Peter Biro: Die Liebe zu den drei Organen (Satire)

Die Liebe zu den drei Organen

oder

Wie es Herz-Terz, Leber-Kleber und Milz-Pilz im Spital erging

Pe­ter Biro

Sorg­fäl­tig tupf­te Schwes­ter Thek­la die hohe Den­ker­stirn des un­er­müd­lich im Dau­er­ein­satz ste­hen­den Chir­ur­gen Dr. Swe­ren-Nö­then, der die­se kom­ple­xe, drei­fa­che Or­gan­trans­plan­ta­ti­on auf sich ge­nom­men hat­te, ob­wohl ihm alle da­von ab­zu­ra­ten ver­sucht hat­ten – ver­ge­bens natürlich.
“Das kann nicht gut­ge­hen, Wil­helm”, hat­te ihm tags zu­vor sei­ne treue Ehe­frau, Dr. El­frie­de Nö­then, die Sa­che aus­zu­re­den ver­sucht, ih­rer­seits als er­fah­re­ne Pr­ok­to­lo­gin mit den ope­ra­ti­ven Schwie­rig­kei­ten ei­ner Trip­pel-Trans­plan­ta­ti­on ver­traut. Sie wuss­te nur zu gut, was da­mit für ih­ren Mann auf dem Spiel stand. Aber sie kann­te ihn zur Ge­nü­ge um zu wis­sen, dass sie ihn nicht auf­hal­ten konn­te, wenn er schon mal ei­nen der­art schwer­wie­gen­den Ent­schluss ge­fasst hat­te. Wenn es je­man­den gab, der das Un­ge­mach­te ma­chen, das Un­ge­wag­te wa­gen und das Un­ge­heu­er­li­che ge­heu­ern wür­de, dann käme nur ei­ner da­für in Fra­ge: ihr cou­ra­gier­ter Gat­te, der be­wun­der­te und um­strit­te­ne, neue Star­chir­urg des Uni­ver­si­täts­spi­tals Zürich.
“Tun Sie es lie­ber nicht”, wa­ren die letz­ten Wor­te sei­nes Chefs, des Pro­fes­sors Pro­ko­fiew, be­vor die­ser in sei­nen im­pro­vi­sier­ten Ka­ri­bi­k­ur­laub auf­brach, nach­dem er da­von er­fah­ren hat­te, dass ein be­son­ders ri­si­ko­rei­cher Ein­griff ge­plant war. Er woll­te lie­ber nicht zu­ge­gen sein, wenn das Vor­ha­ben nicht gut aus­ging, und erst recht nicht, wenn die Pres­se über den ge­schei­ter­ten Mit­ar­bei­ter sei­ner bla­mier­ten Ab­tei­lung her­fal­len und die ris­kan­te Ak­ti­on in Fra­ge stel­len würde.

An je­nem schick­sal­haf­ten Tag, als Dr. med. Dr. h.c. Wil­helm Swe­ren-Nö­then die ein­sa­me Ent­schei­dung traf, den noch nie durch­ge­führ­ten Ein­griff der gleich­zei­ti­gen, drei­fa­chen Or­gan­trans­plan­ta­ti­on, näm­lich von Herz, Le­ber und Milz in ei­ner vor­aus­sicht­lich 33-stün­di­gen Ope­ra­ti­on am of­fe­nen Fens­ter des Ope­ra­ti­ons­saals Nr. 3 durch­zu­füh­ren, war das Ent­set­zen in sei­nem Um­kreis rie­sen­gross. Sei­ne Se­kre­tä­rin und heim­li­che Ge­lieb­te, Fräu­lein Knie­bel, von de­ren Dop­pel­rol­le alle aus­ser El­frie­de Be­scheid wuss­ten, fleh­te ihn buch­stäb­lich auf Knien an, es nicht zu tun.
“Du gehst ein zu gros­ses Wag­nis ein, Wil­li”, sag­te sie ein­dring­lich, nach­dem sie sich aus sei­ner kräf­ti­gen Um­ar­mung ge­löst hat­te. “Nach dei­nem Raus­wurf aus der Schwarz­wald­kli­nik ris­kierst du nun das­sel­be hier noch­mal”, jam­mer­te das “ke­cke Knie­b­lein”, wie er sie manch­mal zärt­lich nannte.
Sie be­stürm­te ihn mit nicht nach­las­sen­dem Ei­fer: “Be­den­ke nur, mein Liebs­ter, wenn es zu ei­ner fa­ta­len Trans­plan­tat­ab­stos­sung kommt und dich das Uni­spi­tal in Schan­de ent­lässt, dann kannst du dei­ne Kar­rie­re end­gül­tig be­gra­ben. Und un­se­re sorg­fäl­tig ge­plan­te Kon­gress­rei­se zu zweit im Nacht­zug nach Bux­te­hu­de kön­nen wir auch vergessen”.

