re Hän­de ge­kom­men war, mel­de­te sich im Fe­bru­ar 2017 ei­ner der Ad­mi­nis­tra­to­ren des Schach-Fo­rums “Schach­burg” zu der Cau­sa Claus Cars­tens”. Un­ter dem Ti­tel “Ge­heim­nis um Claus Cars­tens ge­lüf­tet” re­fe­rier­te der Pos­ter auf ei­nen Ar­ti­kel der Schach­zeit­schrift “KARL” in de­ren Ja­nu­ar-Aus­ga­be 2016, wo­nach es sich bei “CC” um das Ali­as des star­ken Meis­ters Carl Zim­mer­mann hand­le, der sich die Ent­wick­lung von Stra­te­gien zum Schla­gen von Schach­pro­gram­men zu ei­ner “Le­bens­auf­ga­be” ge­macht habe.

Wie dem auch sei, fest steht je­den­falls, dass sich, seit es Schach­pro­gram­me gibt, auch im­mer wie­der Spie­ler zu Wor­te mel­de­ten, de­ren gan­zer schach­li­cher Ehr­geiz im Kampf ge­gen die “Si­li­kon-Mons­ter” be­stand. Teils pu­bli­zier­ten sie ihre Ge­winn-Par­tien öf­fent­lich in Print-Me­di­en bzw. Bü­chern wie eben “Claus Cars­tens” oder auch bei­spiels­wei­se der US-Psych­ia­ter Er­nest Pecci, v.a. aber prä­sen­tier­ten sie ihre Tro­phä­en in den ein­schlä­gi­gen Internet-Schachforen.

Ein Pionier gegen “Fritz” & Co: Eduard Nemeth

Deckte um die Jahrhundertwende viele Lecks der Schachprogramme auf und lehrte sie das Fürchten: Eduard Nemeth
Deck­te um die Jahr­hun­dert­wen­de vie­le Lecks der Schach­pro­gram­me auf und lehr­te sie in den In­ter­net-Fo­ren das Fürch­ten: Edu­ard Nemeth

Be­reits ei­ni­ge Zeit vor der oben zi­tier­ten Cars­tens-Par­tie war näm­lich be­reits ein an­de­rer An­ti­com­pu­ter-Schach­freund in den deutsch­spra­chi­gen Fo­ren be­son­ders prä­sent: Edu­ard Ne­me­th, der in den “Grün­der­zei­ten” des Com­pu­ter­schachs um die Jahr­hun­dert­wen­de zahl­lo­se On­line-Games ge­gen die (da­mals zwar deut­lich schwä­che­ren, aber tak­tisch be­reits ex­trem star­ken) En­gi­nes auf On­line-Platt­for­men (wie bei­spiels­wei­se dem Ch­ess­ba­se-Ser­ver Playch­ess) aus­focht und nach­weis­lich (bzw. un­ter “Auf­sicht” vie­ler Kie­bit­ze) auch eine Men­ge da­von ge­wann. Und im Ge­gen­satz zu “CC” mach­te Ne­me­th kei­ner­lei Ge­heim­nis um sei­ne Per­son, son­dern teil­te, dis­ku­tier­te und ana­ly­sier­te sei­ne Ge­winn­par­tien im­mer wie­der ger­ne cora publico.

Mit dem “Trojaner” gegen den König

Der fol­gen­de Link prä­sen­tiert ei­nen auf­schluss­rei­chen Ein­blick in die da­mals gän­gi­gen (bzw. da­mals noch er­folg­rei­chen…) Tech­ni­ken des mensch­li­chen Kamp­fes ge­gen Schach­pro­gram­me. Edu­ard Ne­me­ths Lieb­lings­op­fer war da­bei eine Zeit­lang das Ch­ess­ba­se-Pro­gramm “Fritz”; hier ei­nes von Ne­me­ths re­prä­sen­ta­ti­ven Games, das sich durch un­wi­der­steh­li­che An­griffs­freu­de auszeichnet:

