Interview mit der Komponistin Katharina Nohl

Die Musik wird wieder harmonischer werden”

Katharina Nohl befragt von Jakob Leiner

Ka­tha­ri­na Nohl wur­de 1973 in der DDR ge­bo­ren und lebt seit 2002 mit ih­rer Fa­mi­lie in der Schweiz. Ne­ben dem Kom­po­nie­ren und dem Kon­zer­tie­ren ist sie Mit­be­grün­de­rin des Swiss Fe­ma­le Com­po­sers Fes­ti­val und wid­met sich kul­tur­po­li­ti­schen Fra­gen so­wie gen­der-pa­ri­tä­ti­schen De­fi­zi­ten des Musik-Betriebes.

Glarean Ma­ga­zin: Frau Nohl, Sie sind Pia­nis­tin, Kom­po­nis­tin, Kul­tur­ver­mitt­le­rin und Fa­mi­li­en­mensch. Was ist das in­te­grie­ren­de Et­was in Ih­rem Leben?

Komponistin und Pianistin Katharina Nohl - Glarean Magazin
“Neu­gier und Aben­teu­er­lust”: Die Kom­po­nis­tin und Pia­nis­tin Ka­tha­ri­na Nohl (*1973)

Ka­tha­ri­na Nohl: Neu­gier und Abenteuerlust.

Im Jahr 2019 mit­be­grün­de­ten Sie das Swiss Fe­ma­le Com­po­sers Fes­ti­val. Wie kam es dazu?

Die Idee, et­was für Kom­po­nis­tin­nen zu tun, ih­nen zu mehr Sicht­bar­keit zu ver­hel­fen und zu ver­bin­den, schwirr­te schon län­ger in mei­nem Kopf her­um. 2018 fing ich an, die ers­ten Vor­be­rei­tun­gen zu tref­fen, da­mit das ers­te “Call for Score” im Ja­nu­ar 2019 ver­öf­fent­licht wer­den konnte.

Wel­che in­sti­tu­tio­nel­len Kul­tur­lü­cken (in der Schweiz) sind Ih­rer Mei­nung nach da­für ver­ant­wort­lich, dass die Kon­zert­pro­gram­me noch im­mer männ­lich do­mi­niert sind, auch im zeit­ge­nös­si­schen Bereich?

Ver­ant­wort­lich sind vor­ran­gig die Ver­an­stal­ter und Künst­ler. Vie­le jun­ge Künst­ler wäh­len re­nom­mier­te Kom­po­nis­ten, um sich zu eta­blie­ren, denn es ist ein zu­sätz­li­ches Ri­si­ko, un­be­kann­te Mu­sik zu spie­len. Der Ver­an­stal­ter be­nö­tigt, wenn er nicht fremd fi­nan­ziert wird, ein aus­ge­las­te­tes Haus. Dem­zu­fol­ge wählt man be­kann­te Mu­sik von Kom­po­nis­ten. Hin­zu kommt, dass pro­zen­tu­al viel we­ni­ger Mu­sik­ma­te­ri­al von Kom­po­nis­tin­nen vor­han­den ist, aus dem man wäh­len und in dem man stö­bern kann, als von Män­nern. Die­ser Um­stand liegt in un­se­rer so­zi­al-struk­tu­rier­ten Ge­schich­te be­grün­det, denn Frau­en durf­ten ma­xi­mal et­was Net­tes zum Tee spie­len. Das Kla­vier war da das be­vor­zug­te Instrument.

Wie könn­te sich die Aus­bil­dungs­si­tua­ti­on an den Mu­sik­hoch­schu­len im Hin­blick auf Gen­der-Pa­ri­tät im Kul­tur­be­reich verändern?

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An Hoch­schu­len und Uni­ver­si­tä­ten ist es, mei­nes Er­ach­tens, be­reits viel we­ni­ger ein The­ma. Da hat man sich schon län­ger ge­öff­net. Die Schwie­rig­keit kommt da­nach, wenn man da­mit Geld ver­die­nen möch­te und den frei­en Markt erobert.

