Wendel Schäfer: Das verhinderte Spektakel (Groteske)

Das verhinderte Spektakel

Wen­del Schäfer

Jens Uwe, der Juwe, war ein ech­ter Nor­der. Hoch ge­wach­sen, die Füs­se in Schu­hen wie Fluss­käh­ne und an den lan­gen Ar­men Hän­de wie Flos­sen. Ma­ria war aus dem Sü­den. Bis auf ihre Rund­ba­cken mit Grüb­chen ohne be­son­de­ren Kenn­zei­chen. Mit­ten im Land tra­fen bei­de auf­ein­an­der. Zu Kur­sen in ei­ner Mas­sa­ge­schu­le. Das Tref­fen ge­stal­te­te sich so leb­haft, dass sie sich fürs gan­ze Le­ben ver­spre­chen woll­ten. Un­ter der Be­din­gung, dass Jens Uwe mit ihr in den Sü­den zog. „Hier oben ist al­les so platt und lang­wei­lig und im­mer zu viel Wind um den Kopf“.
Also zog Juwe mit sei­ner Ma­ria in den Sü­den. Und fühl­te sich gleich un­wohl. Al­lein schon wie sie hier un­ten ihm hin­ten das Ju­weee lang zo­gen, dass es ihm im Kopf und Bauch weh tat. Mit Mas­sa­ge konn­ten bei­de hier im Städt­chen nichts be­gin­nen. Ma­ria ging in eine Gross­wä­sche­rei. Jens Uwe zur Post.
Grös­se und Rie­sen­hän­de wuss­te der Post­ler ge­schickt ein­zu­set­zen. Im Hand­ball. Hand­ball spiel­te er schon in sei­ner Ju­gend oben im Dorf­ver­ein. Hier un­ten konn­te er sei­ne Wurf­tech­nik so ver­fei­nern, dass er für den Ver­ein rasch un­ent­behr­lich wur­de. Ge­fürch­tet wa­ren sei­ne Auf­set­zer. Sie spran­gen dem Tor­wart um den Leib her­um, weil die Bäl­le mal nach links und rechts ge­dreht auf­setz­ten. Da­mit stieg der Ver­ein zwei­mal hin­ter­ein­an­der auf und der Juwe zum Trai­ner erst der Ju­gend-, dann ei­ner Da­men­mann­schaft. Und soll­te bald die Ers­te trai­nie­ren. Als der tüch­ti­ge Trai­ner fast alle Da­men durch hat­te, jag­ten sie ihn fort. Sei­ne Ma­ria war ihm schon et­was frü­her da­von ge­lau­fen. Und als Be­am­ter ging so et­was schon gar nicht.
So hat­te er sich nun al­lein durch­zu­schla­gen und be­zog eine be­schei­de­ne Be­hau­sung am Berg­hang. Und als er nach müh­se­li­gen Post­ler-Jah­ren vor­zei­tig in Pen­si­on muss­te, die Ge­len­ke woll­ten nicht mehr rich­tig, wur­de es für den Juwe noch en­ger, und er nahm sich im­mer mehr zu­rück. Sel­ten sah man ihn im Ort Be­sor­gun­gen ma­chen. Die meis­te Zeit strich er durch Wie­sen und Wäl­der und kam nie ohne ein Bün­del Brenn­holz zu­rück. Die Win­ter ge­rie­ten meist hart hier un­ten. Von Ma­ria sah und hör­te er nichts mehr. Viel­leicht war sie ja auch schon gestorben.
In die­sem Jahr war es wie­der so weit. Das gros­se He­xen­fest. Alle fünf Jah­re ge­riet das Städt­chen in fieb­ri­ge Auf­re­gung. In der Not des Dreis­sig­jäh­ri­gen Krie­ges kam es auf das Spek­ta­kel und hielt es bis heu­te bei. Jens Uwe hass­te es, wenn ein aus­ge­such­tes Op­fer den ma­ka­bren Spuk über sich er­ge­hen las­sen muss­te: Mit Bier, Tam­tam und Ge­joh­le hol­ten sie eine Alte ab, setz­ten sie auf dem Lei­ter­wa­gen auf ein Jau­che­fass, stülp­ten ihr Sack­lei­ne über, ver­rie­ben Asche in ihr Ge­sicht, zer­zaus­ten das Haar und ver­brach­ten die un­säg­li­che Fracht mit­ten auf den Markt­platz. Dort war ein Holz­stoss auf­ge­baut, und da­vor wur­de der He­xen­wa­gen ab­ge­stellt. Bei her­ein­bre­chen­der Dun­kel­heit steck­ten sie den Schei­ter­hau­fen in Brand, dass es der Al­ten rot