Gerd Arendt: Instrumentalunterricht für alle?

Effizienz und Perspektiven des Klassenmusizierens

von Christian Schütte

In­stru­men­tal­un­ter­richt für alle? Die­ser Fra­ge wid­met sich Gerd Are­ndt in sei­nem kürz­lich er­schie­ne­nen Buch, das als Band 91 im Fo­rum Mu­sik­päd­ago­gik in den Augs­bur­ger Schrif­ten, her­aus­ge­ge­ben von Ru­dolf-Die­ter Krae­mer, ver­öf­fent­licht ist.

Zur lang­fris­ti­gen Re­le­vanz des Klas­sen­mu­si­zie­rens und der Not­wen­dig­keit ei­ner Re­form des Mu­sik­un­ter­richts“ heisst es im aus­führ­li­chen Un­ter­ti­tel. Da­mit greift der Au­tor ein The­ma auf, das in den ver­gan­ge­nen Jah­ren in Deutsch­land flä­chen­de­cken­de kul­tur­po­li­ti­sche Re­le­vanz be­kom­men hat. Das Klas­sen­mu­si­zie­ren ist zu ei­ner viel­fäl­tig ein­ge­setz­ten In­sti­tu­ti­on ge­wor­den, Schü­ler be­kom­men im Rah­men die­ser Mass­nah­me die Mög­lich­keit, zwei Jah­re lang be­glei­tend zum sons­ti­gen Un­ter­richt mit ih­rer Klas­se mu­si­ka­lisch zu ar­bei­ten. Das kann in Form von Blas­in­stru­men­ten pas­sie­ren, die dann zu ei­nem En­sem­ble ge­formt wer­den, aber auch in Form ei­nes Chors. All­ge­mein­bil­den­de Schu­len ar­bei­ten mit den ört­li­chen Mu­sik­schu­len zu­sam­men, ge­för­dert wird das Pro­jekt in der Re­gel durch die Kul­tus- und oder Wissenschaftsministerien.

Gerd Arendt: Instrumentalunterricht für alle? - Zur langfristigen Relevanz des Klassenmusizierens - Wissner VerlagAn­satz und zu­gleich Le­gi­ti­ma­ti­on des Au­tors für sei­ne Stu­die ist, dass der flä­chen­de­cken­den Aus­brei­tung des Klas­sen­mu­si­zie­rens noch kei­ne qua­li­ta­tiv und quan­ti­ta­tiv ent­spre­chen­de Stu­die über Er­folg, Ef­fi­zi­enz und Per­spek­ti­ven ent­ge­gen­ge­setzt wur­de. Qua­li­täts­kon­trol­le ist ein wich­ti­ges Stich­wort nicht nur in der frei­en Wirt­schaft ge­wor­den, und die fi­nan­zi­el­len Mit­tel, die in die Pro­jek­te flies­sen, drän­gen sol­che Er­he­bun­gen nach­ge­ra­de auf.

Plausibel gegliederte Untersuchung

Die Un­ter­su­chung ist klar und plau­si­bel ge­glie­dert: Teil A) legt die theo­re­ti­sche Grund­la­ge dar, Teil B) wid­met sich un­ter dem reich­lich chi­cen Ti­tel „Das For­schungs­de­sign“ Dar­stel­lung und Me­tho­dik des For­schungs­an­sat­zes, Teil C) do­ku­men­tiert em­pi­ri­sche Un­ter­su­chun­gen, und in ei­nem aus­führ­li­chen Teil D) fasst der Au­tor sei­ne For­schungs­er­geb­nis­se zusammen.Teil A) ist eine gründ­li­che Be­stands­auf­nah­me. Ge­schich­te und ak­tu­el­le Si­tua­ti­on des Klas­sen­mu­si­zie­rens in Deutsch­land wer­den an­hand ver­schie­de­ner Bei­spie­le auf­ge­zeigt, ein­zel­ne Län­der­vor­ha­ben wie das in Nord­rhein-West­fa­len ge­star­te­te „JEKI“–Projekt (Je­dem Kind ein In­stru­ment) da­bei in Be­zie­hung zu flä­chen­de­cken­den Prak­ti­ken ge­setzt. Da­bei zeigt der Au­tor ein sen­si­bles Ge­spür für Pro­ble­ma­ti­sie­run­gen von Be­griff­lich­kei­ten, die be­reits in sich Fra­gen auf­wer­fen, be­vor es über­haupt zur Be­schäf­ti­gung mit In­hal­ten kommt. Ein Bei­spiel: Die Kenn­zeich­nung des Vor­ha­bens mit dem Be­griff „Pro­jekt“ stellt der Au­tor in fol­gen­der Pas­sa­ge zu­tref­fend in Zwei­fel: „Aber die­se ‚Pro­jek­te‘, die als Teil­neh­mer in Fra­ge kom­men, sind – liest man etwa den Be­richt von ‚Lear­nline‘ (NRW-Schul­mi­nis­te­ri­um) – al­le­samt schon lan­ge über ein ‚Pro­jekt­sta­di­um‘ hin­aus, man­che Strei­cher- bzw. Blä­ser­klas­sen be­stehen so­gar über zehn Jah­re. War­um un­ter­gräbt man also durch die ge­wähl­te Dik­ti­on die Re­le­vanz be­reits be­stehen­der Kon­zep­te und sug­ge­riert auf die­se Wei­se, es be­stün­de trotz ei­ner zu­ge­stan­de­nen Eta­blie­rung […] der Cha­rak­ter ei­ner ge­wis­sen Vor­läu­fig­keit, gleich­sam ei­nem „Un­ter­richts­ver­such“? (S.18)

