Computerschach: Opening Encyclopaedia (Chessbase)

Fachmännische Betreuung einer modernen Partien-Sammlung

von Peter Martan

Erneut prä­sen­tiert Deutsch­lands bekann­tes­ter Schach­soft­ware-Pro­du­zent Chess­base eine aktu­elle Aus­gabe sei­ner tra­di­tio­nel­len “Ope­ning Ency­clo­paedia”. Die mit knapp 100 Euro nicht eben bil­lige DVD kommt wie gewohnt mit einer ful­mi­nan­ten Fülle (neuen) Mate­ri­als daher.

Neue Vor­ne­weg ein klei­ner Hin­weis für User wie mich, die vor län­ge­rer Zeit die letzte Ver­sion des “Chess­Base Rea­ders” instal­liert haben: Die Daten­bank lässt sich zwar ggf. mit einer alten Ver­sion star­ten, funk­tio­niert aber evtl. trotz­dem nicht feh­ler­frei. Bei mir war es so, dass die Links zur Info und zu den alten Daten­ban­ken Feh­ler­mel­dun­gen erzeug­ten; Erst nach Neu­in­stal­la­tion lief die Sache. Und noch ein Tip: Dass die Gebrauchs­an­lei­tung (abge­se­hen von den ers­ten Schrit­ten der Instal­la­tion, im Cover beschrie­ben) ledig­lich auf der DVD im Stamm­ver­zeich­nis als “cb9readerGER.pdf” vor­liegt, fin­det man auch nicht gleich her­aus… Ande­rer­seits ist es natür­lich kom­for­ta­bel, die Daten­bank auch von “Fritz” bzw. dem “ChessBase”-Datenbankprogramm aus star­ten zu kön­nen; dort hat man auch die volle Online-Hilfe-Unter­stüt­zung, wel­che im Rea­der nicht aktiv ist. Des­sen Haupt­vor­teil gegen­über dem rei­nen Daten­bank­pro­gramm ist der Titel- und Infor­ma­ti­ons­text, der gleich­zei­tig als Menü­füh­rung durch das gesamte Par­tien­ma­te­rial dient.

Imposante Geschwindigkeit der Suche

Das Blät­tern in dem nach Text, Par­tien, Spie­lern, Tur­nie­ren, Kom­men­ta­to­ren, Quel­len, Mann­schaf­ten und Eröff­nun­gen geord­ne­ten Mate­rial ist einem Brow­ser ähn­lich und intui­tiv erfass­bar. Mit ent­spre­chen­den “Schlüs­seln” kann man dann noch nach The­men, tak­ti­schen und stra­te­gi­schen Moti­ven sowie nach End­spie­len suchen. Dabei impo­niert die Geschwin­dig­keit, mit der das rie­sige Mate­rial z.B. nach bestimm­ten Brett­stel­lun­gen durch­fors­tet wird – auf einem moder­nen Rech­ner nur wenige Minu­ten -, um nach bestimm­ten Brett­stel­lun­gen zu suchen. Auf der DVD sind 4,4 GB, über 3,35 Mil­lio­nen Par­tien, auf Fest­platte instal­liert wer­den davon nur 30 MB. Dazu kommt, dass Sta­tis­ti­ken blitz­schnell erstellt wer­den, z.B. die Per­for­mance zweier belie­bi­ger Kontrahenten.

Erfinder des modernen Schachs”