im Ge­sicht leuch­te­te und die Haa­re auf­weh­ten. Da­bei tanz­ten die meist jun­gen Män­ner um Wa­gen und Feu­er bei Blas­mu­sik, Wurst und Bier. Ei­nem Frem­den, ei­nem zu­fäl­li­gen Gast gab ei­ner auf sein Er­stau­nen die Ant­wort in be­müh­tem Hoch­deutsch: „Die ha­ben wir frü­her rich­tig ver­brannt“ und liess den Frem­den, be­stimmt ei­ner von oben, mit of­fe­nem Mund ste­hen. Nach dem Ver­lö­schen des Feu­ers brach­te man die Arme zu­rück in ihre Be­hau­sung, und das He­xen­fest wur­de noch bis zum Mor­gen­grau­en tüch­tig ge­fei­ert bei Ha­xen, Schwof und Bier.
Jens Uwe be­kam her­aus, dass es dies­mal eine Alte aus der Nach­bar­ge­mein­de tref­fen soll­te. Sie war im Hei­mat­blätt­chen als Ma­ria B. ab­ge­bil­det. Ihm stock­te der Atem. Das war Ma­ria. Sei­ne Ma­ria. Und nicht nur we­gen der Grüb­chen. Es be­stand kein Zwei­fel. Und Jens Uwe, der Juwe, fass­te ei­nen Plan. Dies­mal woll­te man die Un­glück­li­che mit der ein­glei­si­gen Bum­mel­bahn aus dem Nach­bar­ort ab­ho­len. Bei her­ein­bre­chen­der Dun­kel­heit mit Mu­sik, Fa­ckel­schein und Bier.
Un­ter­halb sei­ner Hüt­te muss­te der Zug um eine Fels­na­se her­um durch eine Fich­ten­scho­nung. Hier woll­te Jens Uwe sei­ne Hexe aufs Ge­leis brin­gen. Der Lok­füh­rer konn­te das Hin­der­nis nur im al­ler­letz­ten Au­gen­blick er­ken­nen und nicht recht­zei­tig brem­sen. Jens Uwe stülp­te zwei Heu­bal­len über­ein­an­der, setz­te eine run­de Papp­schach­tel oben auf, schlug Stoff wie ein Kopf­tuch dar­über, zwei rote Äp­fel als Au­gen, eine lan­ge Möh­re die Nase. Dazu steck­te er ei­nen Rei­sig­be­sen an die Sei­te und ver­barg sich dann im Gebüsch.
Be­vor der Fest­zug um die Ecke keuch­te, sprang Juwe auf die Schie­nen und steck­te das Heu in Brand. So­fort stand al­les lich­ter­loh in Flam­men. Mit schril­len Pfif­fen und krei­schen­den Brem­sen krach­te der Zug in den Feu­er­ball. Das He­xen­ge­bil­de zer­platz­te, und Fun­ken und Feu­er­stös­se sto­ben in die Dun­kel­heit. Po­li­zei, Ret­tern und Wehr­leu­ten konn­te der Lok­füh­rer nur ein „Hex, Hex“ ent­ge­gen­stam­meln. An­de­re wei­ter vorn im Zug woll­ten Feu­er­geis­ter ge­se­hen ha­ben. Wie­der an­de­re mach­ten Ge­spens­ter aus. Auch leib­haf­ti­ge Teu­fel. Und ei­ner hat so­gar eine Hexe auf ei­nem Be­sen rei­tend durch die Luft flie­gen gesehen.
Mit die­sem feu­ri­gen Spuk war das Fest be­en­det. Und das Spek­ta­kel für alle Zeit verboten.
Für den Post­ler Jens Uwe war es ein Leich­tes, die Adres­se von Ma­ria B. aus­zu­ma­chen, um ihr ei­nen knap­pen Brief zu schrei­ben. Un­ter­zeich­net mit J. U.
Ma­ria las, ver­stand, lä­chel­te und gab das Pa­pier ins Feuer. ♦


Wendel Schäfer: Über den Kopf (Groteske)Wen­del Schäfer

Geb. 1940 in Bundenbach/D, Stu­di­um der Grund-, Haupt- und Son­der­schul-Päd­ago­gik in Ko­blenz und Mainz, lang­jäh­ri­ge Un­ter­richts­tä­tig­keit in der Leh­rer­bil­dung, zahl­rei­che Buch- und Zeit­schrif­ten-Pu­bli­ka­tio­nen, um­fang­rei­che Ver­bands- und her­aus­ge­be­ri­sche Ak­ti­vi­tä­ten, lebt als Schrift­stel­ler in Boppard/D

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch die Gro­tes­ke von
Wen­del Schä­fer: Über den Kopf

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)