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Wil­li woll­te auf die kri­ti­schen Stim­men nicht hö­ren, we­der auf die sei­ner Frau, noch auf die sei­ner Ge­lieb­ten, die bei­de in die­ser Sa­che aus­nahms­wei­se der glei­chen Mei­nung wa­ren. Er fühl­te ei­nen star­ken in­ne­ren Drang, die Gren­zen der Schul­me­di­zin ei­gen­hän­dig zu spren­gen und das bis da­hin Un­ge­wag­te zu wa­gen: Die drei durch Al­ko­hol, Zi­ga­ret­ten­rauch und Nou­gat­cré­me schwer ge­schä­dig­ten Or­ga­ne zu er­set­zen, wel­che dem Le­ben des Pa­ti­en­ten W.J. aus Z. bald ein Ende set­zen wür­den, wenn nichts Ra­di­ka­les un­ter­nom­men wird.
Nein, Dr. Swe­ren-Nö­then konn­te gar nicht an­ders. Er glaub­te an die schick­sal­haf­te Fü­gung, die sich durch ei­nen Zu­fall er­ge­ben hat­te: Auf der ei­nen Sei­te ein Pa­ti­ent, der an der un­heil­ba­ren “Schwe­di­schen Pa­pa­gei­en­grip­pe” er­krankt war, und an­de­rer­seits die zeit­glei­che Ein­lie­fe­rung von drei hirn­to­ten Berg­wan­de­rern, die viel zu eng an­ge­seilt, ge­mein­sam in eine Glet­scher­spal­te ge­stürzt wa­ren und aus­ge­rech­net die pas­sen­den Or­ga­ne vor­rä­tig hat­ten. Oben­drein be­wahr­te die Käl­te des Glet­scher­ei­ses die Spen­der­or­ga­ne in bes­tem Zu­stand. Das al­les war auf ein­mal da – und Swe­ren-Nö­then war am rich­ti­gen Ort zur rich­ti­gen Zeit, um es zum ers­ten Mal zu ver­su­chen. Er muss­te die­se Ge­le­gen­heit beim Schopf er­grei­fen und die bis da­hin als un­durch­führ­bar gel­ten­de Trip­pel-Trans­plan­ta­ti­on wagen.

