Panoptikum der Musiker-Entgleisungen (Anekdoten)

Ein purer Dilettant, krank von Anbeginn“

Komponisten beschimpfen Komponisten

von Wal­ter Eigenmann

Wie ist es mög­lich, dass hoch­in­tel­li­gen­te, oft viel­sei­tig ge­bil­de­te, in ge­ni­als­ter Wei­se krea­ti­ve, ge­sell­schaft­lich an­er­kann­te und von der Ge­schich­te wie von der Ge­gen­wart mil­lio­nen­fach ver­ehr­te Per­sön­lich­kei­ten sich zu pein­lichs­ten Dif­fa­mie­run­gen, ge­häs­sigs­ten Pö­be­lei­en und kras­ses­ten Fehl­ur­tei­len ver­stei­gen kön­nen, so­bald es nur um die künst­le­ri­sche Ar­beit der „lie­ben Kon­kur­renz“ geht? Ist die Mu­sik als emo­tio­nals­te al­ler Küns­te auch die ego­zen­trischs­te, weil das oh­ne­hin mensch­lich üb­li­che Mass an Neid und Igno­ranz hier all­zu schnell und oft gar in pure Ir­ra­ti­on­lität mit­tels grösst­mög­li­cher Rea­li­täts­ver­drän­gung zu kip­pen pflegt?

Die grossen Flammen auspusten, damit das kleine Licht heller leuchte

Ho­no­re Dau­mier: „Py­ro­tech­ni­sche, cha­ri­var­eske und dia­bo­li­sche Musik“

Der geist­rei­che Gen­tle­man Fe­lix Men­dels­sohn-Bar­thol­dy – sei­ner­seits als Jude ge­meins­ten Ge­schmack­lo­sig­kei­ten z.B. ei­nes Ri­chard Wag­ner aus­ge­setzt – um­schrieb den Tat­be­stand ele­gant-tref­fend so, dass man­cher Kom­po­nist eben ver­su­che, „die gros­sen Flam­men aus­zu­pus­ten, da­mit das klei­ne Talg­licht ein we­nig hel­ler leuch­te.“ Und viel­leicht wohl­wol­lend kann man al­len­falls mit Ro­bert Schu­mann – no­ta­be­ne ein selbst­lo­ser För­de­rer von Brahms, Schu­bert und Cho­pin – die (in sei­ner be­rühm­ten „Neu­en Zeit­schrift für Mu­sik“ ge­äus­ser­te) Mei­nung tei­len, dass „nur der Ge­ni­us den Ge­ni­us ganz ver­steht“. Was al­ler­dings höchs­tens er­klärt, war­um „min­de­re“, von der Kul­tur­ge­schich­te mehr oder we­ni­ger zu­recht „mar­gi­na­li­sier­te“ Geis­ter à la Kri­ti­ker wie Hans­lick oder Kom­po­nis­ten wie Pfitz­ner ge­gen die „ganz Gros­sen“ schnö­de­ten, je­doch nicht, war­um ein Ti­ta­ne wie Tschai­kow­sky das Werk ei­nes an­de­ren Ti­ta­nen wie Brahms lo­cker als „ge­halt­lo­se, auf­ge­bläh­te Mit­tel­mäs­sig­keit“ ab­zu­tun in der Lage war. (Zur Eh­ren­ret­tung des Kom­po­nis­ten-Stan­des sei al­ler­dings nicht ver­schwie­gen, dass – bei­spiels­wei­se – auch die Li­te­ra­ten-Gil­de durch­aus die gro­be Holz­keu­le an­stel­le des fei­nen Flo­retts zu schwin­gen ver­mag, wie man hier mitschmun­zeln kann: Dich­ter über Dich­ter).

