Heinz Wegmann: Der Vereinsausflug (Satire)

Der Vereinsausflug

Heinz Weg­mann

Dies­mal wag­te sich der Ver­ein für Ver­ei­ne (Kurz: Ver­ein hoch 2) in hei­mat­li­che Ge­fil­de. Es stand die tra­di­tio­nel­le Herbst­wan­de­rung mit Schlacht­plat­te auf dem Programm.
Un­ter Füh­rung des rüh­ri­gen Ob­man­nes traf sich eine er­war­tungs­vol­le und froh­ge­laun­te Grup­pe beim Fried­hof. Der Lei­ter über­rasch­te die Teil­neh­mer gleich zu Be­ginn mit ei­nem reich ver­zier­ten, ro­ten Stoff­säck­lein, das mit Heft­pflas­tern, Sal­ben, Ban­da­gen und ei­nem Fläsch­chen Schnaps ge­füllt war. So wur­den die Stimm­bän­der gleich or­dent­lich ge­schmiert. Lei­der woll­te am An­fang das Wet­ter nicht so rich­tig, die sinn­flut­ar­ti­gen Re­gen­fäl­le be­wo­gen vie­le, so­fort wie­der den Heim­weg anzutreten.
Mit dem Rest der Un­ent­weg­ten ging es mit dem Car Rich­tung Uri­gen (UR) im Un­ter­hin­ter­tal, wo sich alle in ei­nem blu­men­ge­schmück­ten Café zu­erst mit Kaf­fee und Gip­feli stärk­ten. Ei­ner Teil­neh­me­rin blieb ein Brös­me­li ih­res Gip­fel­is so un­glück­lich im Hals ste­cken, dass man sie zum Not­arzt brin­gen muss­te, was aber die Un­ter­neh­mungs­lust der Grup­pe nicht zu dämp­fen vermochte.
Ein Fuss­weg ab­seits des gros­sen Ver­kehrs führ­te nun die Wan­der­schar durch Feld und Wald, wo sich ei­ni­ge Teil­neh­mer hoff­nungs­los ver­irr­ten und erst nach lan­gen po­li­zei­li­chen Such­ak­tio­nen wie­der auf­ge­fun­den wer­den konn­ten. Beim Auf­stieg kam man so recht ins Schwit­zen und bei ei­ni­gen woll­te das Herz nicht mehr so rich­tig, so dass sie von der Rega zu­rück­ge­flo­gen wer­den mussten.
Oben wur­den aber die Üb­rig­ge­blie­be­nen be­lohnt durch eine präch­ti­ge Aus­sicht, die den Mit­rei­sen­den man­ches Ah und Oh entlockte.
Von ei­ner der schnee­be­deck­ten Berg­spit­zen lös­te sich dann un­ter den fas­zi­nier­ten Bli­cken der Teil­neh­mer ein Erd­rutsch, eine sog. Mure, und be­grub das ma­le­ri­sche Dorf am Ge­gen­hang fast voll­stän­dig un­ter sich.
Nun muss­te aber der Durst ge­löscht wer­den und gleich an­schlies­send durch die ei­lends auf­ge­bo­te­ne Feu­er­wehr ein bren­nen­des Cha­let ne­ben dem Re­stau­rant, wo ein fei­nes Mit­tag­essen war­te­te. Die Teil­neh­mer lies­sen sich ihre gute Stim­mung durch den beis­sen­den Rauch, der von der Brand­stät­te hin­über weh­te, nicht neh­men. Als be­son­de­re Über­ra­schung nahm der Wirt die Schlach­tung des Schweins „live“ un­ter den in­ter­es­sier­ten Bli­cken der hung­ri­gen Schar vor.
