Boris Gulko (u.a.): Der KGB setzt matt (Sowjet-Schach)

Düsterer Blick hinter die Weltschach-Kulissen

von Tho­mas Binder

Die po­li­ti­schen Ein­flüs­se auf das Welt­schach in der Zeit des Kal­ten Krie­ges har­ren noch ei­ner um­fas­sen­den Dar­stel­lung. Ein­zel­aspek­te sind im­mer wie­der auf­ge­grif­fen wor­den, so von Gar­ri Kas­pa­row und Vik­tor Kort­schnoi in au­to­bio­gra­phi­schen Bü­chern oder in Wer­ken über den WM-Kampf zwi­schen Spas­ski und Fischer.
Die Au­toren le­gen hier ih­ren Schwer­punkt auf die Ma­ni­pu­la­tio­nen durch den so­wje­ti­schen Ge­heim­dienst KGB. Lei­der kön­nen sie da­her – etwa im Ge­gen­satz zur Auf­ar­bei­tung der Sta­si-Ver­gan­gen­heit in der DDR – nicht auf Ori­gi­nal­do­ku­men­te zu­rück­grei­fen. Ihre Dar­stel­lung muss also zwangs­läu­fig hin­ter dem An­spruch ei­ner wis­sen­schaft­lich do­ku­men­tier­ten Ar­beit zu­rück bleiben.

Keine neuen Erkenntnisse durch Viktor Kortschnoi

Das Buch hin­ter­lässt ei­nen zwie­späl­ti­gen Ein­druck. Dies be­ginnt be­reits beim Blick auf die Lis­te der Au­toren. Vier Na­men ste­hen auf dem Ein­band: Bo­ris Gul­ko, Vik­tor Kort­schnoi, Wla­di­mir Po­pow, Juri Felscht­in­ski – und zu­min­dest zwei da­von las­sen beim in­ter­es­sier­ten Schach-En­thu­si­as­ten Neu­gier und Vor­freu­de aufkommen.

Der Bei­trag von Vik­tor Kort­schnoi – im­mer­hin ei­nes der we­sent­li­chen Op­fer der be­schrie­be­nen Ma­ni­pu­la­tio­nen – be­schränkt sich aber lei­der auf ein mehr­sei­ti­ges Nach­wort ohne neue Er­kennt­nis­se. Den Haupt­teil des Bu­ches be­strei­ten Gul­ko und das Au­toren­paar Popow&Felschtinski mit etwa gleich lan­gen Es­says. Den ame­ri­ka­ni­schen Gross­meis­ter, der 1986 aus der So­wjet­uni­on emi­grier­te, muss man in Schach­krei­sen wohl nicht vorstellen.

Zwei Schach-Op­fer des rus­si­schen KGB: Vik­tor Kort­schnoi und Bo­ris Gulko

Felscht­in­ski ist ein ame­ri­ka­ni­scher His­to­ri­ker, der eben­falls aus der So­wjet­uni­on emi­griert war. Sein For­schungs­schwer­punkt bleibt das Wir­ken des so­wje­ti­schen und rus­si­schen In­lands-Ge­heim­diens­tes. Ei­ni­ge Po­pu­la­ri­tät er­lang­te er vor al­lem durch sei­ne Zu­sam­men­ar­beit mit dem 2006 in Lon­don un­ter mys­te­riö­sen Um­stän­den ums Le­ben ge­kom­me­nen Ex-KGB-Mit­ar­bei­ter Lit­wi­nen­ko. Ex KGB-Oberst­leut­nant Po­pow ge­hör­te zu je­ner Ab­tei­lung, die den in­ter­na­tio­na­len Sport­ver­kehr über­wach­te. Nach sei­nem Aus­schei­den aus dem Ge­heim­dienst emi­grier­te er nach Kanada.

Hass auf die kommunistischen Machthaber

Ex-Welt­meis­ter Ana­to­li Kar­pow: Pri­vi­le­giert durch be­wuss­te Systemnähe?

Ge­mein­sam ist al­len Au­toren der Hass auf die kom­mu­nis­ti­schen Macht­ha­ber und de­ren Ge­heim­dienst. Dass die­se Emo­ti­on in ih­ren Aus­füh­run­gen im­mer wie­der Aus­druck sucht, kommt der ob­jek­ti­ven Be­wer­tung des Bu­ches nicht un­be­dingt ent­ge­gen. Ger­hard Jos­ten hat es in sei­ner tref­fen­den Re­zen­si­on („Ro­cha­de Eu­ro­pa 3/2010“) psy­cho­ana­ly­tisch ge­deu­tet, die Au­toren wür­den nun „ihre Ver­gan­gen­heit bes­ser be­wäl­ti­gen kön­nen, als ohne die­sen Rück­blick“. Ganz so weit möch­te ich nicht ge­hen – aber Hass ist si­cher ein schlech­ter Rat­ge­ber, wenn man den An­spruch hat, ein his­to­risch-po­li­ti­sches Ent­hül­lungs­buch zu schreiben.

