Inhaltsverzeichnis
Fokussiert auf das Spitzenschach
von Mario Ziegler
Wir leben im digitalen Zeitalter – auch das Schach und seine millionenfachen Adepten. Persönliches Handy und heimische Computersoftware geben längst den Takt an beim Königlichen Spiel. Daneben existieren aber nach wie vor eine Reihe traditionsreicher Print-Medien. Der neue Serien-Report im Glarean Magazin über Schachzeitschriften stellt die wichtigsten nationalen und europäischen Titel vor. Heute: SCHACH – Deutsche Schachzeitung.
Das Internet bestimmt unser Leben in einem Ausmass, wie man es noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten hätte. Informationen fliessen uns im Sekundentakt zu; was in diesem Moment am anderen Ende der Welt geschieht, können wir nach wenigen Minuten auf dem heimischen Computer, Tablet oder Handy lesen. Die Kehrseite der Medaille ist der zunehmende Rückgang gedruckter Literatur, für die es immer schwieriger wird, sich gegen die elektronische Konkurrenz zu behaupten. Denn Bücher, Zeitschriften und Zeitungen sind in der Regel teurer als die vielfach kostenlosen digitalen News.
Wo liegt also grundsätzlich der Mehrwert eines Printmediums? In dieser Serie soll es nicht um das Haptische gehen, nicht um das “Leseerlebnis”, sondern um inhaltliche Aspekte. Im Rahmen eines grossen Reports sollen einige nationale und internationale Schachzeitschriften in den Blick genommen und dabei die Frage beantworten werden, wo diese Print-Medien mehr oder Anderes bieten als die diversen Homepages mit Schachnachrichten.
Anspruchsvolles Schachperiodikum
Die Monats-Zeitschrift “SCHACH – Deutsche Schachzeitung” weist eine starke Fokussierung auf das Spitzenschach auf, was sich in der Auswahl der Autoren sowie in den umfangreichen Analysen widerspiegelt. Durch die immer wieder in die Berichte eingeflochtenen O-Töne der Beteiligten und die Rubriken “Schachfragen” und “Probleme und Studien” hebt sich die Zeitschrift von anderen deutschen Publikationen ab.
“Der Exzelsior Verlag wurde 1999 in Nachfolge des Berliner Sportverlages gegründet. Unser Flaggschiff ist die monatlich herausgegebene Zeitschrift SCHACH, die seit 1947 erscheint und sich nach 1990 als anspruchsvollstes deutschsprachiges Schachperiodikum etabliert hat. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der exklusiven Vor-Ort-Berichterstattung über nationale und internationale Spitzenereignisse. Zu unseren Autoren zählt die komplette Weltelite von Magnus Carlsen über Viswanathan Anand und Levon Aronjan bis hin zu ‘Kommentatoren-Grossmeistern’ wie Peter Swidler und Nigel Short. Breiten Raum nehmen daneben ständige Rubriken, u. a. mit Lehrcharakter, ein” – so liest sich das durchaus selbstbewusste Portrait auf der Homepage des Berliner Exzelsior Verlags.
Ursprünge in der DDR

Die Geschichte der Zeitschrift spiegelt die Veränderungen auf dem deutschen Schachzeitschriftenmarkt wider. 1947 wurde sie unter dem Titel “Schach-Express” in der ehemaligen DDR gegründet. 1996 übernahm sie die Zeitschrift “Schach-Report”, in die ihrerseits bereits 1989 das älteste deutsche Schachorgan, die “Deutsche Schachzeitung”, aufgegangen war. Durch den heute verwendeten Untertitel von “Schach”, nämlich “Deutsche Schachzeitung”, stellt sich das Magazin in deren Tradition. Chefredakteur ist seit 1991 GM Raj Tischbierek.
Meiner Besprechung liegen die Ausgaben 12/1019 und 1/2020 zugrunde. Der Umfang jeder Ausgabe variiert leicht, liegt aber etwa bei 80 Seiten im Format A5. Der Druck ist dreispaltig gesetzt, die zahlreichen Fotos schwarzweiss.
Berichte über herausragende Turniere