Primitives ödes Anti-Schach

Hat ein Anti-Com­pu­ter­schach-An­hän­ger nicht son­der­li­chen Ehr­geiz, son­dern gibt er sich zu­frie­den mit ei­nem sel­te­nen Re­mis (oft nach hun­der­ten von Nie­der­la­gen…), dann  ma­chen es ihm die Pro­gram­me auch heu­te noch recht ein­fach. Denn sie tun sich im­mer noch schwer ge­gen mensch­li­che Block­eu­re, die das Brett “zu­be­to­nie­ren”. Die fol­gen­de Par­tie von Pa­blo Igna­cio Rest­re­po ge­gen das “Stockfish”-Derivat “AsmFi­sh” (ge­fun­den im “Talkchess”-Schachforum) ist ein schla­gen­des Bei­spiel für die­sen Typus:

Das be­son­ders häss­li­che Schluss­bild ei­ner be­son­ders häss­li­chen Schach­par­tie sei hier aus­drück­lich festgehalten…

Zubetonierte Schluss-Stellung einer Anti-Computerschach-Partie von P. Restrepo gegen Stockfish
Zu­be­to­nier­te Schluss-Stel­lung ei­ner Anti-Com­pu­ter­schach-Par­tie von P. Rest­re­po ge­gen “Stock­fi­sh” 2017

Never-Ending-Story “Mensch versus Maschine”

Das The­ma “Mensch ge­gen Com­pu­ter” ist eine Never En­ding Sto­ry, auch heut­zu­ta­ge noch, da die ak­tu­el­len Pro­gram­me mitt­ler­wei­le eine der­art hohe Spiel­stär­ke er­reicht ha­ben, dass nicht mal die sog. “Su­per-Gross­meis­ter” (sprich Spie­ler mit ei­ner in­ter­na­tio­na­len FIDE-Wer­tungs­zahl von über 2750 Elo) eine Chan­ce ha­ben ge­gen sie – den am­tie­ren­den Welt­meis­ter Ma­gnus Carlsen inklusive.
Trotz mo­der­nem Over­kill der En­gi­nes ist das Mo­tiv “Hu­man mind vs Com­pu­ter brain” also of­fen­bar nach wie vor vi­ru­lent. Ein ak­tu­el­les Bei­spiel des Dis­puts fand sich erst kürz­lich wie­der im deut­schen Fo­rum Schach­feld. Eben­so ge­ne­riert na­tür­lich das WWW im­mer wie­der Web­sei­ten, die sich schwer­punkt­mäs­sig mit “Mensch vs Com­pu­ter” be­fas­sen. Eine der in­ter­es­san­tes­ten ist “die et­was an­de­re schach­sei­te” von An­dre­as Schee­le, der “zwi­schen 4 und 8 Stun­den Schach je­den Tag” (Zi­tat) trai­niert – mehr­heit­lich ge­gen den Com­pu­ter, und das “mit gu­tem Erfolg”…

Hier eine von Schee­les in­ter­es­san­tes­ten Sie­gen ge­gen das eins­ti­ge Spit­zen­pro­gramm “Hiarcs”, ge­spielt auf dem Ch­ess­ba­se-Ser­ver “Playch­ess”. Hiarcs galt lan­ge Zeit als die am “mensch­lichs­ten” spie­len­de En­gi­ne mit viel imp­le­n­tier­tem Schach-Know-how:

Lyudmil Tsvetkov gegen den Rest der (Engine-)Welt

Der Bulgare Lyudmil Tsvetkov, 1974 in Pleven geboren, gehört zu den aktuell stärksten Anti-Computerschach-Spezialisten. Zu seinen neueren Publikationen zählen das 3-bändige "Human vs Machine" sowie die Abhandlung "The Secret of Chess".
Der bul­ga­ri­sche Schach-Au­tor Lyud­mil Ts­vet­kov, 1974 in Ple­ven ge­bo­ren, ge­hört zu den ak­tu­ell stärks­ten Anti-Com­pu­ter­schach-Prot­ago­nis­ten. Zu sei­nen neue­ren (und gleich­zei­tig um­strit­tens­ten) Pu­bli­ka­tio­nen zäh­len das 3-bän­di­ge “Hu­man vs Ma­chi­ne” so­wie die Ab­hand­lung “The Se­cret of Chess”.

