Gustav Mahler: Lied von der Erde (Klavierfassung)

Interessante Rarität, fragwürdige Vortragsmanieren

von Christian Schütte

Zwei Ge­denk­jah­re zu Eh­ren Gus­tav Mahlers rei­chen sich die Hand – 2010 ist sein 150. Ge­burts­jahr, im 2011 sein 100. To­des­tag. Da ver­steht es sich von selbst, dass die Plat­ten­in­dus­trie mit ei­ner Rei­he von Neu­erschei­nun­gen auf das Werk Mahlers auf­merk­sam ma­chen und ei­ner mög­lichst brei­ten Öf­fent­lich­keit prä­sen­tie­ren will. „Das Lied von der Erde“ in der Fas­sung für zwei Kla­vie­re ist da nur eine von vie­len CD-Novitäten.

Gustav Mahler: Das Lieder von der Erde (Piano-Version)Das „Lied von der Erde“ ent­stand in den Jah­ren 1908/09, geht auf Tex­te al­ter chi­ne­si­scher Ly­rik (in ei­ner neu­en deut­schen Text­fas­sung von Hans Beth­ge) zu­rück und wur­de post­hum 1911 un­ter der Lei­tung von Bru­no Wal­ter ur­auf­ge­führt. Die sechs Lie­der mit den Ti­teln „Das Trink­lied vom Jam­mer der Erde“, „Der Ein­sa­me im Herbst“, „Der Pa­vil­lon aus Por­zel­lan“, „Am Ufer“, „Der Trun­ke­ne im Früh­ling“ und „Der Ab­schied“ wer­den ab­wech­selnd von ei­nem Te­nor und ei­nem Alt (oder Ba­ri­ton, wo­bei die Be­set­zung mit ei­ner Alt- bzw. Mez­zo­so­pran­stim­me die gän­gi­ge­re ist) ge­sun­gen, Mahler hat den Zy­klus als gross be­setz­te, sin­fo­ni­sche Mu­sik an­ge­legt. Das „Lied von der Erde“ hat sich, trotz der kom­pli­zier­ten In­hal­te der Tex­te, bis heu­te sei­nen Platz auf den Spiel­plä­nen der Or­ches­ter und Kon­zert­häu­ser bewahrt.

Bild: Mahlers Autograph des Klavierauszugs von
Mahlers Au­to­graph des Kla­vier­aus­zugs von „Der Ab­schied“ aus dem „Lied der Erde“

Be­reits im Sep­tem­ber 1989 ha­ben Bri­git­te Fass­baen­der, Tho­mas Mo­ser und Cy­prien Kats­aris eine von Mahler au­to­ri­sier­te Fas­sung für Kla­vier ein­ge­spielt, die jetzt neu auf CD vor­liegt. Eine ab­so­lu­te Ra­ri­tät im Rei­gen der zahl­rei­che  Einspielungen.

Orchesterklang nur schemenhaft eingefangen

Mahler hat den Or­ches­ter­satz sehr far­big und dif­fe­ren­ziert in­stru­men­tiert. Schon mit den ers­ten Klän­gen des „Trink­lieds“ ver­brei­tet sich der Ein­druck, dass mit nur Kla­vier die­se Far­big­keit schwie­rig zu er­rei­chen ist. Wer die Or­ches­ter­fas­sung gut kennt, wird die­se Fest­stel­lung mit weh­mü­ti­ger Er­in­ne­rung dar­an ei­ni­ge Male tref­fen müs­sen. Cy­prien Kats­aris ist zwei­fels­oh­ne ein ver­sier­ter und kom­pe­ten­ter Mann am Flü­gel, zieht alle Re­gis­ter sei­nes Kön­nens – und kann trotz­dem die klang­li­chen Stim­mun­gen der Lie­der nur sche­men­haft ein­fan­gen, weil das Kla­vier eben doch sehr viel ein­di­men­sio­na­ler bleibt, als es ei­nem voll­be­setz­ten Or­ches­ter mög­lich ist.