Wenn das kein Wink des Him­mels war?”, rä­so­nier­te Schwes­ter Thek­la, wäh­rend sie dem kon­zen­triert ar­bei­ten­den Chir­ur­gen folg­sam die be­stell­ten In­stru­men­te vor­be­rei­te­te. Nor­ma­ler­wei­se pfleg­te sie an der Sei­te des Star­chir­ur­gen ei­nen eher harm­lo­sen Small­talk zu füh­ren und im­mer wie­der drauf­los zu plap­pern. Dies­mal war ihm je­doch über­haupt nicht nach den üb­li­chen Wort­wech­seln über Fe­ri­en­rei­sen, Son­der­an­ge­bo­te und dem ob­li­ga­ten Kli­nik­tratsch zu­mu­te. Zu sehr war er in sei­ne Ge­dan­ken ver­tieft, die un­ent­wegt um sei­ne in­nig ge­lieb­ten drei Or­ga­ne kreis­ten. Drei of­fe­ne Kör­per­höh­len gleich­zei­tig be­deu­te­ten drei von­ein­an­der un­ab­hän­gi­ge Ri­si­ken, die sich ge­gen­sei­tig ver­stärk­ten. Konn­te das gutgehen?
Er ball­te sei­ne be­hand­schuh­ten Hän­de zu blut­lee­ren, weis­sen Fäus­ten und rich­te­te die al­les ent­schei­den­den Wor­te an sei­ne treue In­stru­men­tier­schwes­ter und frü­he­re Ge­spie­lin aus den al­ten Schwarz­wäl­der Zei­ten (noch lan­ge vor dem ke­cken Knieblein):
“Sind Sie pa­rat, Schwes­ter Thek­la, kön­nen wir den In­stru­men­ten­check durch­füh­ren?”, wo­bei er sorg­fäl­tig dar­auf ach­te­te, die frü­her so nah ver­trau­te Mit­ar­bei­te­rin zu sie­zen, wenn an­de­re zu­hö­ren konnten.
“Ja­woll, mein Dok­tor. Al­les ist vor­be­rei­tet”, ver­si­cher­te die An­ge­spro­che­ne mit ei­nem leich­ten An­flug von vor­ge­täusch­ter Si­cher­heit in der Stimme.
“Na dann wol­len wir mal”, leg­te er los und be­gann mit der stan­dar­di­sier­ten Auf­zäh­lung der es­sen­zi­el­len In­stru­men­te, die für den Aus- und Ein­bau der drei Or­ga­ne er­for­der­lich waren:
“Sind Herz-Terz, Le­ber-Kle­ber und Milz-Pilz ein­satz­be­reit, ge­la­den und ge­schmiert?”, frag­te er, ohne aus den hal­len­den Tie­fen des of­fe­nen Brust­korbs von W.J. aus Z. auf­zu­bli­cken. Thek­la be­eil­te sich, ihm die Be­reit­stel­lung des Ge­wünsch­ten zu ver­si­chern, wo­bei eben­falls klei­ne Schweiss­per­len auf ih­rer ähn­lich ho­hen Stirn auf­tauch­ten. Nur war nie­mand da, die ih­ren abzutupfen.
Er be­gann die Punk­te der Check­lis­te ein­zeln durch­zu­neh­men: “Die Herz-Terz?”
“Herz-Terz – rand­voll ge­füllt und im Tri­lo­bit-Re­trak­tor mit je drei Ge­fäss­klam­mern ge­la­den. Die Kla­pun­zel­spal­te ist of­fen und schliesst rei­bungs­los” ver­kün­de­te sie mit ei­nem ge­wis­sen Übereifer.
“Le­ber-Kle­ber?”
“Le­ber-Kle­ber steht pa­rat. Drei Pa­tro­nen sind prall ge­füllt und die Zä­hig­keit des Ma­te­ri­als ist auf den ak­tu­el­len Ba­ro­me­ter­druck und die Luft­feuch­tig­keit ab­ge­stimmt. Wir ha­ben 313 Öchs­le­gra­de im Re­ser­voir”, be­eil­te sie sich zu versichern.
“In Ord­nung”, brumm­te Swe­ren-Nö­then zu­frie­den, “und als Letz­tes der neu­ar­ti­ge Milz-Pilz?”
“Na­gel­neu­er Milz-Pilz ist so­eben aus Karls­ru­he ein­ge­trof­fen und frisch aus der Pa­ckung ent­nom­men. Die Re­pun­zier­schrau­be wur­de be­reits her­stel­ler­seits auf Null ge­stellt und er­laubt Aus­wuch­tung in alle drei Ebe­nen. Sie kön­nen je­der­zeit an­fan­gen”, schloss Schwes­ter Thek­la den Check er­leich­tert ab.

