Patricia Cornwell: Totenstarre (Scarpetta-Krimi)

Mir gefällt gar nicht, was gerade hier los ist“

(Lucy zu Tan­te Kay, Sei­te 200)

von Isabelle Klein

Kay Scar­pet­ta hat es auch dies­mal wie­der ein­mal höchst pri­vat ge­trof­fen. In ih­rem mitt­ler­wei­le 24. Fall lässt Corn­well Kay in der Hit­ze Cam­brid­ges bis zum Um­fal­len schuf­ten. Doch in ge­wohn­ter Scar­pet­ta-Ma­nier schlägt sie sich tap­fer und kämpft an vie­len Fronten…

An ei­nem glü­hend heis­sen Nach­mit­tag ist Kay un­ter­wegs, um letz­te Er­le­di­gun­gen für den an­ste­hen­den Be­such ih­rer heiss­ge­lieb­ten Schwes­ter Do­ro­thy zu tä­ti­gen, als sie ein­mal mehr zur Ziel­schei­be ih­res der­zei­ti­gen Stal­kers „Tail-end Char­lie“ – war­um nur muss man hier auch in der Über­set­zung im­mer mit An­gli­zis­men ar­bei­ten?! – wird, der wie­der­um Ma­ri­no auf den Plan ruft. Und schon sind wir ein­mal mehr in der höchst kru­den und un­über­schau­bar bö­sen Welt, die Kay und ihre Lie­ben um­gibt. Ma­ri­no ist wie so oft von un­gu­ten Ge­füh­len ge­trie­ben, wäh­rend sei­ne Ex-Che­fin sin­niert: Über das Ma­ri­huana­blatt-Tat­too ih­res Bü­ro­lei­ters Bryce, über den be­vor­ste­hen­den Vor­trag in Har­vard mit ih­rem Men­tor Briggs, über den ge­fürch­te­ten Be­such der herz­al­ler­liebs­ten Schwes­ter – als ein­mal mehr ein Lei­chen­fund das rare Pri­vat­le­ben stört, ge­ra­de als Kay sich mit ih­rem Gat­ten zum Es­sen auf dem Cam­pus trifft. Selbst­ver­ständ­lich mischt zu­gleich das FBI mit und Ben­ton ent­schwin­det… Nicht zu ver­ges­sen selbst­ver­ständ­lich die im­mer Bö­ses wit­tern­de, pho­bi­sche Su­per-Lucy, die nun auch die am Flug­ha­fen wei­len­de Do­ro­thy un­ter ihre Fit­ti­che neh­men muss.
Wir mer­ken es schon haar­scharf im ers­ten Drit­tel: Frau Corn­well lässt Scar­pet­ta wie­der ein­mal viel zu viel sin­nie­ren und schwa­dro­nie­ren; der­mas­sen raum­grei­fen­de Red­un­danz lässt den Le­ser ger­ne die Le­se­lust verlieren…

Hinter allem besteht ein Zusammenhang…

Von vorn­her­ein ist al­len Be­tei­lig­ten mehr als glas­klar: Hin­ter al­lem be­steht ein Zu­sam­men­hang, denn ne­ben der Lei­che ei­ner jun­gen Frau na­mens Eli­sa Van­ders­teel mit merk­wür­di­gen Ver­let­zun­gen, die von ei­nem Blitz­schlag her­zu­rüh­ren schei­nen, wird auch Briggs nicht un­be­scha­det aus die­sem Dra­ma her­vor­ge­hen. Es kann nur eine Ver­ant­wort­li­che ge­ben, wis­sen Ben­ton und Lucy so­fort. Et voi­là: Vor­hang auf für Car­rie Grethen, die uns seit der „To­ten ohne Na­men“ und schon lan­ge zu­vor als Lu­cys Ge­lieb­te und FBI-Aus­bil­de­rin das Le­ben zur Höl­le mach­te. Steckt sie hin­ter den Mob­bing-At­ta­cken auf Kay? Hat Ben­ton recht, wenn er Kay mit nach Ma­ry­land neh­men möch­te, da er Kay in höchs­ter Ge­fahr sieht? Ne­ben Ma­ri­nos Pa­nik­ma­che und Lu­cys End­zeit­stim­mung hat Kay nun auch noch mit ei­nem über­für­sorg­li­chen Ehe­mann zu kämpfen…

