Oudeweetering: Mustererkennung im Mittelspiel (Schach)

Verdeutlichung strategischer Zusammenhänge

von Tho­mas Binder

Mit „Mus­ter­er­ken­nung im Mit­tel­spiel“ liegt nun­mehr die deut­sche Über­set­zung von „Im­pro­ve your ch­ess pat­tern re­co­gni­ti­on“ von Ar­thur van de Ou­de­weete­ring vor. Der knapp 50jährige Hol­län­der dürf­te als Schach­spie­ler nur In­si­dern ein Be­griff sein. Die FIDE führt ihn zur­zeit als In­ter­na­tio­na­len Meis­ter mit ei­ner Elo-Zahl knapp un­ter 2300. Sein schach­li­cher Schwer­punkt liegt in­des in der Ar­beit als Trai­ner und Ko­lum­nist. Von bei­den Prä­fe­ren­zen kön­nen wir als Le­ser sei­nes ak­tu­el­len Wer­kes profitieren!

Arthur van de Oudeweetering: Mustererkennung im Mittelspiel - Schärfen Sie Ihren Blick für Schlüsselzüge im Schach - New in Chess Verlag

Er­fah­re­ne Trai­ner wer­den die The­se be­stä­ti­gen, dass Er­folg im Schach­spiel zu ei­nem gros­sen Teil an das Er­ken­nen ty­pi­scher Stel­lungs­mus­ter und das Um­set­zen der pas­sen­den Ma­nö­ver ge­bun­den ist. Sind die­se Aspek­te bei rein tak­ti­schen Stel­lun­gen so­wie im End­spiel seit lan­gem gut er­forscht und auch trai­nings­me­tho­disch auf­ge­ar­bei­tet, hal­ten kom­ple­xe Stel­lun­gen mit vor­wie­gend stra­te­gi­schem Ge­halt noch viel Ar­beit be­reit. In letz­ter Zeit sind hier­zu ei­ni­ge wich­ti­ge Bü­cher er­schie­nen, so Bron­z­niks „Tech­ni­ken des Po­si­ti­ons­spiels im Schach“ und Nunns „Das Ver­ständ­nis des Mit­tel­spiels im Schach“. Ei­nen et­was an­de­ren Zu­gang – über die Bau­ern­struk­tu­ren – wählt Flo­res Rios in „Ch­ess Struc­tures“. Das vor­lie­gen­de Buch er­gänzt und be­rei­chert die­se Pa­let­te wesentlich.

Konzentration auf das Mittelspiel

Ou­de­weete­ring hat sein Buch in 4 grös­se­re Ab­schnit­te mit ins­ge­samt 40 Ka­pi­teln ge­glie­dert. Je­des ein­zel­ne be­spricht eine ty­pi­sche Stel­lungs­kon­stel­la­ti­on aus­führ­lich in al­len Aspekten.
Im 1. Teil geht es um „Fi­gu­ren auf ty­pi­schen Pos­ten“. Da kom­men alte Be­kann­te vor, wie Sprin­ger auf f5 oder d6 (im Buch „Der Rie­sen­kra­ke“ ge­nannt), Läu­fer auf lan­gen Dia­go­na­len oder ein­ge­sperrt auf h2, wie sei­ner­zeit bei Spas­ski ge­gen Fischer.
Der 2. Teil wid­met sich „kon­train­tui­ti­ven Zü­gen“. Da­bei er­liegt der Au­tor nicht der Ver­su­chung, spek­ta­ku­lä­re Wen­dun­gen vor­zu­füh­ren, son­dern bleibt auch hier se­ri­ös – fast wis­sen­schaft­lich. So ler­nen wir, un­ter wel­chen Um­stän­den z.B. über­ra­schen­de Rück­zü­ge, Dop­pel­bau­ern oder Bau­ern­schlä­ge „zum Rand“ ihre Stär­ke aus­spie­len können.
Teil 3 ist ty­pi­schen Op­fer­wen­dun­gen ge­wid­met –  aber eben nicht je­nen, die man aus Tak­tik­bü­chern kennt und an de­ren Ende ein Matt oder Ma­te­ri­al­ge­winn ste­hen. Hier geht es um po­si­tio­nel­le Op­fer mit Lang­frist­wir­kung. Aus die­ser Ma­te­rie die Ge­setz­mäs­sig­kei­ten her­aus zu ar­bei­ten und ver­ständ­lich zu ana­ly­sie­ren, ist für den Re­zen­sen­ten die gröss­te Stär­ke des gan­zen Bu­ches ge­we­sen. Als Bei­spiel sei der Bau­ern-Vor­stoss e5-e6 ge­nannt. Mit dem Bau­ern­op­fer und dem ver­blei­ben­den Dop­pel­bau­ern teilt Weiss die geg­ne­ri­schen Kräf­te in zwei Hälf­ten, zwi­schen de­nen zu­min­dest kurz­fris­tig kei­ne Ko­or­di­na­ti­on besteht.
Der 4. Teil schliess­lich be­trach­tet kurz­zü­gi­ge Ma­nö­ver mit stra­te­gi­schem Ge­halt, die zum Teil so kon­zen­triert auch noch nicht vor­ge­stellt wur­den, etwa die Turm­ver­dop­pe­lung auf dem Um­weg über die 2. Reihe.