Wel­che Kon­zert­in­itia­ti­ven oder För­de­run­gen exis­tie­ren in der Schweiz, die sich spe­zi­fisch dem weib­li­chen kom­po­si­to­ri­schen Schaf­fen widmen?

Da gibt es ei­ni­ge. Ei­ni­ge, die sich auch gar nicht vor­ran­gig da­mit be­ti­teln, es aber gern und gut un­ter­stüt­zen. Bei Kon­zer­ten ist es im­mer wie­der in­ter­es­sant, dem Pu­bli­kum Kom­po­nis­tin­nen auch über zu­sätz­li­ches Er­zäh­len nä­her zu brin­gen. Vie­le Zu­hö­rer sind sehr in­ter­es­siert, mehr über den Hin­ter­grund, über das Le­ben der Kom­po­nis­tin­nen und so über die Schwei­zer Frau­en, über das Hier und Jetzt zu er­fah­ren. Sie hof­fen auf ei­nen Wan­del in der Mu­sik, auf et­was Neu­es wie­der mit Harmonie.

Katharina Nohl: "Die Musik wird wieder harmonischer werden"
Ka­tha­ri­na Nohl: “Die Mu­sik wird wie­der har­mo­ni­scher werden”

Wie sieht ei­gent­lich ein ty­pi­scher Ar­beits­tag bei Ih­nen aus?

Ohje, das ist eine lus­ti­ge Fra­ge, die mich zum Schmun­zeln bringt! 😉 Ei­gent­lich gibt es kei­nen ty­pi­schen Ar­beits­tag für mich. Manch­mal ge­hen die Tage ein­fach bis in die Nacht hin­ein und am Wo­chen­en­de wei­ter. Mein pri­va­tes Le­ben und mein Ar­beits­le­ben sind sehr eng mit­ein­an­der verbunden.

Gibt es wie­der­keh­ren­de In­spi­ra­ti­ons­quel­len oder –ri­tua­le?

Ja, vor al­lem, weil ich zu Hau­se ar­bei­te, da muss man mal raus, um den Kopf zu lüf­ten und sich Platz für neue Ge­dan­ken zu schaf­fen. Die Na­tur, das Gärt­nern, Pil­ze sam­meln und vor al­lem das Ko­chen und Kon­ser­vie­ren sind Hob­bys und Lei­den­schaf­ten von mir, die ich auch an mei­ne Töch­ter wei­ter­ge­ge­ben habe.

Ihr Kla­vier-So­lo­al­bum “Crea­ting Child­hood” er­schien 2016 bei Oehms Clas­sics. Wel­che Mu­sik ver­birgt sich hin­ter die­sem fast psy­cho­lo­gisch an­mu­ten­den Titel?

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Die Mu­sik, die sich da­hin­ter ver­birgt, kann man auf al­len Strea­ming-Platt­for­men hö­ren und her­un­ter­la­den. Es ist eine Mi­schung von Mu­sik, die mei­ne Kin­der be­son­ders ge­liebt ha­ben, wenn ich für Kon­zer­te ge­übt habe, als sie noch klein wa­ren. Aber mei­ne High­lights sind die Stü­cke, die ich mit mei­nen Töch­tern ge­spielt habe. Bei­spiels­wei­se “Win­ter­mor­gen in Is­tan­bul”, wel­ches ich mit mei­ner äl­tes­ten Toch­ter vier­hän­dig ge­spielt habe. Sie war da­mals zwölf Jah­re alt. Und das Stück “Fan­ta­sia”, wel­ches mei­ne jüngs­te Toch­ter mit neun Jah­ren kom­po­niert hat. Der Ti­tel “Crea­ting Child­hood” be­deu­tet, wir kre­ieren die Kind­heit un­se­rer Kin­der! Be­wusst oder unbewusst…

Sie tra­ten im An­schluss an die­ses CD-Pro­jekts mit ei­gen­stän­di­gen Kom­po­si­tio­nen her­vor. Was gab den Ausschlag?