Dekadente Luxusteilchen des Lebens

Fra­gen über Fra­gen, die Corn­well in ih­rer „Alles-hängt-mit-allem-zusammen-und-Kay-steht-immer-im-Zentrum-des-Bösen“-Masche der­art un­glaub­wür­dig (über)konstruiert, dass ei­nem von An­fang an die Haa­re zu Ber­ge ste­hen. Kay sin­niert sei­ten­wei­se über das in­tel­lek­tu­el­le Har­vard der up­per class, über teu­re Lu­xus­ka­ros­sen – all das ist sinn­bild­lich für Corn­wells Auf­stieg von der Ge­richts­re­por­te­rin zur Schrift­stel­le­rin und ih­ren Er­folg zu se­hen. Scar­pet­ta und Lucy sind wohl ein Mi­schung aus Mar­cel­la Fier­ro (die Lei­te­rin der Ge­richts­me­di­zin des Staa­tes Vir­gi­nia, von der Corn­well vie­les ge­lernt hat) und Corn­well höchstselbst.
Er­folg ist eine schö­ne Sa­che, aber er­mü­dend, wenn man als Le­ser seit nun­mehr weit über 15 Jah­ren all die klei­nen de­ka­den­ten Lu­xus­teil­chen ih­res Le­bens in je­dem De­tail mit­er­le­ben muss. Ergo: Seit nun­mehr weit über 14 Bän­den über­wiegt die Zah­len der schlech­ten Bü­cher, die auf kru­de Wei­se red­un­dant sind und sich zu­neh­mend in den Pho­bien der Be­tei­lig­ten, al­len vor­an in je­nen Miss Su­per­wo­mans Lucy’s, ver­lie­ren. Wahr­haft ge­nia­le Bü­cher der Scar­pet­ta-Rei­he fin­det man we­ni­ge, nur sie­ben. Seit dem Tod Ben­tons und sei­ner Wie­der­auf­er­ste­hung be­fin­den wir uns an ei­nem Punkt, ab dem nor­ma­les Er­mit­teln in gut kon­stru­ier­ten und vor al­lem glaub­haf­ten Zu­sam­men­hän­gen nicht mehr mög­lich scheint, denn im­mer wie­der neh­men Psy­cho­pa­then oder alte Be­kann­te das Quar­tett in den per­ma­nen­ten Fo­kus ih­rer Bös­ar­tig­kei­ten. Dem Cornwell’schen Mi­kro­kos­mos des CFC fehlt es an jed­we­der Plau­si­bi­li­tät, an in­halt­li­cher Raf­fi­nes­se und ei­nem Span­nungs­bo­gen, eben an al­le­dem, was ei­nen Thril­ler ausmacht.

Langeweile bei Tatort-Sicherungen

Die ame­ri­ka­ni­sche Kri­mi- und Thril­ler-Au­torin Pa­tri­cia Corn­well (Geb. 1956)

Da­bei hilft auch dies­mal wie­der (wie in al­lem ih­rer Bü­cher der letz­ten Jah­re) der eng ge­steck­te Zeit­rah­men. Ge­ra­de mal 24 Stun­den hat Kay, um das Ab­le­ben Eli­sa Van­ders­teels auf­zu­klä­ren. Und sie wird da­bei nicht müde, uns im­mer wie­der dar­auf hin­zu­wei­sen, dass al­les, je­des Wort dop­pelt und drei­fach über­legt wer­den müs­se, denn jede Aus­sa­ge kön­ne ins Ge­gen­teil ver­kehrt wer­den. Und so ver­geht, wäh­rend Kay den Tat­ort auf­sucht, bis zu dem Zeit­punkt, als die Lei­che im CFC lan­det, eine gan­ze Nacht, wäh­rend der ge­nerv­te und ge­lang­weil­te Le­ser ver­fol­gen muss, wie Ha­rold und Rus­ty in je­der Ein­zel­heit den Tat­ort sichern.
Wenn Corn­well mit ih­rem Wis­sen bril­lie­ren will, soll sie ein Sach­buch über Fo­ren­sik und die Schwie­rig­kei­ten der Tat­ort­si­che­rung schrei­ben, aber uns da­mit ver­scho­nen, wie end­los Zeit ins Land geht – und wir un­ter­des­sen mit Akro­ny­men (BUD, NCFC, ORNL,RFID, AFSME etc.) und schlech­ten Me­ta­phern zu­ge­müllt werden.