Swe­ren-Nö­thens Ge­sichts­zü­ge ent­spann­ten sich ein we­nig, und er be­gann mit der Aus­wuch­tung des kaum noch sicht­bar schla­gen­den Her­zens. Es war nun wirk­lich höchs­te Zeit.
“Tup­fer!”, raun­te er ihr nach ei­ner Wei­le zu, wäh­rend er eine sprit­zen­de Blu­tung mit sei­ner Na­sen­spit­ze ab­drück­te. “Noch ei­nen Tup­fer”, nä­sel­te er dies­mal lau­ter, “und schnell noch ei­nen, bit­te, Schwes­ter Thek­la, drei Stück wie im­mer wenn’s kri­tisch wird, Hei­li­gedrei­ei­nig­keit!”, er­schall­te es dies­mal et­was en­er­gi­scher und ge­reiz­ter als sonst. “Wenn’s spritzt, müssen’s im­mer drei sein. Das wis­sen Sie doch!” In sol­chen Fäl­len konn­te es ihm nicht rasch ge­nug ge­hen. Sei­ne bei­den Ope­ra­ti­ons­as­sis­ten­ten er­war­te­ten nun wei­te­re Wutausbrüche.
“Herr Truf­fal­di­no, den Rip­pen­sprei­zer mehr an­span­nen – bit­te!”, schnauz­te er sei­nen ers­ten As­sis­ten­ten an, wäh­rend der zwei­te, der ita­lie­ni­sche Gast­arzt Dr. Far­fa­rel­lo un­auf­ge­for­dert den Le­ber­ha­ken kräf­tig zu sich zog. Ein kur­zer, dank­ba­rer Blick sei­tens Dr. Swe­ren-Nö­thers be­stä­tig­te dem be­sorg­ten Nea­po­li­ta­ner die Rich­tig­keit sei­ner Massnahme.
“Und jetzt bit­te den Milz-Pilz, mit ent­si­cher­ter Re­pun­zier­schrau­be”, schleu­der­te er sei­ner In­stru­men­ta­lis­tin ent­ge­gen, die ver­zwei­felt den ge­for­der­ten Zu­satz­teil in ih­rem Ste­ri­li­sier­sieb such­te. Un­ter lau­tem Ge­schirr­ge­klap­per fand sie schliess­lich das Ge­such­te und reich­te es er­leich­tert dem un­ge­dul­dig sei­ne drei Fin­ger sprei­zen­den Operateur.

Wie­so drei Fin­ger, mag man sich fra­gen? Nun, hier ein klei­ner Ab­ste­cher in die Ver­gan­gen­heit: Swe­ren-Nö­then hat­te den Dau­men und den klei­nen Fin­ger sei­ner rech­ten Hand ein­ge­büsst, als er als jun­ger As­sis­tenz­arzt in der Or­tho­pä­die ar­bei­te­te und ei­nen klei­nen Un­fall mit ei­ner drei­tak­ti­gen Kno­chen­sä­ge hat­te (er hat­te irr­tüm­lich nur zwei Tak­te an­ge­nom­men). Da­mals dach­ten er und sei­ne Frau, dass sei­ne Chir­ur­gen­kar­rie­re da­mit ab­rupt en­den müss­te. Aber es kam an­ders; mit nur drei ver­blie­be­nen Fin­gern der rech­ten Hand er­wies sich der noch jun­ge As­sis­tenz­chir­urg als al­len an­de­ren Kol­le­gen über­le­gen. Mit der viel schmä­le­ren Hand konn­te er wei­ter und tie­fer in die hin­ters­ten der ver­win­kel­ten Kör­per­höh­len der lei­den­den Men­schen vor­drin­gen und dort wah­re me­di­zi­ni­sche Wun­der voll­brin­gen. Weit bes­ser als je­der an­de­re sei­ner zahl­rei­chen Kon­kur­ren­ten – mit in­tak­ten Händen.