Relevante Ausschnitte in treffenden Anmerkungen erläutert

Arthur van de Oudeweetering - Schach-Autor - Glarean Magazin
Der in­ter­na­tio­na­le Meis­ter und Schach-Au­tor Ar­thur van de Ou­de­weete­ring (*1966)

Je­des ein­zel­ne Ka­pi­tel be­ginnt mit ei­nem ganz kur­zen Ein­füh­rungs­text und en­det mit ei­ner eben­so knap­pen Zu­sam­men­fas­sung. In die­sem Rah­men fol­gen dann pro Ka­pi­tel 6 bis 7 sorg­fäl­tig aus­ge­wähl­te Par­tien. Der nie­der­län­di­sche IM kon­zen­triert sich de­zi­diert auf das je­weils be­spro­che­ne The­ma. Die Er­öff­nung wird ent­we­der ganz aus­ge­las­sen oder un­kom­men­tiert wie­der­ge­ge­ben – was auf das glei­che hin­aus­läuft, denn ein Dia­gramm er­mög­licht in je­dem Fall den Ein­stieg an der pas­sen­den Stel­le. So kon­se­quent ist der Au­tor auch am an­de­ren Ende der Par­tie: Mün­det das be­tref­fen­de Mo­tiv nicht di­rekt in den Par­tie­schluss, wird der wei­te­re Ver­lauf nur noch in Wor­ten angedeutet.
Der re­le­van­te Aus­schnitt hin­ge­gen wird in kur­zen, gut ge­fass­ten An­mer­kun­gen tref­fend er­läu­tert. Ab­wei­chen­de Va­ri­an­ten sind auf das un­be­dingt er­for­der­li­che Mass be­schränkt. Die Kom­men­ta­re fo­kus­sie­ren sehr gut auf das kon­kret be­spro­che­ne The­ma. Sie sind zu­dem an­ge­nehm les­bar – ver­mut­lich glei­cher­mas­sen das Ver­dienst des Au­tors und des Über­set­zers Ha­rald Keilhack.
Schach­li­che Schwä­chen sind aus Sicht des Re­zen­sen­ten nicht aus­zu­ma­chen. Die in­halt­li­che und di­dak­ti­sche Auf­be­rei­tung set­zen Mass­stä­be. Ich sehe nur we­ni­ge Ver­bes­se­rungs­an­sät­ze: Die Ka­pi­tel­über­schrif­ten könn­ten manch­mal et­was we­ni­ger blu­mig for­mu­liert sein. Sie ma­chen zwar neu­gie­rig, hel­fen aber nicht bei der Ori­en­tie­rung. Aus­ser­dem wäre ein zu­sätz­li­cher Mehr­wert zu er­rei­chen, wenn man die schon im Ti­tel an­ge­spro­che­nen Mus­ter auch op­tisch auf den Dia­gram­men her­vor­hebt. Die­ses Ele­ment –  heu­te in der com­pu­ter­ge­stütz­ten Schach­prä­sen­ta­ti­on eine Selbst­ver­ständ­lich­keit – ist in der ge­druck­ten Schach­li­te­ra­tur noch nicht so recht an­ge­kom­men. Ge­ne­rell kämpft ja ge­ra­de bei solch kom­ple­xen The­men das Schach­buch ei­nen schein­bar aus­sichts­lo­sen Kampf ge­gen mo­der­ne Trai­nings­mit­tel und in­ter­ak­ti­ve Me­di­en. Bü­cher wie die­ses zei­gen, wie scha­de es wäre, wenn die­ser Kampf auf Dau­er ver­lo­ren ginge.

Hervorragende Ideen auch für Schachtrainer

Fra­gen wir uns schliess­lich nach der Ziel­grup­pe, die van de Ou­de­weete­ring mit sei­nem Buch er­reicht. Mir fal­len zu­erst Schach­trai­ner ein. Sie fin­den her­vor­ra­gen­de Ideen zur Ver­deut­li­chung stra­te­gi­scher Zu­sam­men­hän­ge und zum Schu­len des Bli­ckes für ty­pi­sche Stel­lungs­mus­ter – und das mit über­legt zu­sam­men­ge­stell­ten Beispielpartien.

FAZIT

Ar­thur van de Ou­de­weete­ring legt mit „Mus­ter­er­ken­nung im Mit­tel­spiel“ ein vor­züg­li­ches Buch zu ei­nem kom­pli­zier­ten The­ma vor. Es ge­lingt ihm, dem Le­ser das Er­ken­nen und Be­wer­ten ty­pi­scher Mit­tel­spiel­stel­lun­gen nahe zu brin­gen. Ne­ben fort­ge­schrit­te­nen Schach­spie­lern dürf­ten vor al­lem Schach­trai­ner sehr von die­ser Ar­beit profitieren.

Wer als Spie­ler von die­sem Werk pro­fi­tie­ren möch­te, wird sich auf eine an­stren­gen­de Ar­beit ein­las­sen müs­sen. Es geht eben nicht ohne kon­zen­trier­tes Durch­ar­bei­ten der ein­zel­nen Bei­spie­le. Im­mer­hin er­leich­tert die Auf­tei­lung in über­sicht­li­che Ka­pi­tel auch die­ses Un­ter­fan­gen. Frei­lich setzt das selb­stän­di­ge Ar­bei­ten mit dem Buch ein schach­li­ches Grund­ni­veau vor­aus, das ich nicht un­ter ei­ner Elo-Spiel­stär­ke von 1800 an­set­zen wür­de – auf­stre­ben­de Ju­gend­spie­ler ein­mal aus­ge­nom­men, de­nen „Mus­ter­er­ken­nung im Mit­tel­spiel“ hier­mit aus­drück­lich emp­foh­len sei. ♦

Ar­thur van de Ou­de­weete­ring: Mus­ter­er­ken­nung im Mit­tel­spiel – Schär­fen Sie Ih­ren Blick für Schlüs­sel­zü­ge im Schach, 300 Sei­ten, New in Ch­ess, ISBN 978-90-5691-615-2

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Mus­ter­er­ken­nung im Schach auch über
An­drew Sol­tis: Stu­dy­ing Ch­ess Made Easy

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