Klaus Martens: Treibholz (Drei Gedichte)

Mondgedicht – Treibholz – Fernweh

Mondgedicht

Ein wenig ein­ge­dellt, unten links,
Alters­schat­ten über den Backen,
unter den Augen, auf jeden Fall:
Bald prall, voll, Cortison-Mond –

Mond­ge­sicht, wie man sich’s vorstellt,
alters­los-alt, aus­ge­füllt, eingefüllt
wie ein For­mu­lar, Antrag auf Ope –
ration, ein­mal im Mond, Botox –

Mond­ver­zicht bei tie­fer Wolke,
doch Mond ist Pflicht, ich liebe dich,
wenn Mond­licht ist, so hell und rund,
ich: blind und dumm, mondsüchtig.


Treibholz

Die­ses fast ent­häu­tete Stück Holz von einem ver­ges­se­nen Strand
kann nicht mit einer in Bewe­gung erstarr­ten Schlange
ver­wech­selt wer­den, die kie­fer­ar­tige Sprei­zung an einem Ende ist
kein zahn­los auf­ge­ris­se­nes Maul.

Hier und da sind braun gefleckte Fet­zen Rinde fest geblieben
über dem hell und glatt gespül­ten Leib des gewun­de­nen Holzes.
In den Gabe­lun­gen der zwei abge­split­ter­ten Äste nisten –
ja, was? – ein fast ver­senk­tes, fla­ches, graues Steinchen

und, am Kopf­ende des leicht gewor­de­nen Kör­pers, ein wohl runder
Stein, die auf dem Holz­weg mit­ge­nom­men wor­den sind
und nun, nach­dem sie bei­nah Teil gewor­den waren,
Kugel­la­ger feh­len­der Gelenke, Ruhe haben.

Ich hab ver­stoh­len an dem Fund geschnup­pert, ob nach Jah­ren noch
Geruch von Meer und Tang und Salz als fei­ner Hauch
vor­han­den wären, aus­ge­löst aus brau­ner Haut durch mei­nen war­men Atem,
doch war da nichts zu spü­ren; der Rest blieb Ansichtssache.


Fernweh

Alles drängt sich
in Bella Coola,
in Ashtabula
in Ganz-weit-weg.

Such den Nachbarn
in Owajema,
in Iwo Jima –
schon vor dir da.

Ach, bleib Zuhause
in Posemuckel,
in Huckelriede,
wenn du dich traust.

Erzähl von Bären
in dei­nem Zimmer
oder auch immer,
wohin du schaust.

Alles drängt sich
in dei­nem Kopfe,
unter dem Schopfe,
es ist ganz nah.


Klaus Mar­tensKlaus Martens - Glarean Magazin

Geb. 1944 in Kirchdorf/D, Stu­dium der Anglis­tik und Ger­ma­nis­tik in Göt­tin­gen, Pro­mo­tion 1979, zwi­schen 1979 und 1989 Lehr­auf­träge an den Uni­ver­si­tä­ten Göt­tin­gen, Müns­ter und Kas­sel, zahl­rei­che lite­ra­tur­wis­sen­schat­li­che und über­set­ze­ri­sche Publi­ka­tio­nen in Büchern und Zeit­schrif­ten, Mit­glied des PEN Deutsch­land, diverse Lyrik-Ver­öf­fent­li­chun­gen, lebt als emer. Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor in Saarbrücken/D

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Neue Lyrik auch von Mat­thias Ber­ger: Drei Zeit-Gedichte

aus­ser­dem in der Rubrik “Gedicht des Tages” von Lud­wig Uhland: Lob des Frühlings

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