Stilistisch fragwürdige Vortragsmanieren

Brigitte Fassbaender - Sängerin - Glarean Magazin
Bri­git­te Fassbaender

Ein Grund da­für, dass Mahler ne­ben der Or­ches­ter­fas­sung die­se re­du­zier­te Kla­vier­fas­sung her­aus­ge­ge­ben hat, könn­te sein, dass er auf die­sem Wege eine grös­se­re Kon­zen­tra­ti­on auf den Text er­mög­li­chen woll­te, der in den Klang­mas­sen des Or­ches­ters all­zu oft arg in den Hin­ter­grund ge­rät. Lei­der las­sen Ar­ti­ku­la­ti­on und Text­ver­ständ­lich­keit so­wohl bei Bri­git­te Fass­baen­der, mehr noch bei Tho­mas Mo­ser ei­ni­ge Wün­sche of­fen, so dass auch in die­ser Hin­sicht die Kla­vier­fas­sung kei­nen deut­li­chen Vor­teil bringt. Tho­mas Mo­ser zeigt zu­dem hör­ba­re und mas­si­ve Schwie­rig­kei­ten mit der Höhe sei­ner Stim­me, neigt zum Stem­men und Schlei­fen der Töne, ver­engt da­durch den Klang und trübt ins­be­son­de­re in den ab­so­lu­ten Spit­zen­tö­nen die In­to­na­ti­on ge­fähr­lich ein.
Bri­git­te Fass­baen­der neigt schon in „Der Ein­sa­me im Herbst“ zum An­sin­gen der Töne von un­ten, was ih­rem Vor­trag ins­ge­samt gros­se Un­klar­heit ver­leiht. Sie tut sich schwer da­mit, gros­se Li­ni­en zu for­men, kommt so nie da­hin, mit der Stim­me ein­fach nur über der Be­glei­tung zu schwe­ben – ge­ra­de die­se Fä­hig­keit er­mög­licht es aber, in die­ser Kom­po­si­ti­on zu ei­ner be­son­de­ren Tie­fe des Aus­drucks zu kom­men. Mehr noch lei­det dann der gross­ar­ti­ge „Ab­schied“ un­ter die­sen sti­lis­tisch frag­wür­di­gen Vortragsmanieren.

Es gibt zahllose Einspielungen der Orchesterfassung des
Es gibt zahl­lo­se Ein­spie­lun­gen der Or­ches­ter­fas­sung des „Lie­des von der Erde“, die Mahlers Grös­se in die­sem Werk un­gleich bes­ser zum Aus­druck brin­gen als die­se Kla­vier­fas­sung. Die zwei ver­dien­ten und hoch­ka­rä­ti­gen Sän­ger Bri­git­te Fass­baen­der und Tho­mas Mo­ser er­wei­sen sich hier kei­nen gu­ten Dienst, in­dem sie sich ge­ra­de die­ses Lie­der­zy­klus‘ an­ge­nom­men haben.

Am Ende bleibt also der Ein­druck zu­rück, dass die­se Neu­ver­öf­fent­li­chung viel­leicht nicht zu den not­wen­digs­ten in den bei­den Mahler-Jah­ren ge­hö­ren mag. Es gibt zahl­lo­se Ein­spie­lun­gen der Or­ches­ter­fas­sung des „Lie­des von der Erde“, die Mahlers Grös­se in die­sem Werk un­gleich bes­ser zum Aus­druck brin­gen als die­se Kla­vier­fas­sung. Die zwei ver­dien­ten und hoch­ka­rä­ti­gen Sän­ger er­wei­sen sich hier kei­nen gu­ten Dienst, in­dem sie sich ge­ra­de die­ses Lie­der­zy­klus an­ge­nom­men ha­ben. Akri­bi­sche Samm­ler von Ra­ri­tä­ten wer­den in­des si­cher ihr In­ter­es­se an der Ein­spie­lung fin­den – wer sich al­ler­dings zum ers­ten Mal die­sem Werk nä­hern möch­te, dem sei der Griff zu die­ser CD nicht nahegelegt. ♦

Gus­tav Mahler: Lied von der Erde, Kla­vier-Fas­sung, Bri­git­te Fass­baen­der / Tho­mas Mo­ser / Cy­prien Kats­aris, Apex CD-La­bel (War­ner)

Le­sen Sie zum The­ma Gus­tav Mahler auch über den Ro­man von Guy Wag­ner: Die Heimkehr

… so­wie zum The­ma Kla­vier­mu­sik über Leo­pold Ko­ze­luch: Kla­vier-So­na­ten (Bd. 1)

aus­ser­dem zum The­ma Mahler im Glarean Ma­ga­zin über Ro­bert See­tha­ler: Der letz­te Satz

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