Ralf Beiderwieden: Musik unterrichten

Vom Wagnis Musik in der Schule

von Walter Eigenmann

Musik­di­dak­ti­sche Bücher (für die Ober­stufe) der letz­ten Jahre pfle­gen oft ent­we­der einen Grad an abs­trak­tem Aka­de­mis­mus an den Tag zu legen, der Stu­den­ten- wie Leh­rer­schaft im päd­ago­gi­schen All­tag rat- und tat­los ste­hen lässt vor der real anzu­ge­hen­den Detail-Fülle neu­zeit­li­cher Musik­ver­mitt­lung. Oder dann kom­men sie gera­dezu bie­der-hemds­är­me­lig daher, als genügte es, mehr­hun­dert­jäh­rige Metho­den-For­schung aus­zu­blen­den und statt­des­sen die punk­tierte Ach­tel mit aller­lei lus­tig-pop­pi­gem Psy­cho­t­rick­sen ans Jung­volk zu ver­hö­kern. (Und noch eine dritte “Schule” an den Schu­len wäre betref­fend “Musik-Schule” nicht zu ver­ges­sen, näm­lich: gar keine Musik mehr in der Schule – in unse­ren Zei­ten der abso­lu­ten kogni­ti­ven Domi­nanz einer­seits und ande­rer­seits ange­sichts der über­all hem­mungs­los gras­sie­ren­den Spar-Wut der Poli­ti­ker in Sachen Kul­tur eine immer scham­lo­ser Schule machende Pra­xis man­cher öffent­li­chen Schulen…).

Reichtum der Musik vermittelt

Musik unterrichten - Eine systematische Methodenlehre - Ralf Beiderwieden (Bosse Verlag)
Musik unter­rich­ten – Eine sys­te­ma­ti­sche Metho­den­lehre – Ralf Bei­der­wie­den (Bosse Verlag)

Nun aber, da (allein nur schon die abend­län­di­sche Kunst-) Musik “in Theo­rie und Pra­xis” einen längst so uner­hör­ten und (darum un-erhör­ten) Reich­tum an For­men, Far­ben und Figu­ren ange­nom­men hat, dass ihre rich­tige und unauf­hör­li­che Ver­mitt­lung gerade in der lebens­läng­lich prä­gen­den Volks- und gym­na­sia­len Schule inzwi­schen zu einer Frage wohl gar ihres Über­le­bens gewor­den ist, bedarf es kom­pe­ten­tes­ter Anlei­tung zu dif­fe­ren­zier­ter Metho­dik und pra­xis­ori­en­tier­ter Sys­te­ma­tik in die Hand der Musik­un­ter­rich­ten­den, aber auch des Weckens phan­ta­sie­ge­steu­er­ter, krea­ti­ver Expe­ri­men­tier­lust in eben die­sen Lehrenden.
Eine sol­che “sys­te­ma­ti­sche Metho­den­lehre” hat im Bosse-Ver­lag jetzt der Olden­bur­ger Musik-Semi­nar­lei­ter und Gym­na­si­al­leh­rer für Musik und Geschichte Ralf Bei­der­wie­den vorgelegt.

Unterricht soll Schüler verändern

Müsste man Bei­der­wie­dens Band “Musik unter­rich­ten” mit einem Wort cha­rak­te­ri­sie­ren, zitierte man am bes­ten eines sei­ner vie­len Zitate: “‘Der Unter­richt, von dem wir reden, soll mit dem Men­schen selbst, mit sei­ner Per­son sich so ver­ei­ni­gen, dass es nicht mehr die­ser Mensch sein würde, wenn man ihm diese Kennt­nis weg­nähme’. (J. F. Her­bart, Abitu­ri­ent des ‘Alten Gyman­si­ums Olden­burg, Abitur­jahr­gang 1794)”. Oder viel­leicht auch dies: “‘Ich wäre stolz, wenn ich nach mei­nem Kom­po­si­ti­ons­un­ter­richt sagen dürfte: Ich habe den Kom­po­si­ti­ons­schü­lern eine schlechte Ästhe­tik genom­men, ihnen dafür aber eine gute Hand­werks­lehre gege­ben’ (Arnold Schön­berg, Har­mo­nie­lehre, 1911)”.

Und so hand­werkt denn Bei­der­wie­den drauf­los, dass es noch für ältest-abge­brühte Semes­ter der Musik­leh­rer-Zunft (oder gerade für diese?!) eine wahre Freude des Lesens und Stu­die­rens ist. Schon im Vor­wort ist expo­niert, was dann 210 Sei­ten lang des Brei­ten, aber mit­nich­ten Lan­gen durch­ge­führt wird: “Sie wer­den in die­sem Buch kaum Sätze fin­den wie: ‘Der Leh­rer soll…’ oder ‘Der Leh­rer ver­meide…’. Der Leh­rer muss gar nichts, und wenig braucht er zu ver­mei­den. Unter­rich­ten ist wie Kom­po­nie­ren: Han­deln in einem wei­ten Feld von Wenn-dann-Bezie­hun­gen. Es gibt nicht die eine Methode, mit der etwas geht. Sie kön­nen die moti­vi­sche Ent­wick­lung in einem Quar­tett­satz an einer Zeit­leiste ent­wi­ckeln. Sie kön­nen sich für Schnip­sel­tech­nik ent­schei­den oder für ein Such­bild-Ver­fah­ren. Wenn Sie einen gut gefüll­ten Werk­zeug­kas­ten haben, wer­den Sie ein pas­sen­des Werk­zeug finden.”

