Martin Breutigam: Himmlische Züge (Schach)

Schach-Historie abwechslungsreich beleuchtet

von Tho­mas Binder

Gut drei Jah­re nach dem Band “To­des­küs­se am Brett” legt der Göt­tin­ger Ver­lag “Die Werk­statt” eine zwei­te Samm­lung der Ko­lum­nen Mar­tin Breu­ti­gams vor.
Den Re­zen­sen­ten be­ein­druckt da­bei zu­al­ler­erst, dass ein nicht auf Schach spe­zia­li­sier­ter Ver­lag das wirt­schaft­li­che Ri­si­ko ein­zu­ge­hen be­reit ist, sich auf die­sem Markt zu plat­zie­ren. Ja – das Schach­buch lebt und ist von den mo­der­nen Me­di­en mit ih­ren ur­ei­gens­ten Vor­tei­len nicht unterzukriegen.

140 Beiträge aus dem Zeitraum 2010 bis 2013

Martin Breutigam - Himmlische Züge - Neue Rätsel und Geschichten aus der Welt der Schachgenies - Verlag die WerkstattWir hat­ten das Vor­gän­ger­werk vor drei Jah­ren an die­ser Stel­le re­zen­siert und könn­ten heu­te vie­les aus je­ner Be­spre­chung wie­der­ho­len. Er­neut han­delt es sich um die un­ver­än­der­te Zu­sam­men­stel­lung von Breu­ti­gams Ko­lum­nen in deut­schen Ta­ges­zei­tun­gen wie dem “Ta­ges­spie­gel”  und der “Süd­deut­schen”. Dies­mal stam­men die 140 Bei­trä­ge aus dem Zeit­raum 2010 bis 2013, schlies­sen also un­mit­tel­bar an das Vor­gän­ger­werk an: “To­des­küs­se am Brett”
Der be­leuch­te­te Zeit­raum war schach­his­to­risch sehr er­eig­nis­reich. Zwei Welt­meis­ter­schaf­ten mit Vis­hy Anand als Haupt­per­son bil­den die Klam­mer: Das Buch be­ginnt mit der 4. WM-Par­tie ge­gen Topa­low in So­fia und en­det mit dem spek­ta­ku­lä­ren Fi­na­le der vor­letz­ten Par­tie ge­gen Carlsen in Chen­nai. Par­al­lel dazu kön­nen wir den Auf­stieg des jun­gen Nor­we­gers ver­fol­gen, der zwar schon 2010 die Num­mer 1 der Welt war, je­doch noch nicht mit der jet­zi­gen Do­mi­nanz. So be­rich­tet Breu­ti­gam etwa An­fang 2011, dass Carlsen ge­ra­de in­ner­halb von vier Mo­na­ten acht Par­tien ver­lo­ren hat­te – bei sei­ner heu­ti­gen Form kaum vor­stell­bar und längst vergessen.
Ne­ben Carlsens Auf­stieg ver­folgt die Chro­no­lo­gie üb­ri­gens das Vor­an­kom­men der deut­schen “Schach­prin­zen” um Ras­mus Sva­ne und Mat­thi­as Blü­baum. In­ter­es­san­te Par­al­le­len, aber ge­wiss auch Un­ter­schie­de wer­den deutlich.
Hö­hen und Tie­fen be­scher­ten die letz­ten drei Jah­re auch dem deut­schen Schach. Da steht der Ge­winn der Eu­ro­pa­meis­ter­schaft 2011 ne­ben dem pein­li­chen Auf­tritt ei­ner zweit­klas­si­gen Aus­wahl bei der Schach­olym­pia­de ein Jahr zu­vor. Wei­te­re Wett­kampf-High­lights auf­zu­zäh­len, hies­se ein­fach die Schach­ereig­nis­se die­ser Jah­re zu wiederholen.

Abwechslungsreichtum der Themata

Aufgeräumtes Layout, schöne Diagramme: Beispiel-Seite aus
Auf­ge­räum­tes Lay­out, schö­ne Dia­gram­me: Bei­spiel-Sei­te aus “Himm­li­sche Züge”

