Peter Klusen: Augenzwinkernd (Lyrik)

Im Humor macht man sich dümmer als man ist und wird dadurch stärker als man scheint

von Karin Afshar

Ich ken­ne ihn nicht und ich ken­ne ihn doch – den Pe­ter Klu­sen, ge­bo­ren im Jah­re 1951 in Mön­chen­glad­bach, denn ich habe Ge­dich­te von ihm ge­le­sen. Fried­rich Nietz­sche (1844-1900) mein­te ir­gend­wann ein­mal, man kön­ne aus drei An­ek­do­ten das Bild ei­nes Men­schen er­se­hen. Drei oder viel­leicht vier Ge­dich­te tun es si­cher auch, um das Pen­deln ei­nes Dich­ters zwi­schen Tra­gik und Ko­mik zu um­reis­sen und ihn ken­nen­zu­ler­nen. Fol­gen Sie mir bei die­sem Versuch.

Ein ers­tes (nein, es ist das zwei­te) Ge­dicht („nie­der­rhei­ni­sche ver-bin­dun­gen“), im „Prä­lu­di­um“ des oran­ge­far­be­nen Pa­per­back­büch­leins, be­ginnt so:

mit dem
niederrhein
mein gott
ver­bin­det mich doch nichts

Pe­ter Klu­sen lebt am Nie­der­rhein, in ei­ner Klein­stadt ohne land­schaft­li­che At­trak­tio­nen aus­ser den Süch­tel­ner Hö­hen, so steht es in der Vita hin­ten im Buch und auf sei­ner Web­sei­te, ich hab nach­ge­schaut. Er – so liest man wei­ter über ihn – ist Ger­ma­nist, So­zi­al­wis­sen­schaft­ler, Pu­bli­zist, Leh­rer, Schrift­stel­ler, Car­too­nist. Und mit dem Nie­der­rhein ver­bin­det ihn nichts?
Habe ich ihn so­eben er­tappt? Die letz­te Stro­phe löst auf:

nein
mit dem nie­der­rhein und seinen
zu­ge­ne­bel­ten wie­sen vol­ler kuhfladen
ka­pel­len und fettecken
ver­bin­det mich nichts
aber lie­ber gott
lass mich der­einst nicht
be­gra­ben wer­den wie der
heine
zum bei­spiel in paris

Traurigkeit in den Zeilen

Im Reich zwi­schen den Ge­gen­sät­zen lie­gen die Quel­len des Hu­mors, der u.a. „die wun­der­li­che Trau­rig­keit […] des Men­schen­le­bens und das Stau­nen dar­über, dass dies jäm­mer­li­che Le­ben trotz­dem so schön sein kann“ (Her­mann Hes­se) zum The­ma hat. Für die­se Art der Trau­rig­keit (über den Zu­stand der Welt, den Zu­stand der Men­schen, ihre Wür­de­lo­sig­keit, ihr Ta­lent zur Zer­stö­rung) fin­den sich et­li­che Bei­spie­le im Buch, auf drei Sät­ze ver­teilt – drei Sät­ze wie eine Sin­fo­nie sie hat, de­ren zwei­ter in der vor­lie­gen­den Kom­po­si­ti­on lie­be­voll la­men­to os­ti­na­to ge­nannt, bald mein Lieb­lings­satz wird.
Hu­mor ist nicht sel­ten die un­ter Schmer­zen er­run­ge­ne Frei­heit und Sou­ve­rä­ni­tät, die ei­nem tra­gi­schen Schick­sal ge­gen­über ste­hen. Wir ken­nen das Wort „Gal­gen­hu­mor“ – und zum „Trotz­dem“ un­ten mehr. Trau­rig­keit klingt nun in den Zei­len Klu­sens an, aber sie über­tönt nie das an­de­re – und da­mit wir als Le­ser die An­klän­ge nicht gar so schwer, wohl aber zur Kennt­nis neh­men, wird das Gan­ze ja auch „au­gen­zwin­kernd“ gesagt.
Hu­mor er­kennt man an der Kon­struk­ti­on ei­nes of­fen­bar un­an­ge­mes­se­nen, ne­ben­säch­li­chen Stand­punkts oder an ei­ner un­zu­läng­li­chen Ver­hal­tens­wei­se in ei­ner Si­tua­ti­on der Ge­fahr, des Schei­terns oder am Ein­ge­ständ­nis ei­ner Niederlage.

