Rainer Wedler: Drei Weihnachtsgrotesken (Kurzprosa)

Drei Weihnachts-Grotesken

Rainer Wedler

Dieses Jahr

haben wir Weih­nach­ten aus­fal­len lassen.
Jetzt hat mein Vater zwei neue Schnei­de­zähne, meine Mut­ter trägt den Arm noch immer in der Schlinge, mei­nem Bru­der sitzt die Nase schief. Warum nur ich kein blei­ben­des oder nicht wenigs­tens ein vor­über­ge­hen­des Andenken ans Fest habe, das wis­sen die Göt­ter. Oder das Christkind. ♦

Der Nikolaus

wird das Christ­kind hei­ra­ten. Eigent­lich fällt sowas ja unter den Pädo­phi­len­pa­ra­gra­phen. Aber Pro­mis sind  eben exempt. Oder es traut sich kei­ner an sie heran. Wie dem auch sei, diese Weih­nach­ten soll die Hoch­zeit gefei­ert werden.
Ein Stör­fak­tor könnte aller­dings Knecht Ruprecht wer­den, das ist der mit der furcht­erre­gen­den Rute. Aber war­ten wir’s ab, viel­leicht gibt’s ja ´nen flot­ten Dreier oder so. ♦

Einen ganz besonders ausgefallenen Weihnachtsschmuck

hat­ten wir im letz­ten Jahr. Oder soll ich sagen, einen abge­fal­le­nen? Es geschah zu der Zeit, da Cyre­nius Land­pfle­ger in Syrien war. Die Nach­ba­rin hatte Sturm geläu­tet, Frohe Weih­nach­ten aller­seits, und sich dabei an einem Sekt­glas fest­ge­hal­ten. Auf die Dauer schien ihr das aber zu unsi­cher, also hängte sie sich mit der freien Hand an den nächst­bes­ten Zweig, auf dem die Ker­zen trau­lich brann­ten, Hal­le­luja, dann ging sie, den Zweig fest­um­klam­mernd,  dabei zwangs­läu­fig den im Lich­ter­glanz erstrah­len­den Baum nach sich zie­hend, mit Getöse zu Boden, klin­ge­ling­klin­ge­ling, ein lus­tig Klir­ren und Knis­tern hub an,  es roch nach bren­nen­dem Tan­nen­grün, eine Eimer­kette war schnell gebil­det und das Haus gerettet.
Der kurz­zei­tige Weih­nachts­schmuck zog sich wachs-, was­ser- und ruhm­be­kle­ckert in die eige­nen Gemä­cher zurück, Frohe Weih­nach­ten und vie­len Dank für den schö­nen Abend. ♦


Rainer Wedler - Schriftsteller - Glarean MagazinRai­ner Wedler

Geb. 1942, nach dem Abitur als Schiffs­junge in die Tür­kei, nach Alge­rien und West­afrika; Stu­dium der Ger­ma­nis­tik, Geschichte, Poli­tik, Phi­lo­so­phie, Pro­mo­tion über Bur­leys “Liber de vita”, zahl­rei­che Lyrik-, Kurz­prosa- und Roman-Veröffentlichungen

Lesen Sie im Glarean Maga­zin auch die Kurz­prosa von Her­bert Fried­mann: Im Lite­ra­tur­haus (Satire)

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