Stuart Hood: Das Buch Judith (Roman)

Weltrevolution vor Gleichberechtigung

von Bernd Giehl

Bü­cher über Hel­din­nen sind ge­ra­de in. Im April hat­te die ZEIT As­trid Lind­grens „Pip­pi Lang­strumpf“ mit ih­ren ab­ste­hen­den ro­ten Zöp­fen aus An­lass ih­res 75. Ge­burts­ta­ges auf der Ti­tel­sei­te und konn­te ihre Ver­fas­se­rin nicht ge­nug lo­ben ob ih­res Bei­trags zu ei­nem al­ter­na­ti­ven weib­li­chen Rol­len­bild. Und im Ok­to­ber be­kam Anne We­ber den deut­schen Buch­preis für ih­ren Ro­man An­net­te – ein Hel­din­nen­epos. Man könn­te mei­nen, der schot­ti­sche Schrift­stel­ler Stuart Hood wol­le sich in die­se Tra­di­ti­on, falls es denn eine ist, ein­rei­hen. Im­mer­hin heißt sein neu­er Ro­man ja „Das Buch Judith“.

Und gleich zu An­fang zi­tiert er das bi­bli­sche Buch Ju­dith, das sich in den Apo­kry­phen zwi­schen Al­tem und Neu­em Tes­ta­ment fin­det. Auch dort gibt es eine Hel­din, eben jene Ju­dith, die sich ins La­ger des mäch­ti­gen Fein­des schleicht, der ge­ra­de Is­ra­el er­obert hat, und dem Feld­herrn Ho­lo­fer­nes den Kopf vom Rumpf trennt.

Aber dann be­ginnt der Au­tor mit ei­nem Mann, der sich mit Leib und See­le ei­ner Sa­che ver­schreibt und da­für al­les an­de­re für un­wich­tig er­klärt. Fer­gus Mc Iver ist ein schot­ti­scher Kom­mu­nist, der 1975 im To­des­jahr des Fa­schis­ten Ge­ne­ral Fran­co für die BBC ei­nen Film über den Frei­heits­krieg Spa­ni­ens ge­gen Na­po­le­on dre­hen will. Da­für reist er mit sei­ner Mit­ar­bei­te­rin Ju­dith, die zu­gleich sei­ne Ge­lieb­te ist, nach Spa­ni­en. Im Ge­päck hat er ei­nen ecua­do­ria­ni­schen Pass für ei­nen Ge­nos­sen im Un­ter­grund, der da­mit aus Spa­ni­en flie­hen will, weil er von Fran­cos Po­li­zei ge­sucht wird.

In den Wirren der Franco-Diktatur

Als das er­le­digt ist, hofft Ju­dith, sie könn­ten jetzt zum nor­ma­len Le­ben zu­rück­keh­ren, aber statt­des­sen be­kommt Fer­gus von den spa­ni­schen Ge­nos­sen ei­nen neu­en Auf­trag. Jetzt soll er ein Pa­ket in dem mut­maß­lich eine Bom­be ent­hal­ten ist, nach Los Huer­tas schmug­geln. Auch das er­le­digt Fer­gus, weil er die Ge­fahr eben­so liebt, wie die Par­tei, aber dies­mal sind es die ei­ge­nen Ge­nos­sen, die ihm nicht ver­trau­en, weil er von ei­ner Frau be­glei­tet wird, die nicht Mit­glied der Par­tei ist. Bei­de wer­den an ver­schie­de­nen Or­ten fest­ge­hal­ten. Schließ­lich ent­schlie­ßen sie sich, Fer­gus zu glau­ben, dass er kein Spi­on der CIA sei (oder viel­leicht tun sie auch nur so), und ge­ben ihm den nächs­ten Auftrag.

An­zei­ge

Er soll die Bom­be mit ei­nem Wa­gen ins Zen­trum von Ma­drid brin­gen. Al­les ganz frei­wil­lig na­tür­lich, aber wenn er dazu be­reit ist, darf er Ju­dith zu sich ho­len. Fer­gus wil­ligt ein. Bis zu sei­ner Rück­kehr nach der Fahrt in die Stadt darf Ju­dith das Haus nicht ver­las­sen. Dass sie eine Gei­sel ist, die für das Ge­lin­gen des At­ten­tats ein­ste­hen muss, wird zwar nicht ge­sagt, aber zu­min­dest zwi­schen den Zei­len deutlich.

Geschichte aus zwei inneren Perspektiven

Ju­dith wech­selt also ih­ren Stand­ort. Ob sie will oder nicht, wird sie nicht ge­fragt. Da Stuart Hood ab­wech­selnd aus bei­den Per­spek­ti­ven er­zählt, kennt der Le­ser auch ihre Ge­dan­ken. Fer­gus wird ihr im­mer frem­der. Er ent­schei­det über ih­rer bei­der Le­ben, ohne sie vor­her zu fra­gen. Nach dem Ende die­ser Rei­se wird sie ihn ver­las­sen, be­schließt sie. Am Abend lie­gen zwei Men­schen, die sich ein­mal ge­liebt und ge­mein­sam ta­ge­lang in gro­ßer Ge­fahr ge­schwebt ha­ben, von­ein­an­der ab­ge­wandt im sel­ben Bett, ohne sich zu berühren.

