Boris Kálnoky: Ahnenland (Roman)

Wir stehen auf den Schultern unserer Ahnen“

von Gün­ter Nawe

Viel­leicht ist es mei­ne Auf­ga­be, Hu­gós Ge­schich­te zu er­zäh­len… Hugó, ich ver­spre­che Dir, mein Bes­tes zu ge­ben… Es müss­te, wenn es Dir recht ist, zu­gleich die Ge­schich­te des Pa­ra­die­ses auf Er­den sein… und die Ge­schich­te Dei­ner Fa­mi­lie, auch je­ner, die vor Dir wa­ren und nach Dir kamen.“

Boris Kalnoky: Ahnenland - oder die Suche nach der Seele meiner FamilieWer dies sagt und schreibt, ist der Au­tor ei­nes gross­ar­ti­gen Epos’ über eine 800-jäh­ri­ge Fa­mi­li­en­ge­schich­te; eine eu­ro­päi­sche Ge­schich­te, die sich im Ge­biet des frü­he­ren Ös­ter­reich-Un­garn-Sie­ben­bür­gen ab­ge­spielt hat und noch ab­spielt. Bo­ris Kál­no­ky ist Nach­fah­re des le­gen­dä­ren Ur­ahn Ben­cenc, der 1252 vom un­ga­ri­schen Kö­nig, als Be­loh­nung für den Kampf ge­gen die Tar­ta­ren, ein Stück Land ge­schenkt be­kam. Und da­mit ge­hör­ten die Kál­no­kys zu den Szé­k­lern, den un­ga­ri­schen Grenz­wäch­tern. Sie spiel­ten – oft auf ver­schie­de­nen Sei­ten – wich­ti­ge Rol­len in den gros­sen Glau­bens­kämp­fen des Mit­tel­al­ters, in den po­li­ti­schen Ver­wick­lun­gen der Zeit. Sie wer­den ir­gend­wann ein­mal Gra­fen. Ei­ner von ih­nen wird spä­ter, am Ende des 19.Jahrhunderts, k.u.k.-Aussenminister der ös­ter­reich-un­ga­ri­schen Dop­pel­mon­ar­chie. Eine höchst be­weg­te Ge­schich­te in im­mer wie­der sehr be­weg­ten Zeiten.

Geschichts- und Geschichtenbuch über Familienereignisse und Weltgeschehen

Boris Kálnoky - Glarean Magazin
Bo­ris Kálnoky

Da­von also er­zählt Bo­ris Kál­no­ky, der 1961 in Mün­chen ge­bo­ren wur­de. Auf­ge­wach­sen ist er in Deutsch­land, in den Nie­der­lan­den, in Frank­reich. Er leb­te in Un­garn und lebt heu­te in der Tür­kei, wo er als  Nah­ost-Kor­re­spon­dent für die „Welt“ ar­bei­tet. Welt­läu­fig ge­schult und mit jour­na­lis­ti­schem Spür­sinn aus­ge­stat­tet hat er sich nicht nur auf die Su­che sei­ner „Hei­mat“, sei­ner Fa­mi­lie ge­macht, son­dern auch nach de­ren See­le. „Frü­her war Hei­mat dort, wo man leb­te. Heu­te in ei­ner glo­ba­li­sier­ten Welt, in der man nur noch wohnt, aber nicht mehr zu Hau­se ist, da ist sie viel­leicht eher ein in­ne­rer Ort: Nicht nur wo­hin man ge­hö­ren, son­dern wer man sein will. Wem es ge­ge­ben ist, an ei­nen Gott zu glau­ben, der wird die Hei­mat der See­le fin­den – eine Hei­mat, die man auch dann nicht ver­lässt, wen man durch die Welt zieht wie einst die al­ten Szé­k­ler durch die Step­pe.“ So der et­was pa­the­ti­sche Schluss des Buches.
Bis zu die­ser Kál­no­ky-Er­kennt­nis ist es ein wei­ter Weg durch die­ses aben­teu­er­li­che Ge­schichts- und Ge­schich­ten­buch über Fa­mi­li­en­er­eig­nis­se und Welt­ge­sche­hen, durch Krie­ge und Kämp­fe und Ver­lus­te. Der Le­ser fin­det wit­zi­ge bis aber­wit­zi­ge Er­eig­nis­se, trifft auf Ha­sa­deu­re und Re­bel­len, be­geg­net Li­te­ra­ten und Rich­tern. Und fühlt sich wohl in die­sem Pan­aro­ma auf­re­gen­der Er­zäh­lun­gen. Denn der Au­tor ver­steht es auf aus­ge­zeich­ne­te Wei­se, his­to­ri­sche Fak­ten, pri­va­te Er­eig­nis­se, be­legt durch eine Viel­zahl sehr in­ter­es­san­ter Brie­fe, es­say­is­ti­sche Pas­sa­gen und per­sön­li­che Ein­schät­zun­gen und Wer­tun­gen mit­ein­an­der zu ver­bin­den. Dar­aus er­gibt sich ein ge­schlos­se­nes Bild ei­ner be­stimm­ten Epo­che in ei­nem de­fi­nier­ten geo­gra­fi­schen Raum, in der und in dem eu­ro­päi­sche Ge­schich­te ge­schrie­ben wur­de – mit Nach­wir­kun­gen bis in un­se­re Zeit.

Acht Jahrhunderte europäischer Geschichte

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Der Jour­na­list Bo­ris Kál­no­ky hat sich in „Ah­nen­land“ auf die „Su­che nach der See­le“ sei­ner Fa­mi­lie be­ge­ben. Die Spu­ren­su­che ist ihm zu ei­nem fas­zi­nie­ren­den Ge­schichts- und Ge­schich­ten­buch geraten.