Dilettanten, Stümper, Notenschmierer

Ho­no­re Dau­mier: „Die Strassenmusikanten“

Sei­en die psy­cho­lo­gi­schen, in der chro­no­lo­gi­schen Di­stanz wohl noch schwe­rer als in der Zeit­ge­nos­sen­schaft nach­voll­zieh­ba­ren Grün­de der­ar­tig mons­trö­ser Sub­jek­ti­vi­tät ge­gen­über ob­jek­tiv nach­weis­ba­rer künst­le­ri­scher Gül­tig­keit jetzt mal da­hin­ge­stellt, und tau­chen wir ein in die durch­aus er­hei­tern­den, teils auch de­gou­tan­ten, kei­nes­wegs im­mer „fal­schen“, aber stets frap­pan­ten, je­den­falls sei­ner­zeit aus er­bit­ter­ter Feind­schaft er­wach­se­nen Nie­de­run­gen der „Di­let­tan­ten“, „Stüm­per“, „No­ten­schmie­rer“, „Irr­sin­ni­gen“, „Ka­kap­ho­ni­ker“ und „Lutsch­bon­bons“. (Die Samm­lung, in un­ter­schied­lichs­ten Quel­len wie Brie­fen, Bio­gra­phien, Re­zen­sio­nen u.a. re­cher­chiert, ist na­tür­lich bei­lei­be nicht voll­zäh­lig – aber repräsentativ…)

W.A. Mo­zart über Carl & An­ton Stamitz:
„No­ten­schmie­rer und Spie­ler, Säu­fer und Hurer!“

Hei­tor Vil­la-Lo­bos über W.A. Mozart:
„Leicht zu durch­schau­en­de Mu­sik – et­was für Kinder.“

Lud­wig van Beet­ho­ven über Gio­ac­chi­no Rossini:
„Kein wah­rer Meis­ter gibt auf Ros­si­ni acht. Ros­si­ni hat kei­ne Form, weil er kei­ne schaf­fen kann, sie fehlt ihm, nicht weil er es möch­te, son­dern weil er nur wie ein Stüm­per han­deln kann.“

Igor Stra­win­sky über Lud­wig van Beethoven:
„Ich ver­ste­he nicht, wie ein Mann von sol­chen Fä­hig­kei­ten der­art häu­fig in sol­che Ba­na­li­tä­ten ver­fal­len konn­te. Ein spä­tes und schreck­li­ches Bei­spiel ist der ers­te Satz der Neun­ten Sin­fo­nie. Wie konn­te ein Beet­ho­ven sich zu­frie­den ge­ben mit der­art vier­ecki­ger Pha­ra­sie­rung, so pe­dan­ti­scher Durch­füh­rung, so arm­se­li­ger Er­fin­dung und of­fen­sicht­lich fal­schem Pathos.“

Gi­a­co­mo Puc­ci­ni über Igor Strawinsky:
„‚Sacre du Prin­temps‘ – reins­te Ka­ko­pho­nie! In­des­sen zeigt sich eine ge­wis­se Ori­gi­na­li­tät und ein be­stimm­tes Mass an Ta­lent. Doch im Gan­zen ge­nom­men könn­te es die Schöp­fung ei­nes Irr­sin­ni­gen sein.“

Ri­chard Strauss über Hugo Wolf:
„Ein pu­rer Di­let­tant, krank von Anbeginn.“

Ho­no­re Dau­mier: „Nach ei­ner Stun­de Wag­ner auf all­ge­mei­nen Wunsch“

Ar­nold Schön­berg über Ri­chard Strauss:
„Künst­le­risch in­ter­es­siert er mich heu­te gar nicht, und was ich sei­ner­zeit von ihm ge­lernt hat­te, habe ich, Gott­sei­dank, missverstanden…“

Fer­ruc­cio Bu­so­ni über Ar­nold Schönberg:
„An­ar­chis­tisch, eine will­kür­li­che Nebeneinanderstellung.“

Jo­han­nes Brahms über An­ton Bruckner:
„Bruck­ner ist ein ar­mer, ver­rück­ter Mensch, den die Pfaf­fen von St. Flo­ri­an auf dem Ge­wis­sen haben.“

Pe­ter Tschai­kow­sky über Jo­han­nes Brahms:
„Was für eine ge­halt­lo­se Mi­schung ist doch die Mu­sik von Brahms. Es em­pört mich im­mer, wenn die­se auf­ge­bläh­te Mit­tel­mäs­sig­keit für ge­ni­al ge­hal­ten wird.“

Ni­ko­laj Rims­kij-Kor­sa­kow über Pe­ter Tschaikowsky:
„Sei­ne Mu­sik zeugt von schlech­tem Geschmack.“

Erik Sa­tie über Mau­rice Ravel:
„Ra­vel lehnt die Eh­ren­le­gi­on ab, doch sei­ne gan­ze Mu­sik ge­hört dort hinein…“