Nach Inhaltsverzeichnis, Impressum und Vorwort, in dem IM Dirk Poldauf aktuelle Themen der Schachwelt aufgreift, folgen umfangreiche Berichte über herausragende Turniere. In Heft 12/2019 war dies der FIDE-Chess.com-“Grand Swiss” auf der Isle of Man, wobei der hauptsächliche Fokus auf der Qualifikationsmöglichkeit für das Kandidatenturnier lag (S. 4-28). Oft werden bei solchen umfangreichen Turnierberichten neben dem Sieger besondere Personen in den Fokus gerückt, so auch hier: “Die Deutschen” (Keymer, Blübaum und Huschenbeth), “Die Inder” (Gukesh, Sadhwani und Sarin), “Die Frauen” (Dronavalli und Sadwakassowa). Auffallend ist, dass “Schach” die dritte GM-Norm für Vincent Keymer erwähnt und würdigt, sich aber der überschwänglichen Lobeshymnen enthält, die im Internet gesungen wurden.
Als zweiter grosser Bericht folgt in 12/2019 der Grand-Prix in Hamburg, ebenfalls eine Qualifikationsmöglichkeit für das Kandidatenturnier (S. 30-37), und die Mannschafts-Europameisterschaft in Batumi (S. 38-52). In Heft 1/2020 wird ausführlich auf das Finale der Grand Chess Tour in London eingegangen (S. 4-12), danach auf das Tiebreak-Match zwischen Grischuk und Duda, mit welchem sich der Russe einen Platz im Kandidatenturnier sicherte (S. 14-22).
Spezialität: Die deutsche Schach-Bundesliga
Neben diesen grossen Artikeln sind kürzere Turnierberichte enthalten, gewöhnlich aus der Feder eines Beteiligten, etwa in 12/2019 über die Schweizer Mannschaftsmeisterschaft, die Offene Internationale Bayerische Meisterschaft oder die Weltmeisterschaft im Chess960, in 1/2020 über den Europapokal, das Grand Chess Tour-Turnier in Kolkata oder das Open in Heusenstamm.
Die Schachbundesliga nimmt während der Saison einen breiten Raum in “Schach” ein. In 12/2019 gibt es einen Vorbericht mit den Mannschaftsaufstellungen (S. 53-55), in 1/2020 einen Überblick über die ersten vier Runden (S. 47-59). Kein anderes Magazin berichtet so umfassend über die deutsche Eliteliga wie “Schach”.
Etwas aus dem Rahmen fallen Artikel, die sich mit historischen Themen befassen. In 1/2020 ist dies ein Artikel (genauer gesagt: der zweite Teil eines Artikels) von Dr. Robert Hübner über das Interzonenturnier 1979 in Rio de Janeiro, wie bei Hübner zu erwarten bereichert durch umfassende Analysen. Auch wenn ich selbst starke Sympathien für Schachgeschichte hege und diesen Artikel mit grossem Interesse gelesen habe, erscheinen mir diese Texte in einem Magazin, das ansonsten sehr stark auf aktuelles Weltklasseschach abhebt, wie ein Fremdkörper.
Rubriken mit persönlicher Note

Als regelmässige Rubriken enthält SCHACH neben “News” (nationale und internationale Kurznachrichten) Rezensionen aus der Feder von IM Frank Zeller, die von GM Michael Prusikin betreuten Taktikrubriken “Hohe Schule der Kombination” (jeweils eine Angriffspartie, eine Eröffnungsfalle und eine Studie) und “Kombinationen” (18 Taktikaufgaben zum Selberlösen) und die “Schach-Fragen”. Letzteres ist ein Fragebogen an Persönlichkeiten aus der Schachwelt (im Fall der besprochenen Hefte der deutsche IM Dietmar Kolbus, der mittlerweile auf der Isle of Man lebt, und die Exweltmeisterin Nona Gaprindaschwili) mit 19 sich wiederholenden und einer speziell auf den Befragten zugeschnittenen Frage.
Natürlich fallen die Antworten unterschiedlich ausführlich aus, und manchmal sind sie auch ausgesprochen nichtssagend, z.B. im Fall von Nona Gaprindaschwili: “Welche Spieler würden Sie einladen, wenn ein Sponsor Sie mit der Ausrichtung eines Turniers beauftragen würde?” – “Aaaach, da gibt es heute so viele Möglichkeiten! Wie sich alles entwickelt hat… Allein, dass heute die Chinesen überall dabei sind, und wie stark sie geworden sind! Das war zu ‘meinen Zeiten’ überhaupt noch nicht absehbar.” – “Mit wem würden Sie gerne einen Tag lang tauschen und warum?” – “Warum tauschen? Ich bin mit mir zufrieden.” – “Wann haben Sie zum letzten Mal etwas zum ersten Mal getan und was?” – “Das ist keine Frage für mich.”
Nun ja, das ist wenig erhellend, dennoch finde ich diese Rubrik persönlich eine der interessantesten des Heftes, erlaubt sie doch manchen persönlichen Einblick.
Betreuung des Problem- und Studien-Schachs
Zuletzt möchte ich “Probleme und Studien” hervorheben, die von Franz Pachl betreut wird. Diese vierseitige Rubrik bietet Berichte über Problem- und Studienturniere, Turnierausschreibungen und natürlich viele Probleme, darunter etliche Urdrucke. Natürlich ist dies ein Thema für Spezialisten, aber es gibt in Deutschland – mit Ausnahme solcher Nischenpublikationen wie “Feenschach” – keine andere Zeitschrift, die sich so ausführlich mit dem Bereich des Kunstschachs befasst.
Fazit: Generell weist SCHACH eine starke Fokussierung auf das Spitzenschach auf. Breitenschach sowie regionale Schachereignisse werden nur selten thematisiert. Diese Ausrichtung spiegelt sich in der Auswahl der Autoren sowie in den Analysen wider, die sich durchgängig auf hohem Niveau bewegen. Damit werden als Zielgruppe tendenziell stärkere Spieler angesprochen. Als besonders interessant empfinde ich die immer wieder eingeflochtenen O-Töne und Interviews, in denen auf kritische Moment einer Partie oder eines Turniers, aber auch auf übergreifende Themen eingegangen wird. Im Vergleich zu anderen Publikationen berichtet “Schach” sehr ausführlich über die deutsche Bundesliga und weist mit den “Schachfragen” und “Probleme und Studien” zwei Rubriken auf, die keine andere deutsche Schachzeitschrift in dieser Form bietet. ♦
Zeitschrift SCHACH – Deutsche Schachzeitung, monatlich, Exzelsior Verlag, ISSN 0048-9328
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Schach in der DDR auch über Manuel Friedel: Schach und Politik in der DDR