Das „Salz in der Sup­pe“ die­ser his­to­ri­schen Er­zäh­lung ist na­tür­lich die Fa­mi­li­en­ge­schich­te. Aus ihr re­sul­tiert über­haupt erst das In­ter­es­se des Au­tors, der ei­gent­lich eine Bio­gra­fie sei­nes Gross­va­ters Húgo Kál­no­ky schrei­ben woll­te. Denn „wir ste­hen auf den Schul­tern un­se­rer Ah­nen“. Die­ser Gross­va­ter, Jour­na­list wie der En­kel, der eben­falls auf der Su­che nach der Hei­mat war, war so­zu­sa­gen ein See­len­ver­wand­ter. Ihm folg­te En­kel Bo­ris durch das Land sei­ner Vor­fah­ren. Ge­ni­us loci und li­te­ra­ri­scher To­pos ist das Dorf Körös­pa­tak am Fus­se der Kar­pa­ten, wo einst auch Graf Dra­cu­la re­si­dier­te. Die­ser Húgo ist eine wahr­haft fas­zi­nie­ren­de Fi­gur: ein Welt­su­cher, der be­reits zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts mit ei­nem Flug­zeug un­ter­wegs sein woll­te. Ei­ner, der eine Ro­man­ze er­leb­te. Des­sen Ar­ti­kel für den Pos­ter Lloyd ihn bei den Na­zis in Un­gna­de fal­len liess. Und so wei­ter – man lese selbst. Vor al­lem die wun­der­ba­ren Brie­fe, die En­kel Bo­ris hier ver­öf­fent­licht, sind nicht nur Zeit­zeu­gen­schaft, son­dern ge­ben Zeug­nis von per­sön­li­chem und fa­mi­liä­rem Erleben.
Bo­ris Kál­no­ky hat sei­ne Hei­mat ge­sucht und die See­le sei­ner Fa­mi­lie ge­fun­den. An der per­sön­li­chen Freu­de dar­über lässt er den Le­ser teil­ha­ben,  in dem er von acht Jahr­hun­der­ten eu­ro­päi­scher Ge­schich­te er­zählt, span­nend, kom­pe­tent und sehr un­ter­halt­sam. „Húgo, ich ver­spe­che Dir, mein Bes­tes zu ge­ben…“. Er hat es getan. ♦

Bo­ris Kál­no­ky: Ah­nen­land oder die Su­che nach der See­le mei­ner Fa­mi­lie, 490 Sei­ten, Droe­mer Ver­lag, ISBN 978-3-426-27465-1

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Fa­mi­li­en-Ge­schich­te auch über den
Ro­man von Isa­bel­le Stamm: Schonzeit

oder über die Fa­mi­li­en-Saga von
San­dra Brö­kel: Das hung­ri­ge Krokodil

4 Kommentare

  1. Lie­ber Herr Hatos,

    Vie­len Dank für den treff­li­chen Hin­weis. Es war na­tür­lich Ste­fan I. der den Ti­tel er­hielt, aber Sie ha­ben völ­lig recht, dass Kle­mens XIII. ihn für Ma­ria The­re­sia er­neu­er­te. Lei­der rutsch­te trotz dut­zend­fa­chen Le­sens und Ge­gen­le­sens auch von hilf­rei­chen His­to­ri­kern die­se Un­ge­nau­ig­keit doch noch durch. Zur Kor­rek­tur vor­ge­merkt! Und Dan­ke Schön für ihr er­mun­tern­des Lob!

    Bes­te Grü­ße, Ihr
    Bo­ris Kálnoky

  2. Lie­ber Graf kàlnoky,
    Mit viel Ver­gnü­gen und In­ter­es­se lese ich Ihr Buch Ah­nen­land. Ich bin ge­bür­ti­ger Un­gar (Trans­da­nu­bi­en) und zwei Jah­re Jün­ger als Ihr Va­ter. Bei der Lek­tü­re den­ke auch ich viel an mei­ne Ah­nen und an mei­ne Ver­gan­gen­heit, die nicht so vor­neh­me doch eben­so schick­sal­haft war wie die von “ Graf Hugo“.
    Er­lau­ben sie mir eine klei­ne Kor­rek­tur. Auf Sei­te 185 schrei­ben Sie, dass Fer­di­nand von Habs­burg sich zum apos­to­li­schen Kö­nig von Un­garn krö­nen liess. Dies ist lei­der nicht kor­rekt. Den Ti­tel „apos­to­li­scher Kö­nig“ (apos­to­li Kirà­ly) er­hielt erst Kö­ni­gin Ma­ria Te­ré­zia am 19. Aug. 1758 von Papst Kle­mens XIII. Doch so­was mer­ken wohl we­ni­ge, his­to­risch in­ter­es­sier­te Per­so­nen. – Sonst ge­nies­se ich Ihr Werk, auch wenn ich Ihre Ein­schät­zung von Hor­thy nicht ganz tei­len kann. Ich wün­sche den lie­be­voll ge­schi­rie­be­nen Buch viel Erfolg!
    Mit freund­li­chen Grüs­sen aus der Schweiz,
    Pe­ter J. Hatos

  3. Die­se Re­zen­si­on macht Lust auf das Buch. Ich bin zwar durch­aus ein his­to­risch in­ter­es­sier­ter Mensch, die Fa­mi­lie Kál­no­ky ist mir bis­her al­ler­dings unbekannt.

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