A. Djafari & J. Boos: Vollmond hinter fahlgelben Wolken (Literatur-Anthologie)

Der weibliche Blick

von Sigrid Grün

29 Tex­te von Frau­en aus vier Kon­ti­nen­ten ha­ben die Her­aus­ge­ber Ani­ta Dja­fa­ri und Juer­gen Boos in ih­rer An­tho­lo­gie “Voll­mond hin­ter fahl­gel­ben Wol­ken” zu­sam­men­ge­tra­gen. Zahl­rei­che Tex­te fin­den sich hier erst­mals in deut­scher Über­set­zung. Es kom­men Er­zäh­le­rin­nen und Ly­ri­ke­rin­nen aus Afri­ka, Asi­en, La­tein­ame­ri­ka und der ara­bi­schen Welt zu Wort. Man­che von ih­nen sind be­kannt, wie die Süd­ko­rea­ne­rin Han Kang (u.a. “Die Ve­ge­ta­rie­rin”) oder As­sia Dje­bar aus Algerien.

Anita Jafari Jürgen Boos Vollmond hinter fahlgelben Wolken - Unionsverlag - Rezension Glarean MagazinDie in der An­tho­lo­gie ab­ge­druck­te Er­zäh­lung “Die Früch­te mei­ner Frau” ist ein Vor­läu­fer des in­ter­na­tio­na­len Best­sel­lers “Die Ve­ge­ta­rie­rin”. Die The­men sind viel­fäl­tig. Es geht um das Al­tern, auch um De­menz, um Kin­der und na­tür­lich um die Lie­be in all ih­ren Fa­cet­ten. Man­che Ge­schich­ten sind ko­misch, etwa Ana Ma­ría Shua‘s “Wie eine gute Mut­ter”. Dar­in geht es um die Über­for­de­rung ei­ner Mut­ter, die al­len An­sprü­chen ge­recht wer­den will und schliess­lich von ih­ren Kin­dern kom­plett “zer­legt” wird. An­de­re Er­zäh­lun­gen sind zu­tiefst trau­rig, z.B. “Die Son­ne geht auf, die Son­ne geht un­ter” von der ge­bür­ti­gen Hai­tia­ne­rin Ed­widge Dan­ti­cat. Die Au­torin ver­han­delt in der Ge­schich­te ein­fühl­sam das The­ma Demenz.
Auch die ly­ri­schen Bei­trä­ge sind aus­ge­spro­chen star­ke Tex­te. Im Band sind zwei Ge­dich­te der An­go­la­ne­rin Ana Pau­la Ta­va­res, drei Ge­dich­te der In­de­rin Mee­na Kan­da­sa­my und ein Text der äyp­ti­schen Ly­ri­ke­rin Nora Amin enthalten.

Unterschiedliche Wirklichkeiten von Frauen

Anita Djafari und Juergen Boos - Glarean Magazin
Frau­en-Ly­rik und -Pro­sa aus vier Kon­ti­nen­ten zu­sam­men­ge­tra­gen: Die Her­aus­ge­ber Ani­ta Dja­fa­ri (Li­te­ra­tur­ver­mitt­le­rin) und Juer­gen Boos (Buch­mes­se-CEO Frankfurt)

Auf ei­nen oder meh­re­re Lieb­lings­tex­te könn­te ich mich gar nicht fest­le­gen, denn den be­son­de­ren Reiz der An­tho­lo­gie macht die Viel­falt aus. Es ist aus­ge­spro­chen in­ter­es­sant, zu er­fah­ren, wie un­ter­schied­lich die Le­bens­wirk­lich­keit von Frau­en in un­ter­schied­li­chen Erd­tei­len doch aus­sieht, etwa wenn es um die Vor­be­rei­tun­gen für eine Hoch­zeit geht. An­de­rer­seits kommt ei­nem auch vie­les be­kannt vor – über­for­der­te Müt­ter lei­den in al­len Erd­tei­len an über­höh­ten Ansprüchen.

Verlust der Bindungen zwischen Alt und Jung

FAZIT: “Voll­mond hin­ter fahl­gel­ben Wol­ken” der bei­den Her­aus­ge­ber Ani­ta Ja­fa­ri und Juer­gen Boos ist eine sehr ge­lun­ge­ne An­tho­lo­gie, da sie kon­trast­rei­che Tex­te ver­schie­de­ner Au­torin­nen ent­hält. Der voll­kom­men un­ter­schied­li­che Sound der ein­zel­nen Ver­fas­se­rin­nen macht den be­son­de­ren Reiz aus. Die The­men- und die Stil­viel­falt ent­füh­ren den Le­ser in vier Erd­tei­le. Wer sich für den weib­li­chen Blick in ver­schie­de­nen Län­dern in­ter­es­siert, wird hier vie­le wun­der­ba­re Tex­te finden.

Be­son­ders be­rührt hat mich die Ge­schich­te “Die Son­ne geht auf, die Son­ne geht un­ter”. Ca­ro­le ist de­ment und hat im­mer mehr Aus­set­zer. Am Tag der Tau­fe ih­res En­kels ist es be­son­ders schlimm und sie er­lebt ei­nen Zu­sam­men­bruch, der al­les än­dert. Ihre Toch­ter Jean­ne ist seit der Ge­burt ih­res ers­ten Kin­des in eine De­pres­si­on ver­fal­len, die auch Ca­ro­le sehr mit­nimmt und ver­är­gert, denn für sie gibt es nichts wich­ti­ge­res, als sich gut um die ei­ge­nen Kin­der zu küm­mern. Ed­widge Dan­ti­cat er­zählt ein­fühl­sam und le­ben­dig vom Ver­lust der Kon­trol­le über das ei­ge­ne Le­ben und von der Bin­dung zwi­schen Alt und Jung.
Ich hät­te mir ge­wünscht, dass die Au­toren­in­for­ma­tio­nen oder zu­min­dest die Her­kunfts­län­der der Au­torin­nen un­mit­tel­bar bei den Tex­ten ge­stan­den hät­ten. So muss man je­des Mal zum An­hang blät­tern, um nach­zu­le­sen, wer die in un­se­rem Kul­tur­kreis über­wie­gend eher un­be­kann­ten Au­torin­nen sind. Ein Hin­weis auf das Her­kunfts­land wür­de mir per­sön­lich be­reits rei­chen, etwa ‘Ed­widge Dan­ti­cat (Hai­ti)’. Viel­leicht in ei­ner 2. Buch­auf­la­ge oder be­reits jetzt im E-Book? ♦

Ani­ta Dja­fa­ri & Juer­gen Boos: Voll­mond hin­ter fahl­gel­ben Wol­ken – Au­torin­nen aus vier Kon­ti­nen­ten (An­tho­lo­gie), 320 Sei­ten, Uni­ons­ver­lag, ISBN 978-3-293-20800-1

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Li­te­ra­tur von Frau­en auch über die An­tho­lo­gie Lie­bes­brie­fe be­rühm­ter Frau­en (Pi­per Verlag)

… so­wie über den Ro­man von Meg Wo­lit­zer: Das weib­li­che Prinzip

… und über das Hand­buch von Ann Wie­sen­tal: An­ti­se­xis­ti­sche Awareness

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