Mein Freund und Kol­le­ge Fa­zil Say hat mich schon län­ger da­hin­ge­hend ge­drängt, ich soll­te kom­po­nie­ren. Ir­gend­wann nahm ich es an und die Din­ge wuch­sen. Auch Cy­prien Kats­aris war eine wich­ti­ge Per­son in die­sem Pro­zess. Aus­schlag sind Zu­spruch und der Glau­be in mein Kön­nen und Krea­ti­vi­tät ihrerseits.

Noten-Zitat aus einem Stück für Hackbrett-Cymbalo und Klavier von Katharina Nohl
No­ten-Zi­tat aus dem “Stück für Hackbrett/Cymbalo und Kla­vier” von Ka­tha­ri­na Nohl

Wie viel Ei­gen­in­itia­ti­ve braucht es als zeitgenössische*r Komponist*in, um ver­brei­te­ter wahr­ge­nom­men zu werden?

Ja, ich sehe mich ei­gent­lich nicht wirk­lich in den Rei­hen der zeit­ge­nös­si­schen Mu­sik. Ich hät­te gern eine neue Schublade! 😉
Viel­leicht bin ich nur Kom­po­nis­tin des Jetzt. Es braucht wie so oft viel Ar­beit, Durch­hal­te­ver­mö­gen, Un­ter­stüt­zung der Fa­mi­lie, Krea­ti­vi­tät und das ein oder an­de­re Bier oder ei­nen Café mit Freun­den für den Aus­tausch! Es reicht nicht aus, ein­fach nur Mu­sik zu schrei­ben, das war frü­her auch nicht so. Da kom­men vie­le an­de­re Ge­bie­te noch dazu wie Prä­sen­ta­ti­on, Kom­mu­ni­ka­ti­on, Aus­tausch und di­gi­ta­les Up­da­ten. Das sind nur ein paar we­ni­ge Aspekte.

Tradition und Moderne: Uraufführung des Orchesterstücks "Das Munotglöcklein" von Katharina Nohl (15.8.2019)
Tra­di­ti­on und Mo­der­ne: Ur­auf­füh­rung des Or­ches­ter­stücks “Das Mu­not­glöck­lein” von Ka­tha­ri­na Nohl (15.8.2019)

Was sind Ihre der­zei­ti­gen Pro­jek­te, an de­nen Sie arbeiten?

Neu im Ent­ste­hen ist ein Stück für Hackbrett/Cymbalo & Kla­vier. Das hat über­ra­schend viel In­ter­es­se her­vor­ge­ru­fen. Die ers­ten Pro­ben ha­ben be­reits statt­ge­fun­den. Die wun­der­ba­re Cym­ba­lo-Spie­le­rin Olga Mis­hu­la aus Zü­rich probt mit mir. Es macht uns bei­den sehr viel Spaß, et­was Neu­es zu kre­ieren. Auf Hackbrett/Cymbalo wird vor­ran­gig tra­di­tio­nel­le Mu­sik ge­spielt. Olga als auch ich mö­gen Rhyth­mus und Tech­ni­que beim Spie­len, und wir lie­ben es, das be­stehen­de Re­per­toire mit neu­er Mu­sik zu er­wei­tern. Wei­ter­hin ist noch et­was für Kla­ri­net­te und String Or­ches­tra fer­tig zu stel­len. Es sind drei Stü­cke, die ich für Reto Bie­ri schrei­be. Und dann gibt es die vie­len un­voll­ende­ten Sa­chen, die da auf ih­ren Schluss­takt warten…!

