Inhaltsverzeichnis
Kaiser, König, Spielmannsleut
von Wolfgang-Armin Rittmeier
Das Jahr 919 ist für die Geschichte jenes europäischen Landstriches, den wir heute (unter anderem) Deutschland nennen, in der Tat ein wichtiges. Der Liudolfingerfürst Heinrich, bekannt als der Vogler (wobei dieses Agnomen wohl weniger das ornithologische denn vielmehr das Interesse des Sachsenfürsten am anderen Geschlecht näher beschreibt), wird in der Königspfalz zu Fritzlar zum ersten deutschen König erhoben und begründet damit jenes Herrschergeschlecht, das nach der Krönung seines Sohnes Otto I. zum Kaiser als “Ottonen” bekannt ist. Grund genug für die renommierte Capella Antiqua Bambergensis, gemeinsam mit Schauspieler Udo Schenk eine CD mit dem Titel “Heinrich: König und Kaiser – Herrscher und Heiliger” herauszubringen. Mit einer Mischung aus Musik des Mittelalters und einem literarischen Anteil soll Heinrich – so legt es zumindest der Titel nahe – in seiner Welt sichtbar gemacht werden.
Mehr als Heinrich
Tatsächlich handelt es sich bei dieser CD aber nicht um eine musikalisch-literarische Biographie Heinrichs, sondern um einen Parforceritt durch die Ära Ottonen. Der 919 gekrönte Heinrich spielt hier letztlich gar keine so entscheidende Rolle. Aber das macht in der Gesamtschau auch nichts, ist dies doch nicht das einzige Element, das bei dieser Produktion nicht so recht stimmig ist. Da wäre zum einen der literarische Anteil der Produktion. Weil sich im Jahre 2019 nicht nur Heinrichs Thronjubiläum jährt, sondern auch der 1000. Todestag des Merseburger Bischofs Thietmar, schlüpft Mime Schenk in die Rolle jenes Bischofs, der vor allem dadurch bekannt ist, dass er mit seiner acht Bände zählenden “Chronicon sive Gesta Saxonum” (Chronik oder Geschichte der Sachsen) aus den Jahren 1012-1015 eine der wichtigsten Quellen zum ottonischen Zeitalter hinterlassen hat. Ob die Erzählerfiktion aber wirklich nötig gewesen wäre? Bisweilen – besonders zu Beginn der CD – irritiert sie eher, wenn Thietmar von “seiner” Capella Antiqua spricht, in der Rückschau (quasi von einer Wolke aus) architektonische Vorteile der zu Lebzeiten von ihm nicht mehr erfahrenen Gotik reflektiert oder ganz im anglizismenreichen Duktus der Gegenwart in Punkto des Liebeslebens der Kaiserpaare raunend von seinen “Insiderquellen” spricht. Mit der Zeit gewöhnt sich der Hörer jedoch daran. Leider – und das führt dazu, das die CD sich gegen Ende hin länger anfühlt, als sie mit einer Spielzeit von knapp 75 Minuten ist – neigt Udo Schenks Rezitation nicht selten zu einem zu andachtsvoll-huldigenden Ton, der den Hörer nach einiger Zeit nach etwas facettenreicherer Modulation, nach kerniger Akzentuierung, nach einem saftigeren Sprachfluss lechzen lässt.
Ottonische Frauen

Sieht man von dergleichen ab und konzentriert sich stattdessen auf den Inhalt des Vorgetragenen, so ist doch zu konstatieren, dass der Hörer dieser Produktion tatsächlich einen knappen, gleichwohl aber interessanten Einstieg in die Welt der Ottonen mitnehmen kann. Sicher, ob der vom Medium vorgegebenen Notwendigkeit zur Verkürzung der hochkomplexen Sachverhalte, erfährt im Grunde kaum etwas über die politischen Geschehnisse der Epoche. Und doch gibt es einen Umstand, der den Hörer dazu verführt, sich mit den Ottonen zu beschäftigen, einen Umstand, der in der deutschen und mittelalterlichen Geschichte überhaupt als geradezu einzigartig heraussticht: das eigentlich Interessante an den zwei Heinrichs und den drei Ottos sind ihre Frauen. Mit einer geradezu erfreulichen Beharrlichkeit kommt das von Thomas Spindler verfasste Skript immer wieder auf die beiden Mathilden, auf Adelheid, auf Theophanu und auf Kunigunde von Luxemburg zu sprechen und deutet nachdrücklich an, welchen ungeheuren Einfluss die Königinnen bzw. Kaiserinnen auf ihre Männer und damit auf die Geschicke des Reiches hatten. Exemplarisch hierfür steht gegen Ende der Produktion Thomas Spindlers Bewertung der Kaiserin Kunigunde, die mit ihrem Gemahl Heinrich II. kinderlos blieb und somit gemeinsam mit ihm die Dynastie der Ottonen beschloss: “Ohne Kunigunde wäre Heinrich II. nicht das geworden, wofür wir ihn heute bewundern.”
