Adibeli Nduka-Agwu: Rassismus auf gut Deutsch (Sprache)

Kritik des alltagssprachlichen Rassismus’

von Jan Neidhardt

Spra­che ist nie neu­tral und kann nicht wirk­lich objek­tiv gebraucht wer­den. Man kann das, was man wie sagt, aktiv aus­wäh­len. Aus­sa­gen über Wirk­lich­keits- und Wert­vor­stel­lun­gen schwin­gen dabei immer mit. Dis­kri­mi­nie­rung geschieht nicht nur über Schimpf­wör­ter oder offene Aus­gren­zung, Dis­kri­mi­nie­rung ent­steht im sprach­li­chen und im sozia­len Kontext.
Das über­aus span­nend zu lesende “Nach­schla­ge­werk” der bei­den Her­aus­ge­ber A. Nduka-Agwu & A. Horn­scheidt: “Ras­sis­mus auf gut Deutsch” nimmt den oft unter­be­wuss­ten oder ver­steck­ten Ras­sis­mus in unse­rer all­täg­li­chen Spra­che unter die Lupe und hilft dabei ein ent­spre­chen­des Bewusst­sein, nicht nur für offi­zi­elle Stel­len oder für Men­schen, die sich mit Text und gespro­che­nem Wort an eine grös­sere Öffent­lich­keit wen­den, zu schaffen.

Rassismus auf gut Deutsch - Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen SprachhandlungenDas Werk, das viele ver­schie­dene Autoren aus einem wis­sen­schaft­li­chen Zusam­men­hang ver­sam­melt, ermög­licht ein Über­den­ken der Benut­zung von Spra­che bis in den pri­va­ten Bereich hin­ein. Und: “Die­ser Text kann v.a. durch Ras­sis­mus Pri­vi­le­gierte irri­tie­ren, ver­un­si­chern oder sogar ärger­lich machen, denn viele Per­so­nen wer­den beim Lesen fest­stel­len, dass sie kon­ti­nu­ier­lich in den eige­nen sprach­li­chen Hand­lun­gen ras­sis­tisch sind.” (S.12) So die ein­lei­ten­den Worte der Herausgeberinnen.

Gedankenloser Sprachgebrauch im Alltag

Der Auf­bau des Buches stellt sich fol­gen­der­mas­sen dar: Nach der Ein­lei­tung, die vor­weg schon über die Bedeu­tung von Begrif­fen wie “Ras­sis­mus” oder “Weiss­sein” auf­klärt, stellt der zweite Teil “zen­trale empowernde und stra­te­gisch signi­fi­zie­rende Begriffe und Kon­zepte” (S.45) vor. Es geht um die Erläu­te­rung von Begrif­fen wie Afro­deutsch, Dia­spora, Peo­ple of Color. Danach fol­gen Ana­lyse und Refle­xion ras­sis­ti­scher Begriffe – Leit­frage ist hier, wie ras­sis­ti­sche Vor­stel­lun­gen durch Spra­che wei­ter­ge­ge­ben wer­den und wel­che Stra­te­gien für eine Ver­mei­dung die­ser Wei­ter­gabe her­an­ge­zo­gen wer­den kön­nen. Bei­spiels­weise geht es um Begriffe wie “Ausländer_in”, das Spiel “Ching-chang-chong” (näm­lich als Bei­spiel für eine abwer­tende Ver­al­be­rung frem­der Spra­chen), “Ent­wick­lungs­hilfe”, “Far­big”, “exo­tisch”. Hier wird eine Kul­tur­ge­schichte abwer­ten­der Begriffe gezeigt.
Man denkt im Sprach­ge­brauch über viele Dinge nicht nach, so z.B. beim zunächst wenig ras­sis­tisch schei­nen­den Begriffs­feld der “Tro­pen­krank­hei­ten”, es scheint sich hier­bei doch um eine rein geo­gra­fi­sche Her­kunfts­be­zeich­nung zu han­deln, aber die Autorin­nen machen gut begrün­det dar­auf auf­merk­sam, dass die “Tro­pen” der ein­zige geo­gra­fi­sche Bereich sind, der sprach­lich spe­zi­fi­sche Krank­hei­ten auf­weist (es gibt keine gemäs­sig­ten Zonen-Krank­hei­ten o.ä.). Der Text zeigt, dass die­ser Begriff sich kul­tur­ge­schicht­lich eher auf die in den Tro­pen leben­den Men­schen bezieht und ihre dort ange­nom­mene unge­sunde Lebens­weise, die hoch­gra­dig mit euro­päi­scher Angst besetzte Krank­hei­ten her­vor­ru­fen muss.

