Rainer Wedler: Hui Buh (Satire)

Hui Buh

Rainer Wedler

Auch in ei­nem klei­nen Ort ist ab und zu mal die Po­li­zei un­ter­wegs, und sei es nur aus Lan­ge­wei­le oder zur Ab­wechs­lung, bes­ser ge­sagt: Lan­ge­wei­le lechzt nach Ab­wechs­lung. Wie dem auch sei, Po­li­zei­haupt­meis­ter Pie­ren­kamp hat mit Po­li­zei­ober­meis­te­rin Bartel­sen vor ei­ni­ger Zeit ver­ein­bart, bei je­der neu­en Tour die Po­si­ti­on zu wech­seln, jetzt also hat Pie­ren­kamp es sich hin­ter dem Lenk­rad ge­müt­lich ge­macht, die neue E-Klas­se ist schon ein tol­les Ge­fährt, sagt er je­des Mal und freut sich. Auf sol­che alt­ba­cke­nen Be­mer­kun­gen muss Fen­ja nicht mehr re­agie­ren, das hat sich im Lauf der Zeit von al­lein so re­gu­liert. Sie ge­nießt die hel­le Früh­lings­son­ne, prüft ihre frisch an­ge­mal­ten Fin­ger­nä­gel auf klit­ze­klei­ne Feh­ler und ist glück­lich, dass der Zu­fall die bei­den Nord­lich­ter im tiefs­ten Bay­ern zu­sam­men­ge­führt hat.

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Auch in ei­nem klei­nen Ort kann es für ein paar Me­ter zwei­spu­rig für zwei Am­peln wer­den. Die E-Klas­se links, ein ält­li­cher Golf mit deut­li­chen Ge­brauchs­spu­ren rechts. Fen­ja Bartel­sen hat ihre Na­gel­kon­trol­le ohne grö­ße­re Be­an­stan­dun­gen be­en­det, sieht nach links, aber hallo!
Was is?
Me­ga­geil, sag ich dir.
Ja, was jetzt?
Ich halt mal die Kel­le raus.
Der alte Golf will flüch­ten, die Si­re­ne lässt ihn rechts ranfahren.
Ist ehr­lich megageil!
Eine klei­ne Zie­ge sitzt auf dem Schoß der Bei­fah­re­rin und mampft vom Stroh, das auf dem Ar­ma­tu­ren­brett mit ei­nem Stück Draht­zahn be­fes­tigt ist.
Ih­ren Füh­rer­schein, bitte.
Ne­ben der jun­gen Frau, die dem Zick­lein die Fla­sche gibt, sitzt die Mut­ter, wie sich auf Nach­fra­ge her­aus­stellt. Die kramt jetzt in ih­rer vo­lu­mi­nö­sen Ta­sche aus ab­ge­schab­tem Le­der, fin­det end­lich den ver­lang­ten F-Schein. Die klei­ne Zie­ge schnappt danach.
Jetzt ist aber ge­nug, ge­ben Sie mir end­lich den Lappen!
Der Lap­pen ist schon lan­ge kein Lap­pen mehr und Fen­ja schon ziem­lich gereizt.
Also Frau Wein­ser, was soll das Vieh da?
Das Vieh ist kein Vieh, das ist Hui Buh, un­se­re Hui Buh.
So tönt es von der Ziegenhüterin.
Fen­ja tönt auf der­sel­ben Wel­le zu­rück, Ih­ren Personalausweis.
Die Bei­fah­re­rin sperrt das Maul auf wie eine aus­ge­wach­se­ne Zie­ge, was?
Den Personalausweis!
Ele­na Wein­ser, Mut­ter und Tochter?!
Ele­na nickt und küsst das Vieh aufs Maul. Fiet­je lässt sich die Adres­se ge­ben, Fen­ja geht um den er­grau­ten Golf, tritt ge­gen ei­nen Rei­fen, no­tiert das Num­mern­schild, sagt zu Mut­ter und Toch­ter, Sie wer­den mit ei­ner An­zei­ge rech­nen müs­sen, tippt kurz an sein Müt­zen­schild, Sie kön­nen jetzt weiterfahren.
Die bei­den Be­mütz­ten grin­sen sich an, Hui Buh, auf geht`s, grinst Fenja.
Man fährt schon seit bald zwei Jah­ren mit­ein­an­der Strei­fe, so ein Benz ist ziem­lich geräumig.
Jetzt sagt sie apart, und was macht mein Zie­gen­bock nach Feierabend?

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Die Po­li­zei hat ihre Pflicht er­füllt, das Land­rats­amt kommt jetzt ins Spiel, das ganz schnell zu Ende ist. Der Zie­gen­bock wird un­ter Ge­schrei und Ge­bo­xe ab­ge­holt, auch er tritt ge­gen die Tier­pfle­ger, er ahnt wohl, dass eine wun­der­ba­re Zeit für ihn zu Ende geht. Er wird auf ei­nen Gna­den­hof ge­bracht. Die amt­li­che Be­grün­dung: Das Tier ist nicht art­ge­recht ge­hal­ten wor­den. Gleich­zei­tig wird die Ent­eig­nung angeordnet.
Die Frau­en aber, ih­res Bett­ge­nos­sen be­raubt, zie­hen vor Gericht.
Die an­de­ren Zie­gen ha­ben un­se­ren Hui Buh im­mer ge­mobbt, des­halb. Und die Toch­ter er­gänzt, des­halb hat er kaum noch was ge­ges­sen, ja, er wäre be­stimmt verhungert.
Das Ge­richt in Ge­stalt ei­ner für die­sen Job viel zu hüb­schen Rich­te­rin entscheidet:
Das Tier wur­de nicht art­ge­recht ge­hal­ten, das ging so weit, dass der Zie­gen­bock, sa­gen wir es vor­sich­tig, ein auf den Men­schen ge­präg­tes Se­xu­al­ver­hal­ten zeig­te. Letz­te­res wird im an­hän­gen­den Straf­ver­fah­ren ver­han­delt werden.
Mut­ter und Toch­ter be­gin­nen zu wei­nen, wie ab­ge­spro­chen, über­haupt ist das Gan­ze hier ein klei­nes Thea­ter. Die Rich­te­rin kann sich ein La­chen nicht län­ger ver­knei­fen und denkt doch da­bei, dass in ih­rer schi­cken Woh­nung ihr Wuffy auf sie war­tet, bellt, wenn er die Schlüs­sel hört, schwanz­we­delnd zu ihr hoch­springt, kaum ist die Tür auf. ♦


Rainer Wedler - Schriftsteller - Glarean MagazinRai­ner Wedler

Geb. 1942, nach dem Ab­itur als Schiffs­jun­ge in die Tür­kei, nach Al­ge­ri­en und West­afri­ka; Stu­di­um der Ger­ma­nis­tik, Ge­schich­te, Po­li­tik, Phi­lo­so­phie, Pro­mo­ti­on über Bur­leys „Li­ber de vita“; zahl­rei­che Ly­rik-, Kurz­pro­sa- und Roman-Veröffentlichungen

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN auch die Sa­ti­re von Rai­ner Wed­ler: Kei­ner hat Gott­fried Wil­helm gefragt

Au­ßer­dem zum The­ma Sa­ti­re von Pe­ter Biro: Des Kö­nigs win­di­ge Ansprache


 

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