Gedankenanstösse gegeben und Fragen aufgeworfen

Im Ka­pi­tel „For­schungs­de­sign“ ent­wirft der Au­tor u.a. ei­nen The­sen­ka­ta­log, mit dem er noch ein­mal grund­sätz­lich auf die bis­lang na­he­zu un­er­forsch­te Pra­xis, Wir­kung und Ef­fi­zi­enz des Klas­sen­mu­si­zie­rens hin­wei­sen will: „Eine mut­mass­li­che ‚Lang­fris­tig­keit‘ der Wir­kung des Klas­sen­mu­si­zie­rens ist schon des­we­gen nicht aus­zu­schlies­sen, da sich be­stimm­te Be­zugs­punk­te bei der Ent­wick­lung der mu­si­ka­li­schen Per­sön­lich­keit bei fast je­dem Men­schen noch Jah­re spä­ter nach­voll­zie­hen las­sen.“ – und das ist si­cher eine wert­vol­le Aus­gangs­ba­sis der wei­te­ren Un­ter­su­chun­gen, die gleich­wohl auch un­ter fol­gen­der Prä­mis­se ste­hen: „Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung ist ein Pro­zess lang­fris­ti­ger Dimension.“
Dies ist nur ein si­gni­fi­kan­tes Bei­spiel aus der Un­ter­su­chung, mit dem der Au­tor klar zu er­ken­nen gibt, dass er mit sei­nem Buch un­ter an­de­rem ei­nes will: Ge­dan­ken­an­stös­se ge­ben, Fra­gen auf­wer­fen, die wei­ter und vor al­lem tie­fer ver­folgt wer­den kön­nen und müs­sen, um die Re­le­vanz der im­mer flä­chen­de­cken­der wer­den­den Pro­jek­te zur mu­si­ka­li­schen Brei­ten- und Nach­wuchs­för­de­rung auf­zu­zei­gen bzw. sie zu le­gi­ti­mie­ren. Hier­zu hat Gerd Are­ndts Un­ter­su­chung ho­hen Wert.

Eher soziale denn musikalische Auswirkungen?

Ab­ge­run­det wird die Dar­stel­lung u.a. durch Er­fah­rungs­be­rich­te ehe­ma­li­ger Teil­neh­mer des Klas­sen­mu­si­zie­rens. Das ist ei­ner­seits plau­si­bel in­so­fern, als auf die­se Wei­se etwa die Mo­ti­va­ti­on dar­ge­legt wird, spä­ter Schul­mu­sik stu­diert und da­mit gleich­sam die Per­spek­ti­ve ge­wech­selt zu ha­ben. In­wie­weit an­de­rer­seits das Ge­samt­vor­ha­ben durch Äus­se­run­gen re­la­ti­viert wird, die klar zum Aus­druck brin­gen, das Pro­jekt habe aus der Sicht der Schü­ler in Ein­zel­fäl­len mehr so­zia­le Aus­wir­kun­gen denn mu­si­ka­li­sche ge­habt, sei da­hin­ge­stellt. Wenn das je­den­falls als Wir­kung und Funk­ti­on hän­gen bleibt, lies­se sich das Pro­jekt als sol­ches ei­ni­ger­mas­sen be­lie­big ge­gen an­de­re austauschen… ♦

Gerd Are­ndt: In­stru­men­tal­un­ter­richt für alle? (2.Auflage) – Zur lang­fris­ti­gen Re­le­vanz des Klas­sen­mu­si­zie­rens und der Not­wen­dig­keit ei­ner Re­form des Mu­sik­un­ter­richts – Fo­rum Mu­sik­päd­ago­gik, Band 91 Augs­bur­ger Schrif­ten (Hrsg: Ru­dolf-Die­ter Krae­mer), Wiss­ner-Ver­lag, 184 Sei­ten, ISBN 978-3-89639-710-2

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Mu­sik­un­ter­richt“ auch über Ralf Bei­der­wie­den: Mu­sik unterrichten

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)