Didaktisch intelligent aufgebaut

Und der Bei­der­wie­densche Werk­zeug­kas­ten ist in der Tat nicht nur über­voll, son­dern auch sehr intel­li­gent sor­tiert; der for­male Auf­bau des Ban­des prä­sen­tiert sich folgendermassen:

Leseprobe 1 aus: Ralf Beiderwieden, Musik unterrichten, Eine systematische Methodenlehre
Lese­probe 1 aus: Ralf Bei­der­wie­den, Musik unter­rich­ten, Eine sys­te­ma­ti­sche Methodenlehre

Wie man sofort sieht, quasi eine durch­kom­po­nierte Suite, die (min­des­tens) ein Leit­mo­tiv hat, näm­lich die­ses, dass es schier keine The­ma­tik in der her­kömm­li­chen, mil­lio­nen­fach tra­dier­ten Musik­päd­ago­gik gibt, wel­che nicht doch noch eine Spur geschick­ter, also schnel­ler und freud­vol­ler ver­mit­tel­bar ist bzw. wäre… Und der Ideen-Con­tai­ner die­ses Buches ist rie­sig: Kein wirk­lich wich­ti­ger Aspekt der Schul­mu­sik, dem der Autor nicht eine neue Facette des Zugangs abge­winnt. Dies ver­deut­licht (als nur eines von vie­len mög­li­chen Bei­spie­len) die fol­gende Probe-Seite:

Leseprobe 2 aus: Ralf Beiderwieden, Musik unterrichten, Eine systematische Methodenlehre
Lese­probe 2 aus: Ralf Bei­der­wie­den, Musik unter­rich­ten, Eine sys­te­ma­ti­sche Methodenlehre

Und nach Johann Sebas­tian Bach noch etwas Jimi Hendrix:

Leseprobe 3 aus: Ralf Beiderwieden, Musik unterrichten, Eine systematische Methodenlehre
Lese­probe 3 aus: Ralf Bei­der­wie­den, Musik unter­rich­ten, Eine sys­te­ma­ti­sche Methodenlehre

Wenn ein schul­mu­si­ka­li­sches Ober­stu­fen-Didak­ti­kum der letz­ten Jahre das berühmte Motto “Aus der Pra­xis für die Pra­xis” ohne Ein­schrän­kung ein­löst, dann ist es die­ses “Musik unter­rich­ten”. Aus jeder Zeile des immer kon­zen­triert und ori­gi­nell for­mu­lier­ten, teils erfri­schend salopp daher­kom­men­den Ban­des wird der Leser­schaft deut­lich, dass hier einer die Sys­tem-Bilanz einer viel­jäh­ri­gen und viel­sei­ti­gen, dabei offen­sicht­lich sehr krea­tiv gehand­hab­ten Beschäf­ti­gung mit dem (Spannungs-?)Feld “Musik-Jugend-Schule” offen­legt, wie man sie in die­ser Ori­gi­na­li­tät noch sel­ten gese­hen hat. Kurzum: “Musik unter­rich­ten” von Ralf Bei­der­wie­den gehört obli­gat auf den Noten­stän­der eines jeden Musiklehrers. ♦

Ralf Bei­der­wie­den, Musik unter­rich­ten, Eine sys­te­ma­ti­sche Metho­den­lehre, 210 Sei­ten, Bosse Ver­lag, ISBN 978-3764926564

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Musik­un­ter­richt auch über Michael Dartsch: Musik ler­nen, Musik unterrichten

… sowie zum Thema Musik­ge­schichte über die Oper von Daniel Auber: Die Stumme von Portici

Ein Kommentar

  1. Hallo Ralf,
    Ich hoffe du bekommst diese Nachricht.
    Das ist dein lan­ger, ver­lo­re­ner Freund Sean Kelly. Kim Koons und ich leb­ten 1980 mit Ihnen und Jan in Han­no­ver am Schiff­gra­ben. Erin­nerst du dich? Ich bin immer noch gut mit Kim befreun­det und wir reden jedes Wochen­ende am Tele­fon. Wir sind beide sehr daran inter­es­siert, euch und Jan ken­nen­zu­ler­nen. Wir wür­den gerne wis­sen, was mit dir pas­siert ist, seit wir dich das letzte Mal gese­hen haben. Bitte schreib zurück!
    seandoublebass@gmail.com
    koons971@gmail.com
    Grusse Got!

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