Back-Cover der
Back-Cover der “Ope­ning Ency­clo­paedia” von Chessbase

Um, was den Inhalt anbe­langt, mit dem Ende anzu­fan­gen, weil es mir his­to­risch so beson­ders gut gefal­len hat: Unter dem Titel “Erfin­der des moder­nen Schachs” geht Gross­meis­ter Curt Han­sen, gleich­sam als Anhang des Ver­zeich­nis­ses, in zwei Tei­len Fra­gen der Urhe­ber­schaft von Zügen in Eröff­nungs­sys­te­men nach. Ers­tes Bei­spiel: Schwar­zer Bau­ern­vor­stoss h7-h5 der Sche­ven­in­ger/­Paul­sen-Vari­ante im Sizi­lia­ner, wie ihn heut­zu­tage z.B. Igor Mila­di­ni­voc ver­ficht. Han­sen bringt als für ihn erste Par­tie, “in wel­cher der Nach­zie­hende in die­sem moder­nen Auf­bau offen­bar recht genau wusste was er tat”, aus der Schach­ge­schichte die Par­tie Yates-Bogol­ju­bow (Mos­kau 1925), in der Schwarz 13… h5!? zog. Das Bei­spiel gefällt mir auch so, weil es Isaac Lip­nitzky in sei­nem Buch “Fra­gen der moder­nen Schach­theo­rie” eben­falls bringt. Offen­bar war die Par­tie damals wirk­lich ebenso beach­tet wie fol­gen­reich, und so etwas ist natür­lich schach­his­to­risch immer span­nend zurück­zu­ver­fol­gen. In nicht weni­ger als 80 Par­tie­bei­spie­len wird die Ent­wick­lung der Idee dann his­to­risch wei­ter­ver­folgt und kom­men­tiert. Im zwei­ten Teil erör­tert Han­sen dann noch umfang­rei­cher und stra­te­gisch viel­schich­tig das Pro­blem, wie sich das Motiv des Abtau­sches des Königs-Fian­chet­to­läu­fers (Lg2/Lg7) gegen den Sc3/Sc6 ent­wi­ckelt hat. Von den Anfän­gen des Läu­fer-Fian­chet­tos, das ja um 1900 noch etwas Neues war und noch z.B von Richard Teich­mann als “diese dumme Dop­pel­loch-Eröff­nung” bezeich­net wurde, bis hin zu der moder­nen Idee, die­sen Läu­fer auch noch abzu­tau­schen, ein wei­ter Weg… Ihm geht Han­sen in 255 Par­tien nach – für schachis­to­risch Inter­es­sierte ein beson­de­rer Leckerbissen.

Fachspezifische Betreuung aller Kapitel

Jedes Eröff­nungs­sys­tem hat eine ein­lei­tende Beschrei­bung von einem aner­kann­ten Fach­mann des ent­spre­chen­den The­mas, der das Mate­rial dem Kapi­tel zuord­net und kom­men­tiert. Von Lub­o­mir Ftac­nik wer­den einige Kapi­tel bespro­chen. Will­kür­lich greife ich den Eng­li­schen Angriff des Sizi­lia­ners her­aus. Ftac­nik nennt eine Vari­ante dar­aus nach Vese­lin Topa­lov, weil er nach sei­ner Par­tie gegen Peter Leko in San Luis 2005 “die theo­re­ti­sche Dis­kus­sion als amtie­ren­der Welt­meis­ter eröff­nete”. (Anmer­kung der Redak­tion: zwar kam der Zug 9… Sd7 schon ein­mal in einer Fern­par­tie zwi­schen Vla­di­mir Stancl und Jan Schwarz 2003 vor, fand aber damals offen­bar nicht son­der­lich Beach­tung.) Ftac­nik zeigt in 24 Par­tien, gespielt zwi­schen 2000 und 2006, dass in die­sen Par­tien die Sta­tis­tik von 55% für Schwarz in die­ser Vari­ante zu der Schluss­fol­ge­rung am Ende des Kapi­tels berech­tigt: “Die Topa­lov-Vari­ante ist hier um zu blei­ben.” (Anmer­kung d.Red.: Tat­säch­lich habe ich die frag­li­che Vari­ante nach 2006 nur noch 10 mal in der Inter­na­tio­na­len Meis­ter­pra­xis gefun­den, alle 2007, davon ging aller­dings nur noch eine für Schwarz aus,  vier mal gewann Weiss bei 5 Remis. Nach 2007 fand ich kein Bei­spiel mehr, offen­bar ist es doch wie­der etwas stil­ler gewor­den darum.)