Es scheint also auch in un­se­rem Zeit­al­ter von “Stock­fi­sh”, “Ko­mo­do” und “Hou­di­ni” noch ge­nug At­trak­ti­vi­tät vor­han­den zu sein für den Men­schen, ge­gen die Ma­schi­ne ernst­haf­te Kampf­par­tien zu spie­len. (Wer sich üb­ri­gens mit den tie­fe­ren Hin­ter­grün­den des Pro­blem­fel­des “Mensch-Com­pu­ter” im Hin­blick auf das Kö­nig­li­che Spiel nä­her aus­ein­an­der­set­zen will, dem emp­feh­le ich den Ar­ti­kel “War­um Schach ein schwie­ri­ges Spiel ist” des deut­schen B-Trai­ners Mar­cus Wegener).

How to beat Stockfish

Ein ganz be­son­de­res Ka­li­ber un­ter den heu­ti­gen Anti-Com­pu­ter­schach-Ex­per­ten ist der ehe­ma­li­ge bul­ga­ri­sche Di­plo­mat und heu­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Schach­buch-Au­tor Lyud­mil Ts­vet­kov. Ts­vet­kov ist nach ei­ge­nem Be­kun­den noch gar nicht so lan­ge haupt­be­ruf­lich als Schach-Schrift­stel­ler un­ter­wegs, aber be­reits Ver­fas­ser von zahl­rei­chen Schach­bü­chern. Ei­nes da­von ist für un­ser The­ma von spe­zi­el­lem In­ter­es­se: Sei­ne drei­tei­li­ge Mo­no­gra­phie “Hu­man ver­sus Ma­chi­ne – How to beat Stock­fi­sh and Ko­mo­do”, Parts 1-3 ver­öf­fent­licht Ende 2017. (Ts­vet­kov war sei­ner­zeit bei der FIDE mit knapp 2100 Elo ge­ra­ted, ist aber als Tur­nier­spie­ler seit Jah­ren nicht mehr ak­tiv).

Schlechte Verpackung, guter Inhalt

Mehrere Dutzend eigene Gewinnpartien gegen starke Engines dokumentiert Tsvetkov in seinem "<a href="https://www.amazon.com/s/ref=nb_sb_noss?url=search-alias%3Ddigital-text&amp;field-keywords=%22Human+Versus+Machine%22&amp;rh=n%3A133140011%2Ck%3A%22Human+Versus+Machine%22">Human versus Machine - How to beat Stockfish and Komodo</a>"
Meh­re­re Dut­zend ei­ge­ne Ge­winn­par­tien ge­gen star­ke En­gi­nes do­ku­men­tiert Ts­vet­kov in sei­nem “Hu­man ver­sus Ma­chi­ne – How to beat Stock­fi­sh and Ko­mo­do

Be­reits der ers­te Blick auf die drei Bän­de, die üb­ri­gens nur als Kind­le-Edi­tio­nen bei Ama­zon käuf­lich sind, zei­tigt ei­nen zwie­späl­ti­gen Ein­druck. Zum ei­nen kom­men sie alle be­tont schlicht, um nicht zu sa­gen “bil­lig” da­her. Ge­stal­tet mit sim­pels­tem Lay­out und eben­sol­cher Ty­po­gra­phie, mit (zu gros­sen) Dia­gram­men in gra­phisch mäs­si­ger Qua­li­tät, die Kom­men­ta­re ver­fasst in eher höl­zer­nem Eng­lisch – so weckt “Hu­man ver­sus Ma­chi­ne” nicht ge­ra­de die Kauf­lust des Schach­freun­des. Im­mer­hin ist der Ein­zel­preis der drei im Ama­zon-Selbst­ver­lag pro­du­zier­ten E-Books mit je 5 Euro so nied­rig, dass rein öko­no­misch das Preis-Leis­tungs­ver­hält­nis in der Waa­ge bleibt…

