Stefanie Schaefer: Bild-Meditation (Kurzprosa)

Die Briefleserin

Meditation über ein Bild von Gabriel Metsu

Stefanie Schaefer

Gabriel Metsu: Brief-Leserin
Ga­bri­el Metsu: Die Brief-Leserin

Das schäu­men­de Blau der Wel­len leck­te an dem Schiff. An­fangs bei­na­he zärt­lich wie ein Hund über die zum Strei­cheln an­set­zen­den Hän­de sei­nes Herr­chens, doch dann im­mer gie­ri­ger und gie­ri­ger. Sie stand reg­los da, ent­blöss­te mit der rech­ten Hand das Bild von dem schwe­ren, sei­den schim­mern­den Vor­hang, im lin­ken Arm noch den Was­ser­ei­mer hal­tend. Stand und be­trach­te­te die Sze­ne­rie. Stand so lan­ge, bis sich der tür­kis­far­be­ne Him­mel un­ter ih­ren ah­nungs­vol­len Bli­cken ver­düs­ter­te und die im­mer grös­ser wer­den­den Wel­len mit dem im­mer klei­ner wer­den­den Schiff ihr höh­ni­sches Spiel trieben.
`Wie kommt es nur, dass ich die Ent­fer­nung, die zwi­schen uns liegt, nicht spü­re? Ich spü­re sie nicht, aber ich wünsch­te, ich wür­de es tun. Ich wünsch­te, ich wür­de dich nicht in Al­lem, was mich um­gibt, er­ken­nen! Zum Bei­spiel in der Art, wie das Licht in ei­nem be­stimm­ten Mo­ment  in die­sen Raum fällt und ihn mit dei­ner Fröh­lich­keit und Güte er­wärmt. In die­sen Raum, der sonst durch die Ge­gen­wart dei­ner Frau klei­ner und en­ger wird, als er sich an­fühlt. Der glei­cher­mas­sen er­drückt wird von ih­ren nei­di­schen Bli­cken, die sich er­bar­mungs­los auf je­den mei­ner Schrit­te, auf jede der hun­dert­tau­send Be­we­gun­gen hef­ten, die ich tag­täg­lich beim Put­zen, Wa­schen, Bü­geln und Bet­ten­ma­chen ver­rich­te. (Mit ei­ner An­mut, die ei­ner Dienst­magd fern ist und die ih­res­glei­chen sucht, wie du mir ein­mal zu­ge­flüs­tert hast.) Nur jetzt ru­hen ihre schwe­ren Au­gen nicht auf mir, jetzt sitzt sie kei­ne zwei Schrit­te ent­fernt auf ei­nem Stuhl und liest dei­nen Brief. Ich kann ihre Käl­te auf mei­nem Ge­sicht spü­ren. – Was schreibst du ihr? Wor­te der Lie­be, des Ver­mis­sens, der gros­sen Ver­spre­chun­gen, die sich nie er­fül­len, weil der, der ver­spricht, ver­gisst, dass die Din­ge sich stän­dig än­dern; dass nichts Be­stand hat. Wie gern wür­de ich  si­cher sein kön­nen, dass es an­ders ist, dass das, was ich als wirk­lich emp­fin­de, auch von dir als wirk­lich emp­fun­den wird!`
Ihr Blick rich­te­te sich un­ver­se­hens wie­der auf das Bild: Was wür­de er in ihm se­hen? Die leicht be­weg­te See, auf des­sen schäu­mend blau­en Wel­len­kro­nen ein Schiff­chen tanzt oder ei­nen durch ein schreck­li­ches Un­wet­ter in Not ge­ra­te­nen Dampfer?
Ein plötz­li­ches Ra­scheln riss sie aus ih­ren Ge­dan­ken­gän­gen. Die Haus­her­rin fal­te­te den Brief ih­res sich auf ei­ner sei­ner Ge­schäfts­rei­sen be­fin­den­den Man­nes zu­sam­men und steck­te ihn in den Um­schlag zu­rück. Die Dienst­magd be­griff dies auch so­gleich als An­lass, ihre Ar­beit wie­der auf­zu­neh­men. Be­hut­sam liess sie den schwe­ren, sei­den schim­mern­den Vor­hang wie­der über das Bild glei­ten. Da spür­te sie plötz­lich eine Be­rüh­rung am rech­ten Bein. Es schien ihr, als ob der Hund des Haus­herrn über ihre Wade ge­stri­chen wäre. Doch die Be­rüh­rung er­wies sich als so flüch­tig, dass man sich fra­gen könn­te, ob sie nicht  nur ein­ge­bil­det war. ♦


Ste­fa­nie Schaefer

Geb. 1984 in Bühl/D, Stu­di­um der Neue­ren Deut­schen Li­te­ra­tur und der Ro­ma­nis­tik (Ita­lie­nisch und Fran­zö­sisch) in Tü­bin­gen, Pro­mo­ti­on 2010

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch von die Bild-Me­di­ta­ti­on von Bea­trix Ma­ria Kram­l­ovs­ky: Der Fisch

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