Gul­kos Bei­trag ist im We­sent­li­chen eine Schil­de­rung der Re­pres­sa­li­en, de­nen er und sei­ne Gat­tin Anna Ach­scharu­mo­wa (selbst zeit­wei­se eine An­wär­te­rin auf die WM-Kro­ne) aus­ge­setzt wa­ren. Die­se be­gan­nen etwa 1976, als sie sich wei­ger­ten eine Er­klä­rung der so­wje­ti­schen Schach-Eli­te ge­gen den „ab­trün­ni­gen“ Kort­schnoi zu un­ter­zeich­nen. Zwei Jah­re spä­ter stell­ten sie ei­nen Aus­rei­se­an­trag, der schliess­lich 1986 ge­neh­migt wurde.
Stark ist Gul­ko vor al­lem in den Pas­sa­gen, in de­nen er de­tail­reich von sei­nem Le­ben in je­nem Jahr­zehnt be­rich­tet, sei es vom Hun­ger­streik, von Pro­test­ak­tio­nen zum In­ter­zo­nen­tur­nier 1982 oder von der Ma­ni­pu­la­ti­on der Frau­en-Meis­ter­schaft, als Anna kurz vor dem Ti­tel­ge­winn stand.

Die Mos­kau­er Ex-KGB-Zen­tra­le des all­mäch­tig-be­rüch­tig­ten so­wje­ti­schen Ge­heim­diens­tes (Wi­ki­pe­dia)

EX-WM Anatoli Karpow Nutzniesser des KGB?

Als we­sent­li­chen Nutz­nies­ser der KGB-Po­li­tik macht Gul­ko den frü­he­ren Welt­meis­ter Ana­to­li Kar­pow aus. Ge­wiss hat Kar­pow in der So­wjet­uni­on weit­ge­hen­de Pri­vi­le­gi­en ge­nos­sen und sich die­se auch durch eine ge­wis­se Sys­tem­nä­he – man kann es auch Op­por­tu­nis­mus nen­nen – be­wahrt. In­wie­weit Kar­pow selbst im Hin­ter­grund ak­tiv ge­wor­den ist, kann ich auch nach der Lek­tü­re die­ses Bu­ches nicht be­ur­tei­len. Lei­der ist Gul­ko an vie­len Stel­len auf Ver­mu­tun­gen und Ge­rüch­te an­ge­wie­sen. Das macht dann auch Stel­len wie die Be­haup­tung, Kar­pow habe dank sei­ner KGB-Kon­tak­te noch kürz­lich ein Stück Land in Si­bi­ri­en mit gi­gan­ti­schen Erd­gas­vor­rä­ten er­wor­ben und da­bei 2 Mil­li­ar­den Dol­lar ge­won­nen, für den un­vor­ein­ge­nom­me­nen Le­ser schwer nachprüfbar.
So bleibt ins­ge­samt ein un­kla­rer Ein­druck, den in Gul­kos Be­richt frei­lich die Pas­sa­gen aus sei­nem ei­ge­nen Er­le­ben mehr als wettmachen.

KGB-Aktionen im Umfeld der Schach-WM-Kämpfe

WM-Ti­tel­kampf Kar­pow-Kort­schnoi in Me­ran 1981: Be­stan­den KGB-Plä­ne für eine Er­mor­dung Kortschnois?