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Das muss Dir mal ei­ner nach­ma­chen”, sag­te da­mals El­frie­de zu ihm, nach­dem er be­reits bei sei­nem ers­ten Ver­such drei ein­ge­klemm­te Gal­len­stei­ne aus ei­nem über­ge­wich­ti­gen Metz­ger­meis­ter her­aus­ge­holt hat­te. Durch des­sen Schlund wohl­ge­merkt, ohne die­sen auf­schnei­den zu müs­sen. Denn auf­ge­schnit­te­ne Metz­ger­meis­ter hei­len be­kannt­lich sehr schlecht. Jene ope­ra­ti­ve gross­tat be­grün­de­te sei­nen le­gen­dä­ren Ruf als Aus­nah­me­chir­urg, wel­cher schluss­end­lich zu sei­ner Be­ru­fung nach Zü­rich ge­führt hat­te. Dort pfleg­te man näm­lich nur die Bes­ten der Bes­ten anzustellen.
Doch in der Lim­mat­stadt muss­te er sich zu­nächst be­wäh­ren, so wie das von al­len neu ein­ge­stell­ten, deut­schen Ärz­ten er­war­tet wird. Erst muss­te Swe­ren-Nö­then für drei Mo­na­te Fett­schür­zen straf­fen und Hä­mor­rhoi­dal­kno­ten ent­wir­ren, be­vor er an die drei wich­tigs­ten Or­ga­ne her­an­ge­las­sen wur­de: An Milz, Le­ber und (als Kö­nigs­dis­zi­plin) ans Herz. Doch er meis­ter­te alle Hür­den mit Um­sicht und Bra­vour, er be­stand alle Prü­fun­gen, die ihm auf­er­legt wur­den, und auch das ob­li­ga­te Be­grüs­sungs-Mob­bing durch die ein­hei­mi­schen Kol­le­gen konn­te ihm nichts anhaben.
Denn er kann­te sich mit den drei Or­ga­nen weit bes­ser aus als alle an­de­ren, ein­schliess­lich sei­nes Chefs, des feis­ten Pro­fes­sors Pro­ko­fiew, der ihm ab­sicht­lich die schwie­rigs­ten Fäl­le zu­schob. Zu­erst liess er ihn die kom­ple­xes­ten Milz­ope­ra­tio­nen durch­füh­ren und die Hand­ha­bung des neu­ar­ti­gen Milz-Pil­zes stu­die­ren. Dann muss­te er sich mit den schwie­rigs­ten Le­ber­ein­grif­fen aus­ein­an­der­set­zen. Doch auch das be­wäl­tig­te er mit Er­folg, nach­dem er die Tü­cken des Le­ber-Kle­bers be­herr­schen ge­lernt hatte.
Nur mit der Herz-Terz konn­te er sich lan­ge nicht an­freun­den. Das klei­ne, drei­tei­li­ge Ge­rät zur elek­tro­me­cha­ni­schen Ent­kopp­lung des Reiz­lei­tungs­sys­tems liess sich von ihm nicht gleich ge­fü­gig ma­chen. Aber mit sei­ner drei­ma­lig ge­schick­ten, drei­fing­ri­gen Hand schaff­te er es dann doch. Und zwar mit ei­nem Trick, den er sich bei der Hä­mor­rhoi­dal­ent­wir­rung zu­ge­legt hat­te: er steck­te da­bei den Ring­fin­ger in die of­fe­ne, lin­ke Herz­kam­mer, den Zei­ge­fin­ger in die Kla­pun­zel­spal­te, so dass er die Herz-Terz mit dem ver­blei­ben­den Mit­tel­fin­ger ele­gant in die Pe­ri­kard­höh­le vor­wärts bug­sie­ren konn­te. Mit die­sem Ma­nö­ver er­warb er sich sehr schnell den Ruf, ei­ner der bes­ten Herz­chir­ur­gen zu sein.

