Michaela Seul: Eine Liebe im Herbst (Kurzprosa)

Eine Liebe im Herbst

Mi­chae­la Seul

Frau­ke schau­te ihn an. So wie sie ihn im­mer an­schau­te, wenn sie an sei­ner Schul­ter lag, da­nach. Er zün­de­te zwei Zi­ga­ret­ten an, wie er es im­mer tat, danach.
Als sie ihm das ers­te Mal beim Du­schen zu­ge­se­hen hat­te, wa­ren ihr die Bei­ne weg­ge­sackt. Auch beim zwei­ten Mal. Beim drit­ten Mal hat­te sie ab­ge­wa­schen. Es war nichts Neu­es mehr für dich, hat­te er fest­ge­stellt, und Frau­ke konn­te nicht wi­der­spre­chen. Angst, er könn­te wei­te­re Bei­spie­le auf­zäh­len, al­les Sack­gas­sen, Be­wei­se für ihre ver­wes­te Lie­be, und dort en­den, wo sich sein Emp­fin­den für sie ver­än­dert hätte.
Beim Zäh­ne­put­zen – sie schmus­ten nicht mehr da­bei – hat­te sie sei­nen Hin­tern an­ge­starrt und sich über­legt, wie das sein wür­de, wenn sie ihn nicht mehr lieb­te, nicht mehr er­tra­gen könn­te, sei­nen Ge­ruch, al­les. Ob sie es schaf­fen wür­de zu ge­hen, oder blie­be, bis sie ihre Selbst­ach­tung verlöre.
Ei­nen Au­gen­blick hass­te Frau­ke ihn für die Ges­te, mit der er ihr eine Zi­ga­ret­te reich­te. All sei­ne Be­we­gun­gen kann­te sie aus­wen­dig, sein Ge­sicht, wie er sich manch­mal räus­per­te, be­vor er et­was sag­te, so­gar was er sag­te, wann er wie lach­te. In den letz­ten Wo­chen hat­ten sie zu oft über frü­her ge­spro­chen, ihr Ken­nen­ler­nen er­in­nert, und auch das war reiz­los geworden.
Du, sag­te er. Ja, sag­te Frau­ke, so wie sie es im­mer sag­te, wenn er du sagte.
Dein Kör­per wird mir lang­wei­lig, sag­te er.

Frau­ke konn­te sich nicht be­we­gen. Auf­sprin­gen, weg­lau­fen, schrei­en, ru­hig lie­gen­blei­ben. Ein klei­nes Stau­nen war in ihr, weil ihr lang­wei­li­ger Kör­per noch atmete.
Dei­ner auch, könn­te sie sa­gen. Was än­der­te das. Dei­ner auch, sag­te Frauke.
Tja, sag­te er.
Und jetzt, frag­te sie.
Weisst du noch, frag­te er, da­mals, als wir zit­ter­ten, wenn wir nur an­ein­an­der dachten.
So nicht, sag­te Frauke.
Du, lä­chel­te er, so wie er es im­mer lächelte.
Ja, lä­chel­te Frau­ke zu­rück und spür­te ei­nen Hauch von schwind­lig in ih­rem Bauch.
Frau­ke, sag­te er, mir wird schwindlig. ♦


Michaela Seul - Glarean Magazin ("Eine Liebe im Herbst")Mi­chae­la Seul

Geb. 1962 in Mün­chen; zahl­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen in Bü­chern, Zeit­schrif­ten und An­tho­lo­gien, ver­schie­de­ne Li­te­ra­tur-Aus­zeich­nun­gen, seit län­ge­rem tä­tig auch als Best­sel­ler-Ghost­wri­te­rin, lebt am Am­mer­see in Bayern/D

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Ein Kommentar

  1. Kurz und knackig!
    Ge­hö­ren uns un­se­re Ge­füh­le, sind sie flüch­tig oder ha­ben sie Be­stand, wie Kno­chen etwa? Oft sind sie das, stur und un­ver­rück­bar, manch­mal auch nicht.

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