Hochkarätige Kommentatoren

Lubomir Ftacnik - Schachspieler - Glarean Magazin
Chess­base-Autor Lub­o­mir Ftacnik

Erst recht kann man in wenig gespiel­ten Eröff­nungs­sys­te­men keine Voll­stän­dig­keit des Vari­an­ten­bau­mes erwar­ten. Z.B. erör­tern Alex­an­der Ban­giev und Peter Lei­se­bein sehr schön meine geliebte Lar­sen-Eröff­nung anhand von 107 Par­tien, von denen zehn kom­men­tiert sind. Dass sie alle aber nur ein ein­zi­ges Abspiel bis zum 5.Zug doku­men­tie­ren, tut dem Sys­tem zuviel Abbruch. Man muss sich dabei aller­dings vor Augen hal­ten, dass selbst eine der­ar­tig grosse Samm­lung von Par­tien unmög­lich ein wirk­lich kom­plet­tes Nach­schla­ge­werk der gesam­ten Schach­theo­rie sein kann, son­dern immer nur einen mehr oder weni­ger reprä­sen­ta­ti­ven Quer­schnitt bie­ten kann. Aus­ser­dem kann man natür­lich mit “Fritz” oder “Chess­Base” die Daten­bank von der DVD auf Fest­platte instal­lie­ren, um dort dann Par­tien hin­zu­fü­gen. Dass die ganze Daten­bank sowohl im “Rea­der” als auch in “Fritz” als Eröff­nungs­buch im Chess­base-eige­nen ctg-For­mat ver­wend­bar ist, muss gar nicht eigens erwähnt wer­den für Fans, ist aber natür­lich ein mäch­ti­ges Fea­ture, das die Viel­sei­tig­keit der For­mate aus­macht: Eröff­nungs­bü­cher zu erstel­len und zu edi­tie­ren hat ebenso grosse Nütz­lich­keit für die meis­ten Hobby- und Profi-Spie­ler wie die Mög­lich­keit, kom­men­tierte Par­tien platz­spa­rend abzuspeichern.

Fazit: In die­ser Schach-Enzy­klo­pä­die fin­det sich nicht nur eine sehr grosse und rele­vante Par­tien­samm­lung, son­dern auch deren his­to­risch exakte Auf­be­rei­tung – nota­bene von hoch­klas­si­gen Kom­men­ta­to­ren: Anand (262 Par­tien), Ban­giev (1614!), Marin (457), Kas­pa­rov (48)oder Kram­nik (59) sind nur einige beson­ders klin­gende Namen. Was diese Autoren als Schach­spie­ler zu sagen haben, fin­det man wohl in kei­nem ein­zel­nen Lehr­buch der­art umfang­reich und schon gar nicht in die­ser Funk­tio­na­li­tät eines elek­tro­ni­schen Nachschlagwerkes.

Chess­base: Ope­ning Ency­clo­paedia 2009, DVD-ROM (inklu­sive deut­sche Ver­sion des Eröff­nungs­le­xi­kons 2009)

Screenshots: “Opening Encyclopaedia” 2009

Die Links zu den CBM-Theorie-Datenbanken im Text-File der "Opening Encyclopedia 2009"
Die Links zu den CBM-Theo­rie-Daten­ban­ken im Text-File der “Ope­ning Ency­clo­pe­dia 2009”
Der Varianten-Baum in der "Opening Encyclopedia 2009"
Der Vari­an­ten-Baum in der “Ope­ning Ency­clo­pe­dia 2009”
Die Turnier-Detail-Angaben in der "Opening Encyclopedia 2009"
Die Tur­nier-Detail-Anga­ben in der “Ope­ning Ency­clo­pe­dia 2009”

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Com­pu­ter­schach auch über das Hal­lo­ween Chess Puz­zle 2018

… sowie zum Thema Schach-Stra­te­gie über Harald Schnei­der-Zin­ner: Strategieschule

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