Kein Zwei­fel, mein lie­ber Dok­tor…”, raun­te ihm Schwes­ter Thek­la zu, wäh­rend sie mit ei­ner Trid­ent­klem­me die Kla­pun­zel­spal­te auf­dehn­te, um sei­nem Mit­tel­fin­ger Platz zu ma­chen, “kein Zwei­fel, dass Sie ei­ner der bes­ten Milz-, Le­ber- und Herz­chir­ur­gen nörd­lich der Al­pen bis zum Drei­län­der­eck bei Ba­sel sind. Aber alle drei Or­ga­ne auf ein­mal trans­plan­tie­ren, das ist wirk­lich ge­wagt. Wenn das mal nur gut geht…”.
“Ma­chen Sie sich kei­ne Sor­gen, In­stru­men­tier­schwes­ter Thek­la”, er­wi­der­te er süf­fi­sant, “mei­ne Lie­be zu den drei Or­ga­nen lässt mich jede Schwie­rig­keit über­win­den. Das be­flü­gelt mich nicht nur, das führt mei­ne schlan­ke, drei­fing­ri­ge Hand si­cher zum Er­folg. Nur dür­fen die Spen­der­or­ga­ne nicht zu früh warm wer­den, zu viel Sau­er­stoff ver­brau­chen und sich da­durch vor der Im­plan­ta­ti­on erschöpfen”.
“Und was ist mit Pro­ko­fiew?”, warf sie be­sorgt ein.
“Was soll schon sein? Wenn er aus der Ka­ri­bik zu­rück­kommt und die Spi­tal­lei­tung die Me­di­en zur Pres­se­kon­fe­renz lädt, dann wird er ger­ne wie­der da­bei sein, um sei­nen An­teil am Er­folg ein­zu­heim­sen. Das war im­mer schon so: bei Ge­fahr ab­tau­chen, bei Er­folgs­mel­dun­gen nach vor­ne drängeln”.