Da sich der Him­mel un­ter­des­sen in strah­len­dem Licht prä­sen­tier­te, konn­te die Schlacht­plat­te auf dem of­fe­nen Grill­platz ser­viert wer­den, was gros­sen An­klang fand und man­chen spon­ta­nen Jauch­zer zur Fol­ge hat­te. Die Zeit des War­tens auf die Schin­ken, Ripp­li, Öhr­li und Schwänz­li wur­de mit an­ge­reg­ten Ge­sprä­chen oder ei­nem ge­müt­li­chen Jass über­brückt, und auch der fro­he Ge­sang kam selbst­ver­ständ­lich nicht zu kurz. Ei­ni­ge hau­ten dann an­ge­sichts der rie­si­gen Por­tio­nen et­was über die Schnur und muss­ten über­eilt die Toi­let­te auf­su­chen, denn zu­sam­men mit dem „Su­user“ mach­te sich die Ver­dau­ung un­an­ge­nehm be­merk­bar, was die Un­ent­weg­ten aber nicht dar­an hin­der­te, eif­rig das Tanz­bein zu schwingen.
Frisch ge­stärkt ging es dann an den Ab­stieg, der er­neut klei­ne Op­fer for­der­te: Zwei ver­stauch­te Fuss­ge­len­ke und ein Bein­bruch wa­ren die Bi­lanz, als man un­ten an­kam. So be­kam auch der Dorf­arzt wie­der un­er­war­te­te Arbeit.
Die wei­den­den Kühe hat­ten sich von der fröh­li­chen Wan­der­schar nicht stö­ren las­sen. Selbst als die Mu­tigs­ten un­ter den Teil­neh­mern auf die ori­gi­nel­le Idee ka­men, ei­ner Kuh die Glo­cke ab­zu­neh­men und sie als Tro­phäe heim­zu­füh­ren, blie­ben sie sto­isch ruhig.
Beim an­schlies­sen­den Rund­gang durch das schmu­cke Städt­chen wur­de die Vi­ze­prä­si­den­tin in der Fuss­gän­ger­zo­ne von ei­nem Lie­fer­wa­gen an­ge­fah­ren und von al­len in das nahe ge­le­ge­ne Spi­tal be­glei­tet. Dort über­rasch­te ein lang­jäh­ri­ges Mit­glied alle Teil­neh­mer samt Kran­ken­haus­per­so­nal mit dem Vor­sin­gen ei­nes selbst­ver­fass­ten Lie­des, das mit be­geis­ter­tem Ap­plaus auf­ge­nom­men wurde.
Nach ei­nem letz­ten Zvie­ri, der für die meis­ten mit ei­ner – glück­li­cher­wei­se leich­ten – Ma­gen­ver­gif­tung en­de­te, muss­te man schon wie­der an den Heim­weg denken.
Der stets zu ei­nem Späss­chen auf­ge­leg­te Car­chauf­feur brach­te schliess­lich nach ei­ner Mas­sen­ka­ram­bo­la­ge auf der Au­to­bahn die mü­den aber glück­li­chen Aben­teu­rer wie­der an ih­ren Wohn­ort Witz­wil zurück.
So ging eine von un­ver­gess­li­chen Ein­drü­cken ge­spick­te Rei­se zu Ende, und je­der­mann freut sich schon heu­te auf den nächs­ten Aus­flug mit Gleich­ge­sinn­ten. Der kun­di­ge Ob­mann gab an­ge­sichts der auf­ge­tre­te­nen Aus­fäl­le sei­ner Hoff­nung Aus­druck, dass nächs­tes Jahr mög­lichst zahl­rei­che neue Mit­glie­der die­ses ge­sel­li­ge Zu­sam­men­sein be­rei­chern mögen. ♦


Heinz Weg­mann
Geb. 1943 in Zü­rich Ly­rik-, Kurz­pro­sa- und Kin­der­buch-Ver­öf­fent­li­chun­gen so­wie Über­set­zun­gen, lebt und ar­bei­tet in Uerikon/CH

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch die Sa­ti­re von
Nils Gün­ther: Der Ge­mei­ne Orchesterdirigent

…so­wie die Sa­ti­re von
Ge­org Schwi­kart: Dichtersorgen

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)Antwort abbrechen