Schmückendes Beiwerk auf höchstem Niveau

Die auf dieser CD versammelte Musik wird von der Capella Antiqua Bambergensis gestaltet. Hinzu treten singend und die verschiedensten Instrumente spielend Jule Bauer, David Mayoral, Murat Coşkun und Benjamin Dressler. Alle Musikerinnen und Musiker sind seit vielen Jahren Meister ihres jeweiligen Faches, nicht nur künstlerisch und technisch, sondern auch musikphilologisch. Insofern ist es nicht wirklich verwunderlich, dass man es hier mit musikalisch hochklassigen Nachempfindungen zu tun hat, die nur selten – beispielsweise im am Hof Alfons X. von Kastilien entstandenen “Cantigas ‚Par Deus‘” – Gefahr laufen, aufgrund eines überdrehten Gestus in jenen Bereich abzurutschen, dem ein wenig ein Geschmäckle von Mittelalterpop anhaftet.
Auf der anderen Seite: Wer will – zugegeben – auch sagen, wie von 1000 Jahren tatsächlich aufgespielt wurde? Das mag schon irgendwie so geklungen haben. Schön gelingen das Instrumentalstück “Parlamento”, das omnipräsente “Palästinalied” Walthers, das “Je nuns hons pris” aus der Feder von Richard Löwenherz und das “A Chantar” der Trobairitz Beatriz de Dia. Schaut man sich nun aber Liste der genannten Stücke und darüber hinaus noch die restlichen dieser CD an, so offenbart sich unmittelbar die Schwäche dieser Auswahl, denn keine der vorgestellten Kompositionen stammt aus der Zeit der Ottonen. Der Fachfrau und dem Fachmann mag dies ganz natürlich erscheinen, gibt es – nimmt man den gregorianischen Choral einmal aus – doch kaum Quellen zur Musik des früheren Mittelalters, schon gar nicht zu Volkslied, Tanz und Spielmannsmusik.
Erhellende Booklet-Texte
Dem Laien, der mittels dieser CD die Welt des musikalischen Mittelalters betritt, dürfte dies allerdings nicht zwingend bekannt sein, sodass sich hier schnell voreilige Vorstellungen von dem, was dereinst bei Mummenschanz und Kurtzweyl von fahrendem Volk und Marketenderin über den Marktplatz schallte, einschleichen können. Letztlich – und das muss man bei aller Freude, die die Darbietungen letztlich machen, geradeheraus sagen – steuern die vorgestellten Werke nichts zum eigentlichen Gehalt der Produktion bei, sondern übernehmen die etwas schale Rolle des schmückenden Beiwerks.
Insgesamt erfreulich ist das Booklet, das einen knackigen Text zur Epoche der Ottonen und einen zur Geburt der Mehrstimmigkeit von Wolfgang Spindler, der 1983 die Capella Antiqua Bambergensis gegründet hat. Dass jedoch die Texte zu den einzelnen Musikstücken nicht den Weg ins Booklet gefunden haben, ist bedauerlich. ♦
Capella Antiqua Bambergensis: Heinrich -König und Kaiser, Herrscher und Heiliger; Faszinierende Herrschergeschichten des Mittelalters; Udo Schenk (Sprecher), Audio-CD, CAB Records
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Mittelalterliche Musik auch über
Heinrich Laufenberg: Kingdom of Heaven (CD)
Na ja, mag ja sein dass “Heinrich” jetzt nicht die stimmigste CD-Produktion von CAB ist, wie der Rezensent bemängelt. Ich hätte mir auch ein paar Stücke präzis aus der Ottonen-Zeit gewünscht. Trotzdem, die Leute musizieren herrlich! Wunderbar atmosphärisch, ich bleibe ein Fan dieser Gruppe! Mein Lieblings-Video hier: https://www.youtube.com/watch?v=Tjgph_L0Jp4
Trotzdem Danke für den Bericht: Sandra