Peter Biro: Des Königs windige Ansprache (Satire)

Des Königs windige Ansprache

Peter Biro

Mit be­ben­den Her­zen er­war­te­te die Na­ti­on die Ra­dio­über­tra­gung der dies­jäh­ri­gen kö­nig­li­chen An­spra­che zur Er­öff­nung des Par­la­ments. Das war kei­ne Klei­nig­keit für den al­tern­den Mon­ar­chen, und nichts, rein gar nichts konn­te ihn da­von ab­hal­ten, die­ser staats­tra­gen­den Ver­pflich­tung nach­zu­kom­men. Nicht ein­mal sein letzt­ma­li­ger Schlag­an­fall, der ihn der Fä­hig­keit, di­rekt zu sei­nem Volk zu spre­chen, be­raubt hat­te. Seit­dem konn­te sich der Herr­scher mit sei­ner engs­ten Um­ge­bung le­dig­lich per Hand­zei­chen verständigen.
Sei­ne tra­di­tio­nel­len An­spra­chen zur Par­la­ments­er­öff­nung wur­den je­doch stets über das Ra­dio ver­brei­tet, und be­kannt­lich konn­ten selbst die aus­druck­stärks­ten Ges­ten des Kö­nigs auf die­ser Wei­se nicht bei der Zu­hö­rer­schaft an­kom­men. Die ein­zi­ge au­di­tive Ver­stän­di­gungs­form, die dem krän­keln­den Mon­ar­chen noch ver­blie­ben war, wa­ren die Wind­ge­räu­sche, die er dank jah­re­lan­ger Übung und mit fes­tem, kö­nig­li­chem Wil­len, via sei­nen hoch­wohl­ge­bo­re­nen Anus kunst­voll ab­son­dern konn­te. An­ders aus­ge­drückt, sei­ne Ra­dio­an­spra­che zur Par­la­ments­er­öff­nung er­folg­te in Form und Wort­wahl sorg­sam for­mu­lier­ter Fürze.

An­zei­ge

In Er­war­tung der dies­jäh­ri­gen kö­nig­li­chen Rede stand ein gan­zes Team von Sprech­funk-Mit­ar­bei­tern und Ton­tech­ni­kern pa­rat, um die üb­li­cher­wei­se in en­er­gi­schem Ton­fall vor­ge­tra­ge­ne Dar­bie­tung des Kö­nigs auf­zu­zeich­nen, da­mit die­ser, sach­ge­recht edi­tiert, wäh­rend der Par­la­ments­er­öff­nung ab­ge­spielt wer­den konn­te. Im Vor­feld wa­ren be­reits ei­ni­ge kür­ze­re Ge­räusch­fet­zen auf­ge­nom­men wor­den, die der Kö­nig wäh­rend der letz­ten Mahl­zei­ten mit ver­knif­fe­nem Ge­sichts­aus­druck ins Sitz­kis­sen ge­drückt hat­te. Aber ein schön aus­for­mu­lier­tes, mit al­ler­lei rhe­to­ri­schen Knif­fen ver­zier­tes Kom­mu­ni­qué zur be­vor­ste­hen­den Par­la­ments­pe­ri­ode fehl­te den Rund­funk­leu­ten noch. Des­halb wand­te sich der Chef­re­por­ter des Pa­last­stu­di­os an den dienst­ha­ben­den Leib­arzt mit der Fra­ge, ob und wann denn mit der lang­ersehn­ten An­spra­che des Mon­ar­chen zu rech­nen sei. Schliess­lich drän­ge die Zeit, denn es wä­ren nun­mehr nur noch we­ni­ge Stun­den bis zum Sendebeginn.
Der Leib­arzt be­ru­hig­te den Fra­gen­den mit der fach­lich fun­dier­ten Aus­kunft, dass nach der letz­ten Abend­mahl­zeit des Herr­schers, durch­aus mit ei­nem län­ge­ren, wohl­ar­ti­ku­lier­ten Dis­kurs zu rech­nen sei. Der Mon­arch habe eine ei­gens für ihn zu­sam­men­ge­setz­te, für staats­tra­gen­de An­spra­chen be­son­ders för­der­li­che Diät er­hal­ten. Die­se be­stand aus Lin­sen­sup­pe, Boh­nen­ein­topf und Wir­sing­kohl­rou­la­den, lau­ter be­kann­te Aus­lö­ser für in den Wind ge­flüs­ter­te Ver­laut­ba­run­gen. Da sei sehr wohl Ver­lass auf die er­näh­rungs­be­ding­te Gas­ent­wick­lung im hoch­wohl­ge­bo­re­nen Ge­krö­se. Und die gan­ze Ärz­te­schaft am Hofe er­war­te dies­mal auch be­son­ders wohl­klin­gen­de For­mu­lie­run­gen, da man da­für ge­sorgt habe, dass zur Haupt­spei­se des Kö­nigs, ein Sa­lat aus be­son­ders äs­the­tisch ge­form­ten Zier­kohls hin­zu­ge­fügt wur­de. Aus­ser­dem habe man für den stan­des­ge­mäs­sen Ab­schluss der Rede noch ein Des­sert von So­ja­boh­nen-Sor­bet an ka­ra­mel­li­sier­ten Knall­scho­ten hin­zu­ge­fügt, das dem Mon­ar­chen sehr gut ge­mun­det habe. Ins­be­son­de­re Letz­te­re eig­ne­ten sich als Roh­stoff für ex­plo­si­ve Aus­drü­cke und zün­den­de Pointen.