Der Gast­arzt Dr. Far­fa­rel­lo nutz­te wäh­rend der Trans­plan­tat­prä­pa­ra­ti­on die et­was ent­spann­te­re At­mo­sphä­re, um eine wich­ti­ge Fra­ge an sein Vor­bild zu richten:
“Dot­to­re Swe­ren, wie kön­nen Sie so si­cher sein, dass die­se drei­fa­che Or­gan­trans­plan­ta­ti­on ge­lin­gen wird, wenn sie sonst noch nir­gend­wo, von nie­man­dem er­folg­reich durch­ge­führt wurde?”
“Se­hen Sie, Lui­gi”, ant­wor­te­te der An­ge­frag­te selbst­si­cher, “al­les muss ein ers­tes Mal ver­sucht wer­den, und jetzt hat sich die ein­ma­li­ge Chan­ce er­ge­ben, dass ich es bin, der die­sen ers­ten Schritt wagt”.
“Aber wird es nicht eine sehr hef­ti­ge, kaum be­herrsch­ba­re Ab­stos­sungs­re­ak­ti­on ge­ben? Im­mer­hin bei drei ein­ge­pflanz­ten Fremd­or­ga­nen?”, wand­te der vor­dem ge­rüf­fel­te und des­halb bis da­hin be­tre­ten schwei­gen­de Dr. Truf­fal­di­no ein.
“Auf die­se Fra­ge habe ich ge­war­tet, mein lie­ber Kol­le­ge”, er­wi­der­te der selbst­si­che­re Star­chir­urg, “auch die­ses Pro­blem ist lös­bar. Ich wer­de nicht nur drei ge­sun­de Trans­plan­ta­te ein­set­zen. Der Trick da­bei ist, dass ich auch de­ren Po­si­tio­nie­rung ver­tau­schen werde.”
Alle An­we­sen­den, ein­schliess­lich der bis da­hin sich un­auf­fäl­lig im Hin­ter­grund hal­ten­den An­äs­the­sis­tin, Dr. Fa­ti­ma Mor­ga­na, spitz­ten die Oh­ren ob des noch nie Ge­hör­ten. Mit un­ver­hoh­le­ner Über­ra­schung blick­ten alle in die Au­gen des tri­um­phie­ren­den Skal­pell­künst­lers. Nach ei­ner an­ge­mes­se­nen Pau­se, um die oh­ne­hin schon ge­spann­te At­mo­sphä­re wei­ter auf­zu­la­den, lie­fer­te die­ser die ver­blüf­fen­de Erklärung:
“Der Platz­tausch der drei Or­ga­ne, näm­lich der Ein­bau der Milz ins Me­dia­sti­num, der Le­ber in die Milz­lo­ge und des Her­zens in das Le­ber­bett wird das Im­mun­sys­tem des Emp­fän­gers der­art ver­wir­ren, dass es gar nicht dazu kommt, eine Ab­stos­sungs­re­ak­ti­on an­zu­fan­gen. Es ver­sucht sich über die un­ge­wohn­te Or­gan­an­ord­nung klar­zu­wer­den, aber in Er­man­ge­lung ei­nes ei­ge­nen Denk­ver­mö­gens wird es da­bei zwangs­läu­fig schei­tern und an­dern­orts nach Fremd­ge­we­be su­chen. Eine bes­se­re und ne­ben­wir­kungs­är­me­re Im­mun­sup­pres­si­on kann es gar nicht ge­ben. Das, mei­ne Lie­ben, ist das Ge­heim­nis hin­ter mei­nem schein­bar hoch­ris­kan­ten Wagnis.”
Dann wand­te er sich zur sicht­lich be­ein­druck­ten Schwes­ter Thek­la, die sehr ent­zückt ob so viel Ein­falls­reich­tum war, und sag­te zu ihr im be­ru­hi­gen­den Ton­fall ei­nes sich sei­ner selbst ab­so­lut si­che­ren Man­nes, der weiss, was er tut: “Las­sen Sie uns die Tü­cher zäh­len. Eins…, zwei… und hier kommt schon die Num­mer drei”. ♦


Prof. Dr. med. Pe­ter Biro

Prof. Dr. Peter Biro - Arzt und Schriftsteller - Glarean MagazinGeb. 1956 in Gross­wardein (Ru­mä­ni­en), 1970 Emi­gra­ti­on nach Deutsch­land, Me­di­zin­stu­di­um in Frankfurt/Main, seit 1987 An­äs­the­sist am Uni­ver­si­täts­spi­tal Zü­rich und Do­zent für An­äs­the­sio­lo­gie, schreibt kul­tur­his­to­ri­sche Es­says und hu­mo­ris­ti­sche Kurz­pro­sa, lebt in Feldmeilen/CH

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch die Sa­ti­re von An­ge­la Mund: Schlaf gut, mein Freund Hektor

… so­wie zum The­ma Me­di­zin über den Ro­man von Mi­cha­el Klee­berg: Das ame­ri­ka­ni­sche Hospital

aus­ser­dem im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Krank­heit und Spi­tal: Eric Bau­mann: Ei­nen Som­mer noch (Au­to­bio­gra­phie)

2 Kommentare

  1. Sehr ge­ehr­ter Herr Prof. Biro,

    vie­len lie­ben Dank für -Die Lie­be zu den drei Organen-.
    Män­ner mit Hu­mor sind wie Old­ti­mer – ex­qui­sit und rar.

    MfG Ada G.

    • Dan­ke Ada G. Ihr Ur­teil geht mir wie war­mer Ho­nig­seim her­un­ter. Ich will ver­su­chen, mit ähn­li­chem Ge­schrei­be, Ihre freund­li­che Zu­stim­mung am Le­ben zu erhalten.

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