50 Gewinnpartien gegen Stockfish

In­halt­lich hat Ts­vet­kovs Tri­lo­gie aber dann doch deut­lich mehr zu bie­ten, als das äus­se­re Er­schei­nungs­bild er­ah­nen lässt. Sie ent­hält ex­akt 50 Ge­winn-Par­tien des Bul­ga­ren ge­gen “Stock­fi­sh” in den Ver­sio­nen 4 bis 8 und ge­gen “Ko­mo­do” in den Ver­sio­nen 8 bis 10.

Leseprobe 1 aus L. Tsvetkov: "Human versus Machine - How to beat Stockfish and Komodo"
Le­se­pro­be 1 aus L. Ts­vet­kov: “Hu­man ver­sus Ma­chi­ne – How to beat Stock­fi­sh and Komodo”
Leseprobe 2 aus L. Tsvetkov: "Human versus Machine - How to beat Stockfish and Komodo"
Le­se­pro­be 2 aus L. Ts­vet­kov: “Hu­man ver­sus Ma­chi­ne – How to beat Stock­fi­sh and Komodo”

Und um es vor­weg zu neh­men: Man­che die­ser 50 Games sind wirk­lich in­ter­es­sant; bie­ten teils sehr un­ter­halt­sa­mes Kampf­schach; las­sen oft ei­nen auf­schluss­rei­chen Blick auf die struk­tu­rel­len Stär­ken und Schwä­chen von Schach-En­gi­nes zu. Und vor al­lem: sie ent­hal­ten zahl­rei­che ech­te Top-Shot-Züge, die auch von den heu­ti­gen Pro­gram­men nur sehr schwer auf­zu­spü­ren sind, was im­mer ein In­diz auf “mensch­li­che Bei­hil­fe” dar­stellt. Un­ten­ste­hend fin­den sich sechs sol­cher re­prä­sen­ta­ti­ven Winning-Moves.

Genies oder Scharlatane?

Wann und wo im­mer in Bü­chern oder On­line die Ge­win­ner von Par­tien ge­gen die Schach­pro­gram­me ihre Tro­phä­en pu­bli­zie­ren: ih­nen weht je­weils hef­tig der Wind ins Ge­sicht. Ver­ein­zel­ten Be­wun­de­rern steht im­mer so­fort eine Pha­lanx von Skep­ti­kern ge­gen­über, die teils sach­lich, oft aber auch po­le­misch bis hä­misch die “an­geb­li­chen Ge­win­ne” als Fakes ab­tut. Und in der Tat ist es für Out­si­der so leicht nicht, die in der hei­mi­schen Par­tien­kü­che zu­recht­ge­koch­te Spreu vom trans­pa­rent 1:1 aus­ge­spiel­ten und akri­bisch re­pro­du­zier­ba­ren Wei­zen zu tren­nen. Denn Schach-Zug­fol­gen ei­ni­ger­mas­sen glaub­haft zu ma­ni­pu­lie­ren ist mit heu­ti­ger In­ter­face-Schach­soft­ware, aber auch im “On­line-Chea­ting” nicht wirk­lich ein Pro­blem für er­fah­re­ne “Ex­per­ten”. Je­den­falls wi­der­fährt po­la­ri­sie­ren­den (und po­le­mi­sie­ren­den) Per­sön­lich­kei­ten wie Ts­vet­kov sel­ten eine so dif­fe­ren­zie­ren­de Wür­di­gung, wie sie ihm der Gross­meis­ter Da­vid Smer­don auf “Ch­ess News” von Ch­ess­ba­se kürz­lich an­ge­dei­hen liess.