Der lauf der dinge

und wenn ich
ei­nes tages
nicht mehr singe
ist das nichts
als der lauf der dinge

und wenn ich
ei­nes tages
nicht mehr lache
ist das eher
eine nebensache

Humor ist eine Flucht vor der Verzweiflung“

Ich ver­ra­te Ih­nen an die­ser Stel­le nur, dass das letz­te Wort der letz­ten Zei­le „gut“ lau­tet. Wie er da­hin kommt, le­sen Sie am bes­ten selbst nach.
„Hu­mor ist eine Flucht vor der Ver­zweif­lung, ein knap­pes Ent­kom­men in den Glau­ben.“ (Chris­to­pher Fry). Da­mit wäre Pe­ter Klu­sen wahr­schein­lich nicht ganz ein­ver­stan­den. Den­ken wir Glau­ben zu­sam­men mit Him­mel, dann hat es Klu­sen nicht mit dem­sel­ben, oder doch? Im fine fu­rio­so fin­det sich dies:

lie­ber himmel

der him­mel muss die höl­le sein
voll­ge­stopft mit moralisten
nächs­ten­lie­ber mah­ner christen
weit und breit kein hund
kein schwein
der him­mel muss die höl­le sein

Pe­ter Klu­sen (*1951)

Er spielt mit uns. Wirft et­was aus, und lässt uns dann zap­peln. Hu­mor – auch Scha­den­freu­de? –, Hu­mor ist nicht gleich Hu­mor. So sol­len Bri­ten ei­nen an­de­ren ha­ben als Fran­zo­sen, und die­se wie­der­um ei­nen an­de­ren als Deut­sche. Im All­ge­mei­nen ver­steht der Volks­mund im Deut­schen un­ter Hu­mor, wenn man in ei­ner be­stimm­ten Si­tua­ti­on „trotz­dem lacht“. An­ders aus­ge­drückt: der, der sich selbst, die an­de­ren und die Welt nur ernst sieht, wird es (das Le­ben) auf Dau­er nicht aus­hal­ten. Die For­mu­lie­rung mit dem „trotz­dem lacht“ soll üb­ri­gens auf Otto Ju­li­us Bier­baum (deut­scher Schrift­stel­ler, 1865-1910) zu­rück­ge­hen. Der schrieb auch Ge­dich­te, und zwar nicht we­ni­ge. Ein Hauch sei­ner Ana­kre­on­tik klingt im ers­ten Satz der Klu­sen-Sin­fo­nie, dem Al­le­gro con amo­re, an, z.B. im Sommermorgen.

Von den Sprachlügen unserer Gesellschaft

Aus­lö­ser hu­mor­vol­len La­chens kön­nen die Feh­ler sein, die ei­nem – trotz an­de­rer, die man sich schon ge­leis­tet hat – noch nicht un­ter­lau­fen sind. Man fühlt sich na­tür­lich stark, wenn man sie von an­de­ren liest und hört. Die­se künst­li­che Ver­dopp­lung der (ei­ge­nen) Schwä­che über­win­det sym­bo­lisch das Be­droh­li­che der Si­tua­ti­on. In die­sem Tief­sta­peln des Wi­der­stands steckt der op­ti­mis­ti­sche Hin­weis, dass man sich der Si­tua­ti­on nicht ohne Wi­der­stand ausliefert.
In ei­ner sol­chen Les­art könn­te man das Ge­dicht von der „nicht-ge­walt“ ver­ste­hen. Es pran­gert die Sprach­lü­gen un­se­rer Ge­sell­schaft an und ist ei­gent­lich über­haupt nicht lus­tig, auch wenn es lus­tig da­her kommt.

Nicht ge­walt

weil er am mor­gen den klei­nen bruder
ge­schla­gen hatte
schlug ihn der va­ter am abend
um ihn zu lehren
dass der stär­ke­re den schwächeren
nicht schla­gen darf

er sag­te dazu
erziehung
nicht gewalt

Wortwitz und Freude an bunten und kräftigen Adjektiven und Themen

Wort­witz, bis­wei­len Iro­nie, im­mer Freu­de an bun­ten und kräf­ti­gen Ad­jek­ti­ven und The­men, die all­täg­lich ge­nug sind, dass je­der sie kennt und schmerz­haft ge­nug, dass wir sie nur all­zu ger­ne nicht an­spre­chen wür­den, be­geg­nen uns im Buch. –

Vor­lie­gen­der kur­zer Gang durch die drei Sät­ze der ly­ri­schen kam­mer­sin­fo­nie reicht nicht, je­dem der Ge­dan­ken ge­recht zu wer­den. In­des soll die­se Be­spre­chung we­der eine In­ter­pre­ta­ti­on noch der Ver­such ei­ner Ein­ord­nung wer­den, denn das wür­de schon wie­der ernst und die Freu­de am Le­sen und Ent­de­cken neh­men. Sie wer­den mir aber viel­leicht dar­in Recht ge­ben, dass wir ihn ein we­nig ken­nen­ge­lernt ha­ben: der Mann hat Hu­mor!

Pe­ter Klu­sen, au­gen­zwin­kernd – ly­ri­sche kam­mer­sin­fo­nie in drei sät­zen, Edi­ti­ons trè­ves Trier, 80 Sei­ten, ISBN 978-3-88081-505-6

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Neue Ly­rik auch Ge­dich­te von Tan­ja Dückers: Lacri­mo­sa u.a.

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