„So­ja­boh­nen-Sor­bet an ka­ra­mel­li­sier­ten Knallschoten“

Der noch nicht wirk­lich be­ru­hig­te Chef­mo­de­ra­tor war von die­ser Aus­sicht auf eine form­voll­ende kö­nig­li­che An­spra­che hoch er­freut, äus­ser­te je­doch Zwei­fel, ob die Zeit noch rei­chen wür­de, alle vor­neh­men Ge­dan­ken des Herr­schers recht­zei­tig auf­zu­neh­men. Da konn­te ihn der Dok­tor dies­be­züg­lich be­ru­hi­gen, denn erst vor Mi­nu­ten habe er, der Leib­arzt per­sön­lich, be­reits kleins­te, nie­der­fre­quen­te Seuf­zer aus dem Hin­ter­teil des ge­ra­de er­wa­chen­den Kö­nigs ver­nom­men. Das hö­fi­sche, so­ge­nann­te Le­ver stün­de un­mit­tel­bar be­vor und bald wer­de sei­ne Ma­jes­tät sei­nen ers­ten Mor­gen­kaf­fee schlür­fen. Hin­zu kommt dann noch die üb­li­che Ta­ges­ra­ti­on in Esels­milch auf­ge­weich­ter Dörr­pflau­men und in ei­ner Lake von Glau­ber­salz ge­tränk­ter Ko­rin­then. Gleich drauf wer­de sei­ne Ma­jes­tät mit dem sorg­sam for­mu­lier­ten Ab­las­sen sei­ner mon­ar­chi­schen Win­de beginnen.

 

Gleich­zei­tig mit dem has­ti­gen Auf­stel­len der kö­nig­li­chen Früh­stücks­ta­fel bau­te sich die Trup­pe des Ra­dio­stu­di­os mit al­len er­for­der­li­chen Ge­rät­schaf­ten auf. Sie stell­ten den mit ei­ner fri­schen Wachs­wal­ze be­stück­ten Pho­no­gra­phen gleich in die Nähe des kö­nig­li­chen Lehn­stuhls und dreh­ten den Auf­nah­me­trich­ter in die akus­tisch op­ti­ma­le Rich­tung. Der in Ga­la­uni­form ge­klei­de­te Mo­de­ra­tor, der noch er­freu­li­cher­wei­se über ge­nü­gend Blä­hun­gen ver­füg­te, führ­te ge­schwind eine Pro­be­auf­nah­me mit ei­ni­gen knapp for­mu­lier­ten Fürz­chen durch. Al­les war per­fekt vor­be­rei­tet, als der noch leicht schläf­ri­ge Kö­nig sich in den Lehn­stuhl setz­te und mit dem ri­tu­el­len Früh­stück be­gann, der nach ei­nem jahr­hun­der­te­al­ten Ze­re­mo­ni­ell durch­ge­führt wur­de. Alle An­we­sen­den be­ob­ach­te­ten aus an­ge­mes­se­ner Ent­fer­nung das sich lang­sam ent­fal­ten­de Ge­sche­hen und lausch­ten ge­spannt nach den ers­ten kö­nig­li­chen Wind­ab­son­de­run­gen. Le­dig­lich den li­vrier­ten Spei­chel­le­ckern war es ge­stat­tet, di­rekt am Früh­stücks­tisch zu agie­ren und sei­ner Ma­jes­tät den Kaf­fee ein­zu­schen­ken, so­wie die Wei­zen­kleie-Crois­sants mit But­ter und Pflau­men­mar­me­la­de zu beschmieren.