Kämp­fe­risch, eman­zi­piert, fe­mi­nin: Ju­dith mit Schwert, nach ei­nem Ge­mäl­de von Au­gust Rie­del (1840)

Da­bei gibt es zwi­schen Fer­gus und Ju­dith durch­aus Be­rüh­rungs­punk­te. Bei­de ha­ben Vä­ter, die im Krieg ge­kämpft ha­ben; Ju­diths Va­ter war Mit­glied der In­ter­na­tio­na­len Bri­ga­den im Spa­ni­schen Bür­ger­krieg 1936-39 und ist seit­her ver­schol­len; Fer­gus‘ Va­ter kämpf­te im Zwei­ten Welt­krieg, kehr­te zu­rück und wur­de zum Säu­fer, der sei­nen Sohn die Rute küs­se ließ, be­vor er ihn schlug.
Den­noch – oder viel­leicht ge­ra­de des­we­gen – sucht Fer­gus die Ge­fahr, um den Va­ter zu über­trump­fen. Da­bei nimmt er auf Ju­dith kei­ne Rück­sicht. Dass sie ihn be­glei­tet, um die Spu­ren ih­res Va­ters zu su­chen, in­ter­es­siert ihn we­nig. Er ent­schei­det für sie mit; er bringt bei­de in gro­ße Ge­fahr, aber er fragt nicht, was sie dazu sagt. Sie ist eine Frau; sie hat sich dem Mann und der Sa­che, für die er kämpft, un­ter­zu­ord­nen. Ein Frau­en­bild wie aus den Fünfzigern.

Seitenlange Reflexionen

Ju­dith mit dem ab­ge­schla­ge­nen Kopf des Ho­lo­fer­nes, nach ei­nem Ge­mäl­de von Gus­tav Klimt (1901)

In­so­fern fin­de ich den Na­men des Ro­mans son­der­bar. Schwer vor­stell­bar, dass der Ti­tel erst ge­wählt wur­de, als das Buch schon fer­tig war. Im­mer­hin hat Hood die Re­mi­nis­zenz an die bi­bli­sche „Hel­din“ ja nicht zu­fäl­lig ge­wählt. In­so­fern hät­te man sich auch vor­stel­len kön­nen, dass Hood aus der Per­spek­ti­ve Ju­diths er­zählt. Und wenn er schon bei­de Sicht­wei­sen wählt, wünsch­te man sich, dass bei­de gleich stark ausfallen.
Aber es ist wie­der ein­mal das alte Lied: Der Mann zieht hin­aus ins feind­li­che Le­ben, und die Frau muss das Ta­schen­tuch schwen­ken und es dann be­nut­zen, un ihre Trä­nen weg­zu­wi­schen. An­ders ge­sagt: Die Pas­sa­gen, in de­nen Ju­dith zu Wort kommt, sind deut­lich schwächer.

Weltrevolution vor Gleichberechtigung

Wo­mög­lich emp­fand Hood ja Sym­pa­thie für den Fe­mi­nis­mus. Viel­leicht woll­te er ein Buch über ih­ren Kampf für die Gleich­be­rech­ti­gung schrei­ben. Aber dann kam ihm der Ein­satz für die Welt­re­vo­lu­ti­on in die Que­re, und die war so­wohl Fer­gus als auch des­sen Au­tor, der selbst Kom­mu­nist war, wich­ti­ger. Der Au­tor tritt öf­ter hin­ter sei­ner Per­son her­vor und be­lehrt uns durch Fer­gus‘ Mund über be­stimm­te po­li­ti­sche Pro­ble­me. Die­se sei­ten­lan­gen Re­fle­xio­nen sind öde und füh­ren auch nicht wirk­lich weiter.

Wirk­lich span­nend wird Stuart Hoods „Das Buch Ju­dith“ erst zum Schluss. Da tut Ju­dith et­was Über­ra­schen­des: Sie be­freit sich von dem, der bis da­hin ihr Le­ben be­stimmt hat. Da­mit wird sie in ge­wis­sem Sinn zur bi­bli­schen Ju­dith, und der Le­ser wünscht ihr, dass sie aus dem Land des ster­ben­den (und zu die­sem Zeit­punkt schon to­ten) Ge­ne­ra­lis­si­mus entkommt… ♦

Stuart Hood: Das Buch Ju­dith – Ro­man, 208 Sei­ten, Ver­lag Edi­ti­on 8, ISBN 978-3859904064

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Eman­zi­pa­ti­on auch über die Bio­gra­phie von Kers­tin De­cker: Lou Andreas-Salomé

…so­wie zum The­ma Fe­mi­nis­mus über den Ro­man von Meg Wo­lit­zer: Das weib­li­che Prinzip

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