Akronyme und schlechte Metaphern

Bei­spiel ge­fäl­lig? „See­li­sche Ver­let­zun­gen kön­nen zu Ris­sen füh­ren, die wie Krat­zer auf ei­ner DVD manch­mal ir­repa­ra­bel sind“ (S. 207). Oder: „Ver­we­sungs­ge­ruch blüht in un­se­ren Na­sen­lö­chern wie eine dunk­le töd­li­che Blu­me“ (S. 380).
Bei­na­he hät­te ich es ver­ges­sen: Im­mer­hin hat Corn­well dies­mal ihre Ten­denz zu Schleich­wer­bung für Ap­ple, Fer­ra­ri, Audi und Co. ein we­nig ge­dros­selt, aber an an­de­rer Stel­le noch ge­stei­gert. So lau­tet der Name ih­res Zweit­hun­des al­len Erns­tes „Tes­la“…. Schön, dass sie uns durch Lucy, Ben­ton und Kay zeigt, was sie al­les er­reicht hat, und wie wich­tig ihr Sta­tus durch eben die­se Sym­bo­le zu sein scheint. Mich er­mü­det, ver­är­gert es. Wir wer­den ne­ben ih­rer Keu­rig-Kaf­fema­schi­ne und Ben­tons Audi auch die Land­seer-Bil­der in ih­rem Büro ken­nen­ler­nen und er­fah­ren mi­nu­ti­ös vie­le ba­na­le Hand­lungs­ab­läu­fe (etwa wie sie im Büro über den Tep­pich läuft oder die Wand mit Bil­dern pas­siert usw.).

Literarischer Niedergang einer Kult-Reihe

Pa­tri­cia Corn­well hat es mit „To­ten­star­re“ ein­mal mehr ge­schafft, ei­nen wei­te­ren ne­ga­ti­ven Hö­he­punkt in ih­rer seit über 15 Jah­ren ab­fal­len­den Se­rie um die Fo­ren­sik-Iko­ne Kay Scar­pet­ta zu er­schaf­fen: Lan­ge­wei­le, Red­un­danz, Pa­ra­noia, Über­kon­struk­ti­on. Kurz: ver­schenk­te Le­se­zeit. Schade.

Längst ver­gan­gen sind die Zei­ten ei­ner span­nen­den Scar­pet­ta-Lek­tü­re, als die At­mo­sphä­re im mord­schwan­ge­ren Vir­gi­nia höchst sub­til und ef­fek­tiv mit ge­rin­gen, aber da­für umso wir­kungs­vol­le­ren Knif­fen reduziert/maximiert wur­de; als Corn­wells Ego, Reich­tum und schlech­te Pro­sa noch in­exis­tent wa­ren. Die gute alte Scar­pet­ta-Zeit eben.
Pa­tri­cia Corn­well hat es ein­mal mehr ge­schafft, ei­nen wei­te­ren ne­ga­ti­ven Hö­he­punkt in ih­rer seit weit über 15 Jah­ren ab­fal­len­den Se­rie um die Fo­ren­sik-Iko­ne Kay Scar­pet­ta zu er­schaf­fen: Lan­ge­wei­le, Red­un­danz, Pa­ra­noia, Über­kon­struk­ti­on. Kurz: ver­schenk­te Lesezeit.
Keh­ren Sie, lie­be Le­se­rin oder lie­ber Le­ser, also bes­ser zu Corn­wells ge­nia­len An­fän­gen zu­rück und gön­nen Sie sich die ers­ten Bü­cher der Scar­pet­ta-Rei­he noch einmal! ♦

Pa­tri­cia Corn­well: To­ten­star­re (Kay Scar­pet­ta / Bd. 24), Kri­mi, Har­per­Coll­ins Ver­lag, 432 Sei­ten, ISBN 978-3959671255

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch über den Kri­mi von Mar­tin Wal­ker: Schwar­ze Diamanten
und über den Kri­mi von
Beat Port­mann: Al­les still

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