Konrad Vogel: Introkubus (Groteske)

Introkubus

Konrad Vogel

Als der re­nom­mier­te Lin­gu­ist und spin­del­dür­re Schrift­stel­ler Dr. Fe­lix In­tro­ku­bus sein ei­gen Wort zum ers­ten Mal nicht mehr ver­stand, fand er dies lus­tig. Er for­mu­lier­te, zwar ge­dan­ken­scharf und end­gül­tig wie im­mer, sei­ne Wahr­heit, die Wahr­heit, und – was wich­tig ist – er sprach sie aus. Mag sein, sie war im Lau­fe der Zeit et­was dün­ner und farb­lo­ser ge­wor­den, gra­de so wie er, sei­ne Wahr­heit. Als ne­ga­tiv hät­te ich sie des­we­gen nicht bezeichnet.
Er sprach sie also aus und – ver­stand sie nicht. Wie konn­te er sie denn auch ver­ste­hen, wenn er sei­ne Wor­te nicht hör­te? Nein, kei­ne Spur von Schwer­hö­rig­keit; er hör­te z.B. sei­ne Frau (auch wenn er sie nicht ver­stand) oder sei­ne Kol­le­gen, die er nicht ver­ste­hen woll­te; sei­ne ei­ge­nen Wor­te ver­stand er stets, hör­te sie aber nicht, wenn er sie aus­sprach. Sie ver­schwan­den, kaum aus­ge­spro­chen, ir­gend­wo in ihm. Es war, als saug­te ir­gend et­was in ihm, sein Ma­gen viel­leicht, sei­ne Wor­te an. “Re­tro­spra­che” fie­ber­te sein Hirn, “ich habe die Re­tro­spra­che er­fun­den. Spra­che, die aus mir in mich fliesst.”
Wenn Fe­lix In­tro­ku­bus nun et­was aus­sprach, aus­spre­chen woll­te, er­füll­te ihn ein nie ge­kann­tes Glücks­ge­fühl, dem Ma­ger­süch­ti­gen gleich, der wie­der es­sen darf. Die­ses Glücks­ge­fühl zeig­te sich denn auch ma­te­ri­ell-or­ga­nisch: Der spin­del­dür­re In­tro­ku­bus wur­de – zwar ap­pe­tit­los, er ass kaum noch und er trank nur Was­ser, ge­räusch­los und in gros­sen Men­gen, wie das städ­ti­sche Was­ser­werk ver­merk­te – Dr. Fe­lix Spin­del­dürr wur­de, es sei ge­sagt, es sei ge­klagt, an­sehn­li­cher, wohl­lei­bi­ger, dann – dick.
Sei­ne An­spra­chen und Aus­spra­chen, zu Ein­spra­chen ge­wor­den, er­nähr­ten ihn von selbst. Der Ret­ro­lin­gu­ist wähn­te sich auf dem Gip­fel sei­ner Kar­rie­re, und er wur­de auch über­all her­um­ge­zeigt, un­ser wis­sen­schaft­li­cher Zoo der Ei­tel­keit, sprich Uni­ver­si­tä­ten, kennt der­glei­chen Vor­fäl­le zur Genüge.
Es war auch herr­lich, ja gött­lich zu er­le­ben, wie er, wäh­rend er vor­las – kein Mensch ver­stand ein Wort – rund und run­der wur­de. Bald muss­ten zwar die Tü­ren zum Hör­saal er­wei­tert wer­den, um sei­nen ge­wich­ti­gen Ku­bus, der sei­nem Na­men nun alle Ehre mach­te, durch­zu­las­sen. Är­ger­lich war auch, dass nach ge­hal­te­ner Ein­spra­che die Türe wie­der zu eng und ein Ver­las­sen des Saa­les oft­mals un­mög­lich wurde.
Das al­les war aber er­träg­lich, der ob­li­ga­te Preis des Ruhms. Stö­rend fand In­tro­ku­bus in­des­sen, dass – als er den Feh­ler be­ging, sich im Spie­gel zu be­se­hen – sein Bauch all­mäh­lich dun­kel, dann schwarz wur­de. Schrift­zei­chen, aber auch Lau­te hüpf­ten, glucks­ten, dräng­ten sich, Tä­to­wie­run­gen und Me­lo­dien gleich, un­ter sei­ner Haut ans Tageslicht.
Sei­ne Haut wur­de zur Lein­wand, Wor­te und Bil­der ent­hül­lend; Bläs­chen bil­de­ten sich, die, auf­ge­sto­chen, Töne von sich ga­ben. Es war ein­deu­tig: der In­ku­bus und Ret­ro­lin­gu­ist droh­te zum le­ben­den Ton­film zu werden.
Nichts ge­gen die Film­kunst, mei­ne Da­men, aber wo der Mensch zum Show­ob­jekt mu­tiert, da stel­len sich Gaf­fer ein. Fra­gen nach Re­gie und Ka­me­ra­mann wer­den er­ho­ben. Kurz, die frag­wür­dig ge­wor­de­ne Lein­wand, Dr. Fe­lix In­tro­ku­bus, such­te den Arzt auf.
Er fand ei­nen gu­ten. Dr. Mar­tin Dean, ein Lin­go-Psy­cho­lo­ge und – wie der Name sagt – ein Deh­nungs­spe­zia­list aus den USA, fand die Therapie.
“Ab­so­lu­te Sprach­lo­sig­keit, mein Herr,” emp­fahl Dean. “Ihr Zu­stand ist be­denk­lich, zwei­fels­oh­ne. Bauch, Darm, Zwerch­fell an­ge­spannt bis zum Geht­nicht­mehr. Ich war­ne Sie, ein ein­zi­ges Wort, das Sie noch ein­spre­chen, und Sie plat­zen. Es könn­te Ih­nen ge­hen wie dem ver­rück­ten Ar­chäo­lo­gen aus mei­ner `Ge­fie­der­ten Frau’ – ein ein­zi­ges Wort und Sie brin­gen sich um. Üb­ri­gens, ken­nen Sie mein Buch?”
“Lei­der nein”, sag­te Dr. Fe­lix In­tro­ku­bus, was Dr. Dean dazu brach­te, eine Rei­ni­gungs­fir­ma an­zu­ru­fen, die sein wort­über­sä­tes Büro noch heu­te zu put­zen versucht. ♦


Konrad Vogel - Satire - Glarean MagazinKon­rad Vogel
Geb. 1944 in Näfels/CH; Stu­di­um der Ger­ma­nis­tik und Ro­ma­nis­tik, Dr. phil; Leh­rer­tä­tig­keit in ver­schie­de­nen In­sti­tu­tio­nen und Be­rei­chen, mi­li­tä­ri­sche Kar­rie­re, um­fang­rei­ches kom­mu­nal­po­li­ti­sches En­ga­ge­ment in ver­schie­de­nen Gre­mi­en, Ly­rik und Kurz­pro­sa-Ver­öf­fent­li­chun­gen in Zeit­schrif­ten, lebt als Gym­na­si­al­leh­rer in Horw/CH

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