Originelles und kampfstarkes Schach

Wenn sich aber dann bei der ge­nau­en Ana­ly­se der frag­li­chen Par­tien re­gel­mäs­sig eine gros­se Über­ein­stim­mung mit dem Out­put der betr. En­gi­nes (un­ter si­mu­liert ver­gleich­ba­ren Be­din­gun­gen) in Ver­bin­dung mit mensch­li­chen Ge­winn­zü­gen her­aus­stellt, dann ist das zwei­fel­los ein In­diz (wenn auch kein Be­weis) für die “Echt­heit” der Games. Und dass die Pro­gram­me auch nach 30 Jah­ren be­ein­dru­cken­der Soft­ware-Ent­wick­lung noch im­mer ihre “Kin­der­krank­hei­ten” nicht end­gül­tig ab­ge­legt ha­ben bzw. sys­tem­im­ma­nen­te De­fi­zi­te auf­wei­sen, die von cle­ve­ren und krea­ti­ven Schach­spie­lern aus­ge­nützt wer­den kön­nen, steht aus­ser Fra­ge. Be­vor man also so pro­duk­ti­ve Anti-Com­pu­ter­schach-Spie­ler wie Lyud­mil Ts­vet­kov – “I have play­ed over 50 thousand en­gi­ne games” (Ts­vet­kov in sei­nem Vor­wort) – in die Ecke “Chea­ter” stellt, soll­te man sich sehr ge­nau mit ih­ren Win­ning Games aus­ein­an­der­set­zen. Ei­ni­ge be­son­ders ori­gi­nel­le sei­en dar­um stell­ver­tre­tend für den “Stil” des rüh­ri­gen Bul­ga­ren hier an­ge­führt. Und wie auch im­mer sie ganz ge­nau nun ent­stan­den sein mö­gen: sie bie­ten schö­nes, star­kes, ori­gi­nel­les, un­ter­halt­sa­mes Schach – das al­lein le­gi­ti­miert sie schon… ♦

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch den Com­pu­ter­schach-Es­say von Ro­land Stu­ckardt: Too cle­ver is dumb – Klei­ne Phi­lo­so­phie des Schwindelns

2 Kommentare

  1. Dan­ke für den in­ter­es­san­ten Schach-Report.

    In der Zeit­schrift SCHACH 5/2017 stellt GM Alex­an­der Mois­se­jen­ko in ei­nem Ar­ti­kel “Wie be­siegt man Stock­fi­sh?” üb­ri­gens zwei Par­tien von Claus Zim­mer­mann vor, höchst­selbst kom­men­tiert, nein, nicht von Claus Cars­tens oder Claus Zim­mer­mann, son­dern eben von GM Alex­an­der Mois­se­jen­ko. Und das spricht im­mer­hin sehr für die Se­rio­si­tät der Par­tien von Claus Zimmermann.

  2. Dan­ke für die­sen in­ter­es­san­ten Bei­trag!! Eine Men­ge Info und tol­le Stel­lun­gen! Habe die “Ro­cha­de” frü­her eben­falls häu­fig ge­le­sen. Was ist ei­gent­lich aus CC ge­wor­den?? Und war das tat­säch­lich Claus Zim­mer­mann, kann das je­mand hier be­stä­ti­gen?? Was Ts­vet­kov an­geht: Scha­de dass der Mann eine so gro­ße Klap­pe hat… Im Talkch­ess-Fo­rum mein­te er mal un­ge­fähr, er hät­te an die 3000 Elo… Aber vom Com­pu­ter­schach ver­steht er echt was, das muss man ihm lassen…
    Gruss aus D. – Ralf

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