Noch we­sent­lich un­kla­rer fällt die Be­wer­tung des zwei­ten Haupt­tei­les aus. Der His­to­ri­ker Felscht­in­ski wird im Au­toren­por­trät für „meh­re­re Dut­zend Bän­de von his­to­ri­schen Do­ku­men­ten“ ge­rühmt. Da­von ist hier al­ler­dings nicht viel zu le­sen. Do­ku­men­te und Be­le­ge ver­misst man fast völ­lig. Der Es­say ist eine all­ge­mei­ne Ab­rech­nung mit dem KGB, wo­bei na­he­zu im Ak­kord ein­zel­ne Per­so­nen auf die Büh­ne ge­holt wer­den, von der sie eben­so schnell wie­der ver­schwin­den – ohne dass der Le­ser sich ein um­fas­sen­des Bild ma­chen könn­te oder auch nur de­ren Be­zug zur Schach­the­ma­tik er­kennt. Erst ge­gen Ende ge­hen Felscht­in­ski und Po­pow auf ei­ni­ge KGB-Ak­tio­nen im Um­feld der WM-Kämp­fe Kar­pows ge­gen Kort­schnoi bzw. Kas­pa­row ein. Dass die so­wje­ti­sche Füh­rung hier auf Sei­ten Kar­pows stand und al­les ver­such­te, ihm den WM-Ti­tel zu si­chern, über­rascht schon nicht mehr. Dass dies so­weit ging, Kort­schnoi noch wäh­rend des WM-Kamp­fes 1981 in Me­ran zu er­mor­den, soll­te sich der Wett­kampf un­güns­tig für Kar­pow ent­wi­ckeln, ist hof­fent­lich eine pa­ra­no­ide Übertreibung.

Historisch-dokumentarischem Anspruch nicht gerecht geworden

Dem An­spruch ei­ner his­to­risch-do­ku­men­ta­ri­schen Dar­stel­lung kann die­ses Buch nicht ge­recht wer­den; dar­auf wer­den wir mit Blick auf die rus­si­schen Ar­chi­ve wohl noch lan­ge war­ten müs­sen. Selbst die zwi­schen den Haupt­au­to­ren of­fe­ne Fra­ge, ob der KGB bei sei­ner Ein­mi­schung in das Welt­schach al­lein aus ei­ge­nem An­trieb oder ge­mein­sam mit der Par­tei­füh­rung han­del­te, muss vor­erst of­fen bleiben.

Im An­hang fin­det man ei­nen Brief von Po­pow an Felscht­in­ski, in dem er vor al­lem auf die nach wie vor rea­le Be­dro­hung durch den (jetzt rus­si­schen) Ge­heim­dienst ein­geht. Die An­mer­kung des Her­aus­ge­bers, ohne die­sen Brief hät­te es das vor­lie­gen­de Buch ver­mut­lich nicht ge­ge­ben, bleibt eben­so ne­bu­lös, wie vie­le an­de­re An­deu­tun­gen auf den 200 Sei­ten zuvor.
Dem in­ter­es­sier­ten Schach­spie­ler sei das Buch emp­foh­len, wenn er sich eine ge­sun­de kri­ti­sche Di­stanz zu den not­wen­di­ger­wei­se sub­jek­ti­ven Aus­füh­run­gen der Au­toren be­wahrt. Die Er­in­ne­run­gen Gul­kos al­lein ver­die­nen es, für künf­ti­ge (und nicht nur schach­spie­len­de) Ge­ne­ra­tio­nen be­wahrt zu bleiben. ♦

B.Gulko/V.Kortschnoi/W.Popow/J.Felschtinski, Der KGB setzt matt – Wie der so­wje­ti­sche Ge­heim­dienst die Schach­welt ma­ni­pu­lier­te, Ex­cel­si­or Ver­lag Ber­lin, 216 Sei­ten, ISBN 978-3-935800-06-8

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Schach im Ost­block“ auch das In­ter­view mit Ma­nu­el Frie­del über das Schach in der DDR
… so­wie der schach­his­to­ri­sche Bei­trag Zum Tode von Schach-Gross­meis­ter Bent Larsen

Ein Kommentar

  1. daß die ge­schicht ins­ge­samt ein­sei­tig bis über­trie­ben ist, zeigt al­lein der blöd­sinn mit der „Er­mor­dungs­ab­sicht“ des KGB – wenn das auf­ge­flo­gen wäre – al­lein der Ver­dacht schon wäre das Ri­si­ko nicht wert ge­we­sen ! Das hät­te ei­nen po­li­ti­schen Skan­dal oh­ne­glei­chen nach sich gezogen…

    Über­haupt wer­den gern die fürchert­li­chen Me­tho­den der Sta­lin­zeit mit de­nen da­nach durch­ein­an­der­ge­mischt und ver­ges­sen, daß zu­min­dest nach Sta­lin der „Wes­ten“ mit CIA, Na­palm Viet­nam etc. eine grö­ße­re Blut­spur und Mord­op­fer hin­ter­ließ und man hier mit we­ni­ger Ver­schwö­rungs­theo­rien aus­kom­men könn­te – sie­he Fi­scher ge­gen Spas­ski, und wie die USA spä­ter Fi­scher ve­haf­ten woll­te, als er in Ju­go­sla­wi­en spie­len wollte…..

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