Anfällig für rassistische Kontexte: “Integration”, “Ethnizität”, “Amerika”

In
In “Ras­sis­mus auf gut Deutsch” geht es nicht um die Frage, was über­haupt sprach­lich noch erlaubt sein soll, son­dern hier steht eine wis­sen­schaft­lich-refle­xive Sprach­kri­tik im Vor­der­grund – und die Ermun­te­rung, den “all­täg­li­chen Ras­sis­mus” in Wort und Schrift auf­merk­sam zu beob­ach­ten. Ein gelun­ge­nes Buch-Pro­jekt, dem eine grosse Leser­schaft zu wün­schen ist.

Der vierte Teil klärt über die etwas kom­pli­zier­te­ren Begriffe auf, die leicht in einen ras­sis­ti­schen Kon­text hin­ein­ge­zo­gen wer­den kön­nen, wie z.B. “Inte­gra­tion”, “Eth­ni­zi­tät”, aber auch Begriffe wie “Ame­rika”. Die­ser Begriff muss auch aus den Umstän­den sei­ner Ent­ste­hung her­aus reflek­tiert wer­den, da er ja u.a. ange­nom­mene Besitz­ver­hält­nisse widerspiegelt.
Im fünf­ten Teil fin­den sich schliess­lich ver­schie­dene Auf­sätze, die den gegen­wär­ti­gen Ras­sis­mus­dis­kurs beleuch­ten – Kon­zepte und Modelle zur Ana­lyse von Ras­sis­mus wer­den vorgestellt.

Keine einseitigen Verurteilungen

Ras­sis­mus auf gut Deutsch” will nicht ein­sei­tig ver­ur­tei­len, son­dern zum Nach­den­ken pro­vo­zie­ren und das auch, indem es sich selbst sprach­li­chen Rege­lun­gen unter­wirft, die beim Lesen zunächst selt­sam anmu­ten, z.B. wenn Rezi­pi­en­ten kon­se­quent als Les_erinnen ange­spro­chen wer­den. Es geht dabei nicht um die Frage, was jetzt über­haupt sprach­lich noch erlaubt sein soll, son­dern hier steht eine wis­sen­schaft­lich-refle­xive Sprach­kri­tik im Vor­der­grund, eben die Ermun­te­rung, das All­täg­li­che auf­merk­sam zu betrach­ten, andere Stand­punkte zu pro­bie­ren, wobei man nach Lek­türe des Buches doch sagen kann, dass die (ernst­hafte) Beschäf­ti­gung mit sol­chen Fra­gen letzt­lich doch in eine Form eige­ner (poli­ti­scher) Akti­vi­tät mün­den muss. Ein gelun­ge­nes Pro­jekt einer Sprach­kri­tik, ein Buch dem viele Les_erinnen zu wün­schen sind. ♦

Adi­beli Nduka-Agwu / Antje Lann Horn­scheidt (Hg.), Ras­sis­mus auf gut Deutsch – Ein kri­ti­sches Nach­schla­ge­werk zu ras­sis­ti­schen Sprach­hand­lun­gen, 559 Sei­ten, Bran­des & Apsel Ver­lag, ISBN 9-78360-996430

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Ras­sis­mus und Aus­gren­zung auch über den Roman von Tracy Che­va­lier: Der Neue
Aus­ser­dem zum Thema die Film-Kri­tik über Julia von Heinz: Und mor­gen die ganze Welt

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