Charlotte Roth: Die Königin von Berlin (Roman)

Dass ich unentwegt stolpere…“

von Sigrid Grün

Sie war Ka­ro­li­ne, Ca­ro­la, Car­lin­chen, Bar­ba­ra – Kla­bunds Frau, Brechts Muse und eine der be­rühm­tes­ten deut­schen Schau­spie­le­rin­nen: Ca­ro­la Ne­her, die 1900 als Ka­ro­li­ne zur Welt kam und sich nach nichts mehr sehn­te als nach den Bret­tern, die die Welt be­deu­ten. Char­lot­te Roth (Pseud­onym von Char­lot­te Lyne) hat ih­rem auf­re­gen­den Le­ben nun den Ro­man „Die Kö­ni­gin von Ber­lin“ ge­wid­met, der uns in die 20er Jah­re des letz­ten Jahr­hun­derts entführt.

Nach ih­rer Aus­bil­dung in ei­ner Bank ver­lässt Ka­ro­li­ne Ne­her Hals über Kopf ihre Mut­ter und ih­ren ge­lieb­ten Bru­der und reist von Mün­chen nach Ba­den-Ba­den – ei­gent­lich will sie nach Ber­lin, aber da­für reicht ihr Geld nicht. Ohne rich­ti­ge Schau­spiel­aus­bil­dung kommt sie nur in Pa­gen­rol­len zum Ein­satz. Bald er­weist sich das Thea­ter in der Kur­stadt als Sack­gas­se, und Ka­ro­li­ne, die sich mitt­ler­wei­le Ca­ro­la ge­nannt hat, lan­det wie­der in Mün­chen, wo der er­sehn­te Er­folg auch aus­bleibt. In der baye­ri­schen Lan­des­haupt­stadt trifft sie al­ler­dings ei­nen Mann, der zu ei­ner Schlüs­sel­fi­gur in ih­rem Le­ben wer­den soll­te: Ber­tolt Brecht. Ihm folgt sie bald auch nach Ber­lin, denn er sieht in der jun­gen Schau­spie­le­rin mehr als an­de­re Re­gis­seu­re, die ihr im­mer nur klei­ne Rol­len geben.

Lebenslange Liebe zu Klabund

Ca­ro­la Ne­her und Kla­bund (Al­fred Henschke) in Ber­lin Ende der 1920er Jahre

In Ber­lin ge­niesst sie das freie Le­ben. Sie will sich nicht bin­den, bis sie ei­nes Ta­ges in der Stras­sen­bahn ei­nem ha­ge­ren Mann mit Bril­le be­geg­net, der et­was in ihr zum Schwin­gen bringt. Al­fred Henschke, ge­nannt Kla­bund, ist zehn Jah­re äl­ter als Ca­ro­la Ne­her und schwer an Tu­ber­ku­lo­se er­krankt. Doch die Lie­be zwi­schen den bei­den reicht bis zu sei­nem Tod in Da­vos. An sei­nem Ster­be­bett ge­steht ihm Ca­ro­la: „Ich kann ein Biest sein, eine Pla­ge, weil ich im Grun­de nicht weiss, wie ein Mensch mit ei­nem Men­schen um­geht, aber ich bin ver­lo­ren ohne dich. Du weisst, dass ich ohne dich kei­nen Fuss vor den an­de­ren set­zen kann, dass ich un­ent­wegt stolpere.“

Sei­ne Krank­heit über­schat­tet die gan­ze Be­zie­hung. Kla­bund ver­göt­tert Ca­ro­la und lässt ihr alle Frei­hei­ten: „Ich war ein­mal gar nicht so viel an­ders als du, dach­te er. Ich bin es noch im­mer, ich möch­te ge­nau wie du eine Ker­ze sein, die an bei­den En­den brennt und mir das Le­ben zum Feu­er­werk macht. Mei­ne Ker­ze ist nur schon ein biss­chen zu kurz da­für, doch der Teu­fel soll mich fri­ka­ssie­ren, wenn ich dir des­we­gen dei­nen Spass verderbe.“
Er war Ca­ro­la Ne­hers gros­se Lie­be. Doch ein wei­te­rer Mann spiel­te eben­falls eine ent­schei­den­de Rol­le im Le­ben der Schau­spie­le­rin. Ber­tolt Brecht schrieb ihr die Rol­le der Pol­ly Peachum aus der Drei­gro­schen­oper auf den Leib. Das Stück und die Ver­fil­mung An­fang der 30er Jah­re, soll­ten ihre gröss­ten Tri­um­phe wer­den, der Bar­ba­ra-Song ihr Lied.

Rahmenhandlung in die 1970er Jahre verlegt

Char­lot­te Roth lässt eine span­nen­de Zeit le­ben­dig wer­den. Die Ge­schich­te um die kur­zen Le­ben von Kla­bund – er wur­de nur 38 – und Ca­ro­la Ne­her, die mit ge­ra­de mal 41 Jah­ren in ei­nem so­wje­ti­schen Zwangs­ar­bei­ter­la­ger starb, ist in eine Rah­men­hand­lung ge­bet­tet, die sich Ende der 70er Jah­re in Edenk­o­ben zu­trägt, ei­nem Ort, mit dem Ne­her ver­bun­den war. Ein Frem­der kommt in die Ge­mein­de, um et­was über die Ver­gan­gen­heit von Ca­ro­la zu er­fah­ren. Wer der Mann ist, wird erst ganz zum Schluss klar.

An­zei­ge

Roths Ro­man ba­siert auf zahl­rei­chen Tat­sa­chen und ent­hält na­tür­lich auch Aus­schmü­ckun­gen. Be­son­ders zu Be­ginn hat­te ich das Ge­fühl, dass die Ge­schich­te ei­ni­ge Län­gen auf­wei­se. Doch die Be­zie­hung zwi­schen dem sym­pa­thi­schen Kla­bund und der Schau­spie­le­rin, die ver­letz­li­cher ist, als sie vor­gibt zu sein, wird von der Au­torin ganz wun­der­bar li­te­ra­risch aufgearbeitet.
Char­lot­te Roth ist ein be­rüh­ren­der und in­ter­es­san­ter Ro­man über eine Schau­spie­le­rin ge­lun­gen, die mitt­ler­wei­le et­was in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten ist. In „Die Kö­ni­gin von Ber­lin“ wer­den eine Zeit und ein Le­bens­ge­fühl le­ben­dig, die uns seit ei­nem Jahr­hun­dert fas­zi­nie­ren: „Die gol­de­nen Zwan­zi­ger“. Eine schö­ne Lek­tü­re, die ich al­len ans Herz le­gen kann. ♦

Char­lot­te Roth: Die Kö­ni­gin von Ber­lin – Sie war die Muse von Ber­tolt Brecht, Ro­man, 416 Sei­ten, Droe­mer Ver­lag, ISBN 978-3-426-28232-8

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch über den Ro­man von Ros­wi­tha Quad­flieg und Burk­hart Ve­igel: Frei

… so­wie zum The­ma Ber­lin über Su­san­ne Schüss­ler (Hrsg.): Ber­lin – Eine li­te­ra­ri­sche Einladung

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