Die gros­se Stär­ke von Breu­ti­gams Buch liegt im Ab­wechs­lungs­reich­tum der Ko­lum­nen. Da ste­hen Kom­bi­na­tio­nen aus ak­tu­el­len Tur­nie­ren ne­ben Por­träts ein­zel­ner Spie­ler. Es gibt mehr oder we­ni­ger phi­lo­so­phi­sche Be­trach­tun­gen und Bli­cke in die Ver­gan­gen­heit – letz­te­re al­ler­dings meist mit ei­nem ak­tu­el­len An­lass ver­knüpft. Eine ge­ra­de in ih­rer Sub­jek­ti­vi­tät star­ke Aus­wahl von Spie­ler­por­träts kom­plet­tiert den Reigen.
Die gros­sen und klei­nen Streit­fra­gen der Schach­po­li­tik blei­ben nicht aus­ge­spart. An das Kon­flikt­po­ten­ti­al der deut­schen Olym­pia­mann­schaft 2010 habe ich schon er­in­nert. Auch die Kan­di­da­tur der Her­ren Kar­pow und Weiz­sä­cker für Füh­rungs­po­si­tio­nen in FIDE und ECU wird be­spro­chen, eben­so wie das Fi­nanz­ge­ba­ren der tür­ki­schen Fö­de­ra­ti­on und die Pro­ble­me eta­blier­ter Tur­nier­ver­an­stal­ter (am Bei­spiel der Ch­ess Classics).
Die ak­tu­el­len Dis­kus­sio­nen der Schach-Com­mu­ni­ty (Be­trugs- und Ver­dachts-Fäl­le, das miss­ra­te­ne Stein­brück-Buch­co­ver, di­ver­se Sport­ge­richts-Ur­tei­le und vie­les mehr) wer­den nicht ausgespart.
Ob­wohl Mar­tin Breu­ti­gam auf vor­der­grün­dig wer­ten­de Kom­men­ta­re weit­ge­hend ver­zich­tet, ist meist klar zu er­ken­nen, wie er Po­si­ti­on bezieht.

Tolle Schachkombinationen

Schon das sensationelle Preis-Leistungs-Verhältnis macht dieses Kaleidoskop der letzten drei Schachjahre zu einer sicheren Kaufempfehlung. Martin Breutigam ist als unterhaltsamer Autor und kundiger Experte über jeden Zweifel erhaben. Gewisse Abstriche sind allenfalls dem Konzept geschuldet, Zeitungskolumnen unkommentiert und unredigiert zu übernehmen.
Schon das sen­sa­tio­nel­le Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis macht die­ses Ka­lei­do­skop der letz­ten drei Schach­jah­re zu ei­ner si­che­ren Kauf­emp­feh­lung. Mar­tin Breu­ti­gam ist als un­ter­halt­sa­mer Au­tor und kun­di­ger Ex­per­te über je­den Zwei­fel er­ha­ben. Ge­wis­se Ab­stri­che sind al­len­falls dem Kon­zept ge­schul­det, Zei­tungs­ko­lum­nen un­kom­men­tiert und un­re­di­giert zu übernehmen.

Doch im Blick­punkt steht auf je­der Sei­te eine tol­le Schach­kom­bi­na­ti­on, bei der man alle Streit­po­ten­tia­le und Skan­däl­chen ver­ges­sen möch­te! Ge­stal­tung und Glie­de­rung sind von “To­des­küs­se am Brett” un­ver­än­dert über­nom­men. Jede Kom­bi­na­ti­on wird auf ei­ner Text­sei­te prä­sen­tiert, die zu etwa ei­nem Drit­tel vom Stel­lungs­dia­gramm ein­ge­nom­men wird. Der Text lei­tet dann zur Auf­ga­ben­stel­lung über, mit der der Le­ser auf­ge­for­dert wird, den Geis­tes­blitz des je­wei­li­gen Schach­meis­ters auf­zu­spü­ren. Die Lö­sun­gen mit An­ga­be der Haupt­va­ri­an­te und der wich­tigs­ten Ab­wei­chun­gen so­wie sehr knap­pen Er­läu­te­run­gen sind je­weils kopf­ste­hend am un­te­ren Rand der Sei­te an­ge­führt. Dem kun­di­gen Schach­freund ge­nügt das al­le­mal, dem in­ter­es­sier­ten Lai­en wird hin­ge­gen ei­ni­ges zum Ver­ständ­nis fehlen.
Etwa ein Dut­zend ganz­sei­ti­ge Fo­tos lo­ckern den Text auf, dar­un­ter ei­ni­ge sel­ten ge­se­he­ne Auf­nah­men. Mein Fa­vo­rit ist Aron­jan, der ei­nem Bild­hau­er Mo­dell sitzt.

Zuweilen fehlende historische Ergänzungen

Die wort­ge­treue Über­nah­me der Zei­tungs-Ko­lum­nen hat na­tür­lich ihre Gren­zen. Das Buch wen­det sich aus­drück­lich auch an ab­so­lu­te Schach-Lai­en (wozu sonst die Er­läu­te­run­gen zur Schach-No­ta­ti­on im An­hang?) – und die­se wer­den sich mit man­chem der knap­pen Tex­te doch et­was al­lein ge­las­sen füh­len. Er­gän­zun­gen aus der zeit­li­chen Di­stanz hät­ten zu­min­dest bei ei­ni­gen The­men gut ge­tan. Lei­der feh­len ne­ben Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen auch Da­tums­an­ga­ben zur je­weils ori­gi­na­len Ver­öf­fent­li­chung, es ist je­weils nur die Jah­res­zahl angegeben. ♦

Mar­tin Breu­ti­gam: Himm­li­sche Züge – Neue Rät­sel und Ge­schich­ten aus der Welt der Schach­ge­nies, Ver­lag Die Werk­statt, 160 Sei­ten, 978-3730300877

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