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Mondgedicht – Treibholz – Fernweh
Mondgedicht
Ein wenig eingedellt, unten links,
Altersschatten über den Backen,
unter den Augen, auf jeden Fall:
Bald prall, voll, Cortison-Mond –
Mondgesicht, wie man sich’s vorstellt,
alterslos-alt, ausgefüllt, eingefüllt
wie ein Formular, Antrag auf Ope –
ration, einmal im Mond, Botox –
Mondverzicht bei tiefer Wolke,
doch Mond ist Pflicht, ich liebe dich,
wenn Mondlicht ist, so hell und rund,
ich: blind und dumm, mondsüchtig.
Treibholz
Dieses fast enthäutete Stück Holz von einem vergessenen Strand
kann nicht mit einer in Bewegung erstarrten Schlange
verwechselt werden, die kieferartige Spreizung an einem Ende ist
kein zahnlos aufgerissenes Maul.
Hier und da sind braun gefleckte Fetzen Rinde fest geblieben
über dem hell und glatt gespülten Leib des gewundenen Holzes.
In den Gabelungen der zwei abgesplitterten Äste nisten –
ja, was? – ein fast versenktes, flaches, graues Steinchen
und, am Kopfende des leicht gewordenen Körpers, ein wohl runder
Stein, die auf dem Holzweg mitgenommen worden sind
und nun, nachdem sie beinah Teil geworden waren,
Kugellager fehlender Gelenke, Ruhe haben.
Ich hab verstohlen an dem Fund geschnuppert, ob nach Jahren noch
Geruch von Meer und Tang und Salz als feiner Hauch
vorhanden wären, ausgelöst aus brauner Haut durch meinen warmen Atem,
doch war da nichts zu spüren; der Rest blieb Ansichtssache.
Fernweh
Alles drängt sich
in Bella Coola,
in Ashtabula
in Ganz-weit-weg.
Such den Nachbarn
in Owajema,
in Iwo Jima –
schon vor dir da.
Ach, bleib Zuhause
in Posemuckel,
in Huckelriede,
wenn du dich traust.
Erzähl von Bären
in deinem Zimmer
oder auch immer,
wohin du schaust.
Alles drängt sich
in deinem Kopfe,
unter dem Schopfe,
es ist ganz nah.
Geb. 1944 in Kirchdorf/D, Studium der Anglistik und Germanistik in Göttingen, Promotion 1979, zwischen 1979 und 1989 Lehraufträge an den Universitäten Göttingen, Münster und Kassel, zahlreiche literaturwissenschatliche und übersetzerische Publikationen in Büchern und Zeitschriften, Mitglied des PEN Deutschland, diverse Lyrik-Veröffentlichungen, lebt als emer. Universitätsprofessor in Saarbrücken/D
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Neue Lyrik auch von Matthias Berger: Drei Zeit-Gedichte
ausserdem in der Rubrik “Gedicht des Tages” von Ludwig Uhland: Lob des Frühlings