Holz­schnitt von Lu­cas Cra­nach d.Ä. 1545: Fur­zen auf die Obrigkeit

Das wür­di­ge Be­früh­stü­cken des Lan­des­va­ters nahm sei­nen seit Ge­ne­ra­tio­nen ge­wohn­ten Lauf, und die Darm­mi­kro­ben tief im In­nern des Herr­schers be­gan­nen folg­sam ihre staats­tra­gen­de, gas­bild­ne­ri­sche Ar­beit. Eine Wei­le wa­ren nur die lei­sen Schlürf­ge­räu­sche vom Mun­de des Kö­nigs zu hö­ren, eben­so das Plät­schern der von lau­war­mer Esels­milch trie­fen­den Dörr­pflau­men, als der sicht­lich über­rasch­te Kö­nig plötz­lich das Hand­zei­chen zu ver­mehr­ter Auf­merk­sam­keit gab. Un­ter Auf­wen­dung al­ler sei­ner noch ver­füg­ba­ren Kör­per­kräf­te er­hob er sich äch­zend aus den Samt­kis­sen und beug­te sich ge­ho­be­nen Bli­ckes leicht nach vor­ne. Dar­auf­hin brach sich aus sei­nem In­nern ein lan­ger Schwall von Darm­win­den den Weg ins Freie, so­wie ins freu­dig ge­spitz­te Ge­hör der Lau­schen­den. Nur die er­regt zit­tern­de Na­del des dienst­eif­rig sur­ren­den Pho­no­gra­phen wag­te sich noch zu be­we­gen. Mit Ent­zü­cken hör­te die ge­sam­te Ka­ma­ril­la die lang­ersehn­te kö­nig­li­che An­spra­che, die da lautete:
„Krz, krz, prrrrz (klei­ne Pau­se)…, fra­trz, fra­trz, hruuuuu! (Ap­plaus). Klafrz, pre-pre-preee kla­brumm“ Stär­ke­rer Ap­plaus, da­nach eine län­ge­re, künst­le­ri­sche Pau­se, wäh­rend de­rer sei­ne Ma­jes­tät sich noch ein­mal auf In­halt und Aus­druck zu kon­zen­trie­ren ver­such­te. Dann führ­te er sei­ne staats­tra­gen­den Ge­dan­ken wei­ter aus:
„Schmrz, haprz, la­papprz… ähm…“, er räus­per­te sich kurz und setz­te dann zum wich­tigs­ten Teil sei­ner An­spra­che, näm­lich zum be­we­gen­den Schluss­wort, an:
„Fuuuuuuhurz!“

„Jetzt muss­ten nur noch die un­ver­meid­li­chen Echos und Stör­ge­räu­sche aus dem Hin­ter­grund her­aus­ge­fil­tert wer­den“ (Col­la­ge: Pe­ter Biro)

Auf die­se emo­tio­na­len, ja für man­chen der Zu­hö­ren­den so­gar herz­er­wär­men­den Wor­te ih­res ge­lieb­ten Mon­ar­chen ent­brann­te ein wahr­haft fre­ne­ti­scher Bei­fall. Der Chef-Ton­tech­ni­ker stopp­te die Wal­ze mit ei­nem zu­frie­de­nen Lä­cheln und über­gab sie dem Stu­dio­lei­ter mit ei­ner dem An­lass ent­spre­chend wür­de­vol­len Ges­te. Die Auf­nah­me schien bes­tens ge­lun­gen zu sein. Jetzt muss­ten nur noch die un­ver­meid­li­chen Echos und Stör­ge­räu­sche aus dem Hin­ter­grund her­aus­ge­fil­tert wer­den, und die kö­nig­li­che An­spra­che wür­de für die Über­tra­gung zum vor­ge­se­he­nen Zeit­punkt pa­rat stehen.
Der Leib­arzt war auch sehr zu­frie­den mit dem Er­geb­nis sei­ner sorg­fäl­tig zu­sam­men­ge­setz­ten Diät und ver­kün­de­te er­ho­be­nen Haup­tes den An­we­sen­den die ge­ra­de­zu pro­phe­ti­schen Worte:
„Mei­ne Her­ren, Sie ha­ben oh­ren­schein­lich den Er­folg un­se­rer Be­mü­hun­gen haut­nah mit­er­lebt. Drum kön­nen wir uns die­se grund­le­gen­de Wahr­heit auf un­se­re Fah­ne schrei­ben: Wer für un­se­ren ge­lieb­ten Kö­nig Wind sät, der wird Stür­me der Be­geis­te­rung ernten“.
Dann ent­fern­te er sich un­ter den an­er­ken­nen­den Ova­tio­nen der Hof­be­diens­te­ten aus dem frisch ge­lüf­te­ten Speisesaal. ♦


Prof. Dr. Pe­ter Biro

Geb. 1956 in Gross­wardein (Ru­mä­ni­en), 1970 Emi­gra­ti­on nach Deutsch­land, Me­di­zin­stu­di­um in Frankfurt/Main, seit 1987 An­äs­the­sist am Uni­ver­si­täts­spi­tal Zü­rich und Do­zent für An­äs­the­sio­lo­gie, schreibt kul­tur­his­to­ri­sche Es­says und hu­mo­ris­tisch-sa­ti­ri­sche Kurz­pro­sa, lebt in Feldmeilen/CH

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN auch die Sa­ti­re von Pe­ter Biro: Schreib­blo­cka­de oder Der Förs­ter und die Jägerin

Aus­ser­dem zum The­ma Neue Li­te­ra­tur von Ja­kob Lei­ner: Win­kel (Zwei Gedichte)


2 Kommentare

  1. Lie­ber Pe­ter, sehr ge­lun­gen, so ken­ne ich dich. Wenn sich un­se­re Kö­ni­ge (m-w-d) auf die­se Art äu­ßern wür­den, gin­ge es uns al­len bes­ser. Vie­le Grü­ße aus Tomanien

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