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Der weibliche Blick
von Sigrid Grün
29 Texte von Frauen aus vier Kontinenten haben die Herausgeber Anita Djafari und Juergen Boos in ihrer Anthologie “Vollmond hinter fahlgelben Wolken” zusammengetragen. Zahlreiche Texte finden sich hier erstmals in deutscher Übersetzung. Es kommen Erzählerinnen und Lyrikerinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der arabischen Welt zu Wort. Manche von ihnen sind bekannt, wie die Südkoreanerin Han Kang (u.a. “Die Vegetarierin”) oder Assia Djebar aus Algerien.
Die in der Anthologie abgedruckte Erzählung “Die Früchte meiner Frau” ist ein Vorläufer des internationalen Bestsellers “Die Vegetarierin”. Die Themen sind vielfältig. Es geht um das Altern, auch um Demenz, um Kinder und natürlich um die Liebe in all ihren Facetten. Manche Geschichten sind komisch, etwa Ana María Shua‘s “Wie eine gute Mutter”. Darin geht es um die Überforderung einer Mutter, die allen Ansprüchen gerecht werden will und schliesslich von ihren Kindern komplett “zerlegt” wird. Andere Erzählungen sind zutiefst traurig, z.B. “Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter” von der gebürtigen Haitianerin Edwidge Danticat. Die Autorin verhandelt in der Geschichte einfühlsam das Thema Demenz.
Auch die lyrischen Beiträge sind ausgesprochen starke Texte. Im Band sind zwei Gedichte der Angolanerin Ana Paula Tavares, drei Gedichte der Inderin Meena Kandasamy und ein Text der äyptischen Lyrikerin Nora Amin enthalten.
Unterschiedliche Wirklichkeiten von Frauen

Auf einen oder mehrere Lieblingstexte könnte ich mich gar nicht festlegen, denn den besonderen Reiz der Anthologie macht die Vielfalt aus. Es ist ausgesprochen interessant, zu erfahren, wie unterschiedlich die Lebenswirklichkeit von Frauen in unterschiedlichen Erdteilen doch aussieht, etwa wenn es um die Vorbereitungen für eine Hochzeit geht. Andererseits kommt einem auch vieles bekannt vor – überforderte Mütter leiden in allen Erdteilen an überhöhten Ansprüchen.
Verlust der Bindungen zwischen Alt und Jung
Besonders berührt hat mich die Geschichte “Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter”. Carole ist dement und hat immer mehr Aussetzer. Am Tag der Taufe ihres Enkels ist es besonders schlimm und sie erlebt einen Zusammenbruch, der alles ändert. Ihre Tochter Jeanne ist seit der Geburt ihres ersten Kindes in eine Depression verfallen, die auch Carole sehr mitnimmt und verärgert, denn für sie gibt es nichts wichtigeres, als sich gut um die eigenen Kinder zu kümmern. Edwidge Danticat erzählt einfühlsam und lebendig vom Verlust der Kontrolle über das eigene Leben und von der Bindung zwischen Alt und Jung.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Autoreninformationen oder zumindest die Herkunftsländer der Autorinnen unmittelbar bei den Texten gestanden hätten. So muss man jedes Mal zum Anhang blättern, um nachzulesen, wer die in unserem Kulturkreis überwiegend eher unbekannten Autorinnen sind. Ein Hinweis auf das Herkunftsland würde mir persönlich bereits reichen, etwa ‘Edwidge Danticat (Haiti)’. Vielleicht in einer 2. Buchauflage oder bereits jetzt im E-Book? ♦
Anita Djafari & Juergen Boos: Vollmond hinter fahlgelben Wolken – Autorinnen aus vier Kontinenten (Anthologie), 320 Seiten, Unionsverlag, ISBN 978-3-293-20800-1
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Literatur von Frauen auch über die Anthologie Liebesbriefe berühmter Frauen (Piper Verlag)
… sowie über den Roman von Meg Wolitzer: Das weibliche Prinzip
… und über das Handbuch von Ann Wiesental: Antisexistische Awareness
Weitere Internet-Beiträge zum Thema Frauenliteratur
- Der Literaturbetrieb hat ein Problem mit Frauen (ZEIT.de)
- Auch in der Literatur ist ein #aufschrei fällig (WELT.de)
- Netzwerk für Frauen rund ums Buch (BUECHERFRAUEN.de)