Computerschach: “Komodo” gewinnt trotz Handicap

Schachprogramm gibt seinesgleichen einen Bauern vor

von Walter Eigenmann

Vor 150 Jah­ren domi­nierte das ame­ri­ka­ni­sche Schach-Genie Paul Mor­phy seine welt­weite Kon­kur­renz der­art über­le­gen, dass er auch stärks­ten Meis­ter­spie­lern einen Bau­ern, wenn nicht sogar einen Sprin­ger oder einen gan­zen Turm vor­zu­ge­ben pflegte. Seit­her haben Vor­ga­be­par­tien eine lange und ebenso inter­es­sante wie amü­sante Tradition.

Nicht der Mensch, sondern die Maschine gibt heute den Ton an

Paul-Morphy-Schach-Glarean-Magazin
Schach-Genie Paul Mor­phy (1837-1884)

Heut­zu­tage geben aller­dings längst nicht mehr Men­schen, son­dern Maschi­nen den Ton im Schach an – und so gewäh­ren inzwi­schen Schach­pro­gramme (wenn­gleich immer­hin noch von Men­schen pro­gram­miert…) ihren huma­no­iden Kon­tra­hen­ten mate­ri­el­len oder mas­si­ven Zug-Eröff­nungs­vor­teil. Jüngs­tes und spek­ta­ku­lä­res Bei­spiel war im Januar 2016 das Match des US-Super-Gross­meis­ters Hakira Naka­mura gegen Komodo, eine der momen­tan füh­ren­den Schach-Engi­nes. Die Begeg­nung geriet wie so viele frü­he­ren die­ser Mensch-vs-Com­pu­ter-Aus­ein­an­der­set­zun­gen zum Desas­ter für den Men­schen: Trotz mas­si­ver Bevor­tei­lung ver­mochte Naka­mura – sei­nes Zei­chens nicht nur Top-Ten-Spie­ler der Welt, son­dern gleich­zei­tig welt­bes­ter Bul­let-Player sowie Ches­s960-Welt­meis­ter – keine Par­tie gegen das Pro­gramm zu gewinnen.

Komodo mit dem f-Bauern weniger…

Schach-Komodo-Chess-Glarean-MagazinEine amü­sante Frage in die­sem Zusam­men­hang ist nun, ob Komodo auch gegen die zweite und dritte Gar­ni­tur sei­ner “Art­ge­nos­sen” so erfolg­reich reüs­sie­ren könnte: Wie würde die­ses Pro­gramm mit Mate­ri­al­nach­teil gegen andere (nota­bene ja sehr starke!) Schach­soft­ware abschneiden?

In einem Expe­ri­ment hatte Komodo also mal gegen ins­ge­samt 20 Top-Twenty(!)-Engines mit einem Minus-f-Bau­ern anzu­tre­ten. (Der feh­lende f-Bauer bei weiss oder Schwarz ist der Klas­si­ker unter den his­to­risch ver­bürg­ten Handicap-Partien).

Das Resul­tat ist, sogar für ein­ge­fleischte Komodo-Fans, ver­blüf­fend: Die Engine ver­lor – trotz Han­di­cap – keine ein­zige der absol­vier­ten 20 Partien!

Hakira Nakamura - Glarean Magazin
Schach-Genie Hakira Naka­mura (*1987)

Ver­blüf­fend ist aber ebenso die Art und Weise, wie die­ses Pro­gramm trotz (oder gerade wegen?) sei­nes Mate­ri­al­nach­teils agiert. Sofor­ti­ges Ent­wi­ckeln, Lini­en­öff­nen, mög­lichst gros­ser Figu­ren­ra­dius, beweg­li­ches Zen­trum und schnelle Bau­ern­vor­stös­se/-angriffe am Königs­flü­gel schei­nen zen­trale Bestand­teile sei­ner Pro­gram­mie­rung zu sein. Und wie die Stel­lungs­be­wer­tun­gen der Engine zei­gen, ist kei­ner­lei “Angst” vor der mate­ri­el­len Asym­me­trie zu sehen; das Pro­gramm bewer­tet bzw. “pro­gnos­ti­ziert” die Posi­tio­nen bzw. Fort­schritte sehr rea­lis­tisch, der Bau­ern­nach­teil wird (natür­lich) oft in den Vor­teil einer offe­nen Turm­li­nie umge­münzt – ein Klam­mern ans bzw. Rück­erobern des Mate­ri­als ist kein Thema. Statt­des­sen scheint die Soft­ware nur einen Blick­win­kel zu haben: den nach vorne.

Ein illus­tra­ti­ves Bei­spiel für die­sen “Komodo-Sound” ist die fol­gende Partie:

Komodo gewinnt mit einem Bauern weniger gegen das Spitzenprogramm Rybka
Komodo gewinnt mit einem Bau­ern weni­ger gegen das Spit­zen­pro­gramm Rybka

Wenn man Komodo so beim Spie­len zuschaut, könnte man mei­nen, im Schach einen Bau­ern weni­ger zu haben wäre kein Nach­teil, son­dern ein Vorteil…

Hier kön­nen Sie die Ori­gi­nal-Par­tien down­loa­den (PGN/zip)

Die Match-Bedin­gun­gen waren:
♦ Teil­neh­mer: Komodo 9.3 kon­tra “Rest der Welt”
♦ Hard­ware: AMD 8350 / 4Ghz / 8-Core-Pro­zes­sor / x64-bit
♦ Soft­ware: Win­dows 10-64bit / Inter­face: Deep Fritz-14 / Alle Endgame-Bases
♦ Kon­di­tio­nen: 10 Min/Engine – 1024 Mb Hash/Engine – 2CPU/Engine – Pon­de­ring off

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Komodo auch über das
1. Engine-Gam­bit-Tur­nier

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