Ca­mil­le Saint-Saens über Max Reger:
„Das fängt nicht an, das hört nicht auf, das dau­ert nur.“

Max Re­ger über Gus­tav Mahler:
„Mir er­scheint Mahler als der Mey­er­beer un­se­rer Zeit! Es ist bei bei­den die echt se­mi­tisch gros­se In­tel­li­genz, bei bei­den das Ar­bei­ten mit Af­fekt­mit­teln äus­ser­li­cher Na­tur und bei bei­den das Feh­len jeg­li­chen Stils.“

Gus­tav Mahler über Max Bruch:
„Ein Logarithmentafel-Exponent.“

Ho­no­re Dau­mier: „Ein Or­ches­ter in ei­nem sehr fei­nen Haus, in dem man sich das Ver­gnü­gen leis­tet Ope­ret­te zu spielen“

Clau­de De­bus­sy über Ed­vard Grieg:
„Er ist nicht mehr als ein ge­schick­ter Mu­si­ker, der um die Wir­kung be­sorg­ter ist als um wah­re Kunst. Ein mit Schnee ge­füll­tes Lutschbonbon.“

Alex­an­der Skrja­bin über Clau­de Debussy:
„Ich kann Ih­nen zei­gen, wie man die­se Art fran­zö­si­scher Gri­mas­se zu­stan­de­bringt. Neh­men Sie ir­gend­wel­che of­fe­nen Quin­ten, lö­sen Sie sie mit ei­nem über­mäs­si­gen Quart­sext­ak­kord auf und fü­gen Sie ei­nen Turm von Ter­zen hin­zu, bis Sie ge­nug Dis­so­nanz bei­sam­men ha­ben, und wie­der­ho­len Sie dann die gan­ze Sa­che in ei­nem an­de­ren ‚Schlüs­sel‘, so kön­nen Sie so viel ‚De­bus­sy‘ fa­bri­zie­ren, wie Sie wollen…“

Bed­rich Sme­ta­na über An­to­nin Dvorak:
„Ein ta­len­tiert Mu­si­kant, nichts weiter.“

Ho­no­re Dau­mier: „Pa­ra­de du Charivari“

Mau­rice Ra­vel über Ca­mil­le Saint-Saens:
„Saint-Saens hat wäh­rend des Krie­ges al­ler­hand Mu­sik kom­po­niert. Hät­te er statt des­sen Gra­nat­hül­sen ge­dreht, wäre es viel­leicht ein Ge­winn für die Mu­sik gewesen.“

Ge­org Bi­zet über Gu­i­sep­pe Verdi:
„Man hat kürz­lich eine neue Oper von Ver­di ge­spielt. Ekelerregend!“

Ri­chard Wag­ner über Franz Schubert:
„Ein dritt­ran­gi­ges Ta­lent – phi­lis­trö­se Sonaten.“

Gu­i­sep­pe Ver­di über Hec­tor Berlioz:
„Ber­li­oz war ein ar­mer, kran­ker Mensch, der ge­gen alle wü­te­te, hef­tig und bös­ar­tig war. Er konn­te sich nicht mäs­si­gen; es fehl­te ihm die Ruhe und die Aus­ge­wo­gen­heit, aus der sich erst die voll­ende­ten Kunst­wer­ke ergeben.“

Hec­tor Ber­li­oz über Ri­chard Wagner:
„Er ist ver­rückt, völ­lig verrückt!“

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch die
Mu­si­ker-An­ek­do­ten (1)

… so­wie die Mu­sik-Sa­ti­re von
Nils Gün­ther: Der ge­mei­ne Orchesterdirigent

Ein Kommentar

  1. Zi­tat: Hei­tor Vil­la-Lo­bos über W.A. Mozart:
    «Leicht zu durch­schau­en­de Mu­sik – et­was für Kinder.»

    Könn­te von mir stammen … 

    Im Ernst: Eine net­te Samm­lung. Kol­le­gen zu be­schimp­fen heißt aber im­mer­hin, sie wahr­zu­neh­men. Und wir freu­en uns über jede Wahr­neh­mung, auch Be­schimp­fung. Denn der Kri­ti­ker hat nur eine Mei­nung, aber kein Recht.

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