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Sie sind in der DDR ge­bo­ren, mit 16 Jah­ren ha­ben Sie die Wen­de mit­er­lebt. Auch an­ge­sichts der ak­tu­el­len welt­po­li­ti­schen Si­tua­ti­on: Wie prä­gend war die­se Zeit für Sie?

Ich hat­te das Glück, wun­der­ba­re Jah­re mei­ner Kind­heit in der DDR zu ver­brin­gen. Sie wa­ren für mich prä­gend und sind mei­ne Hei­mat ge­we­sen. Ich habe sie mit mir mit­ge­nom­men und mit an­de­ren und neu­en Le­bens­si­tua­tio­nen be­rei­chert. Die ak­tu­el­le Si­tua­ti­on ist sehr be­fremd­lich für mich, da ich stets eine enge Ver­bin­dung zu Russ­land und den an­gren­zen­den Staa­ten emp­fun­den habe. Durch Mu­sik, Kul­tur und Bil­dung wa­ren wir eng verbunden.

Ka­tha­ri­na Nohl (*1973) stu­dier­te Kla­vier, Per­for­mance und Mu­sik­wis­sen­schaf­ten in Sout­hamp­ton, Fer­ra­ra und Lon­don. An­schlie­ßend leb­te sie ei­ni­ge Zeit in Mün­chen und stu­dier­te dann bei Al­fons Kon­tars­ky am Mo­zar­te­um Salz­burg so­wie bei Wer­ner Bärtschi.
Seit 2015 ist sie als Kom­po­nis­tin tä­tig und gibt in­ter­na­tio­na­le Kon­zer­te. 2016 ver­öf­fent­lich­te sie ihr De­büt­al­bum Crea­ting Child­hood. Nohl ist Mit­be­grün­de­rin des Swiss Fe­ma­le Com­po­sers Fes­ti­val und lebt mit ih­rer Fa­mi­lie seit 2002 in der Schweiz.

Frau Nohl, wie klingt ei­gent­lich die Mu­sik der Zukunft?

Das ist eine wun­der­ba­re und sehr gute Fra­ge. Es hat mit Vi­si­on und Be­rück­sich­ti­gung des Pu­bli­kums zu tun.
Nun denn, zu­erst ein­mal den­ke ich, dass wir der Mu­sik der Zu­kunft Raum für ei­nen neu­en Na­men ge­ben müs­sen, denn die Be­grif­fe mo­der­ne, zeit­ge­nös­si­sche, neue etc…. Mu­sik sind über­las­te­te Begriffe.

Das Pu­bli­kum ist von mo­der­ner Mu­sik ge­sät­tigt und ori­en­tiert sich be­vor­zugt an al­ter und har­mo­ni­scher Mu­sik. Wenn man die­sen Um­stand be­ach­tet und eben­so an das fi­nan­zi­el­le Ma­nage­ment von Kon­zert­aus­las­tun­gen denkt, bin ich über­zeugt, dass die Mu­sik wie­der har­mo­ni­scher und rhyth­mi­scher wird.
Un­se­re mu­si­ka­li­sche Vor­stel­lung ist mehr­heit­lich von Har­mo­nie ge­prägt. Ich be­nut­ze gern eine all­täg­li­che Sze­ne aus dem Le­ben: Eine Mut­ter oder ein Va­ter singt ihr/sein Kind in den Schlaf. Ich ken­ne nie­man­den, der in die­ser Si­tua­ti­on ex­pe­ri­men­tel­le oder “mo­der­ne” Mu­sik re­zi­tiert – man be­hilft sich da gern mit har­mo­ni­scher und tra­di­tio­nel­ler Mu­sik… Und die­se Kin­der wie­der­um sind un­se­re Zukunft. ♦

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Kom­po­si­ti­on auch das In­ter­view mit Chris­ti­an Hen­king: “Je­der Rou­ti­ne ausgewichen”

… so­wie das In­ter­view mit der Kom­po­nis­tin Kath­rin Den­ner: “Kul­tur ist wich­ti­ger denn je”



 

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