Der bekannte Schachstudien-Komponist Mihai Neghina war schon mehrmals mit seinen exquisiten Werken zu Gast im Glarean Magazin. Nicht nur unter Experten, sondern auch in der internationalen Studien-Community gilt Mihai als einer der profiliertesten Studien-Schöpfer, dessen komplexen Werke sogar die besten modernen Schachprogramme herausfordern. Die jüngste Komposition „The Confusion“ macht dem Ruf Ihres Urhebers wieder alle Ehre.
Zu hohe Hürde für Schachprogramme
Der Schachstudien-Komponist Mihai Neghina ist hauptberuflich Software-Entwickler und Lektor im Department of Computer Science and Electrical Engineering an der Lucian Blaga Universität Sibiu
Unter dem Motto „The Confusion“ präsentiert der in Rumänien geborene Stellungs-Tüftler nachstehend erneut eine Figuren-Konstellation auf dem Feld, vor der auch Stockfish &. Co. kläglich kapitulieren. Mehr noch, die meisten Engines – von speziell „getunten“, im computerschachlichen Turnierbetrieb aber versagenden Programmen vielleicht abgesehen – wähnen hier den Schwarzen in einer haushoch überlegenen Stellung mit Bewertungen von über -7.00 Bauerneinheiten…
Doch die Position ist für weiss gewonnen. Denn wie so oft in modernen Schachstudien ist Zugzwang auch hier einer der zentralen Begriffe – nebst natürlich dem berühmt-berüchtigten sog. Horizont-Effekt, der den Engines die finale (und meist „unangenehme“) Erkenntnis zu einer Stellung immer wieder aus dem gerade aktuellen Berechnungshorizont schiebt.
Wir bringen nachfolgend die Studie als erstveröffentlichter Urdruck mit den Originalkommentaren des Komponisten. ♦
weiss zieht und gewinnt Mihai Neghina / Urdruck Glarean Magazin
FEN: 4q1kn/2Bp1p2/1N1PpPp1/1P2P1P1/2N3b1/6p1/1P4Pb/7K w
Dem bekannten rumänischen Schachstudien-Komponisten und Software-Ingenieur Mihai Neghina ist in seiner jüngsten Komposition „König jagt Dame“ das schier Unmögliche gelungen: Nicht der König wird das Opfer der allgewaltigen Dame, sondern umgekehrt der schutzbedürftige King trickst die gegnerische Queen nach Strich und Faden aus. Eine Königswanderung von fast 20 Zügen übers ganze Brett führt schliesslich zur völligen Paralyse der schwarzen Bastion.
Eine tolle neue Schach-Schöpfung des für seine tiefgründigen Probleme bekannten Komponisten: Verblüffend sind nicht nur ihre Zwangsläufigkeit und ihre Weitsicht, sondern auch ihr hoher Grad an Realitätsnähe, könnte dieses Endspiel doch auch zwangslos aus einer real gespielten Partie entstanden sein.
Praktisch unlösbar auch für moderne Schach-Engines
Komponist hochkomplexer Schach-Studien: Mihai Neghina
Aufgrund der strategischen Tiefe ist die Stellung so komplex, dass es nutzlos wäre, etwa Schach-Computer bzw. -Software darauf ansetzen zu wollen: Auch die stärksten Programme – von hochspezialisiert „getunten“ Mate-Finders oder spezifischen Anti-Nullmove-Derivaten vielleicht abgesehen – ertrinken in den Miriaden von Zügen, so dass für sie der einzige Gewinnzug völlig im Nirwana des praktisch unendlichen Berechnungshorizontes untergeht.
Falls „zufällig“ doch ein Schachprogramm den richtigen Zug findet, wird die Position stets als remis und nicht als gewonnen eingestuft – ein klares Indiz dafür, dass der Computer keine „Ahnung“ vom schachlichen Potential dieser beinahe unlösbaren1) Stellung hat. (Hier ein paar grundsätzliche Informationen zum Spannungsfeld „Computer vs. Schachproblem“).
Noch immer ist also im Königlichen Spiel – ungeachtet des enormen, für menschliche Schachspieler inzwischen unerreichbaren taktischen Niveaus heutiger Schachprogrammierung – das strategische Vorausplanen die Domäne des Menschen… ♦
1)Als „unlösbar“ definiert der Autor – im Zusammenhang mit Schachprogrammen – eine Schachaufgabe, für deren Lösung eine nicht-manipulierte und nicht spezialisiert getunte, also in ihrem originalen Zustand eingesetzte sowie in dem international anerkannten Engine-Ranking CCRL gelisteten Engine länger als eine Stunde braucht, um sowohl einen korrekten Gewinnzug als auch eine korrekte Stellungsbewertung zu liefern.
Weiss am Zuge gewinnt
Die Schachstudie „König jagt Dame“ von M. Neghina (Urdruck 2015 Glarean Magazin)
Die Schachfreunde unter der „Glarean“-Leserschaft werden sich noch an die Studie von Mihai Neghina erinnern, die unter dem Titel „Dame im Goldenen Käfig“ vor kurzem hier als Urdruck veröffentlicht wurde. Deren Komponist ist ein ganz besonderes Talent im Erdenken von Studien, die Schachprogramme auch heute noch überfordern – überfordern nicht nur hinsichtlich stellungsadäquater Bewertung, sondern auch hinsichtlich ihrer „Belehrbarkeit“.
Spezialist für komplexe Schach-Studien: Mihai Neghina
Denn erkennen Programme heutzutage in der Regel zumindest rasch ihre Fehler, wenn man ihnen die Züge, an denen sie zunächst vorbeirechnen, eingibt, wonach sie dann die richtige Bewertung im Hash zur Ausgangsstellung mit zurück nehmen, hat Neghina mit dieser zweiten Studie – die ebenfalls hier als Urdruck erscheint – neuerlich ein Meisterwerk vollbracht, das die Programme (sogar mit bekanntem Lösungsweg an frühen Verzweigungen) immer wieder in die alten Fehlbewertungen zurückfallen lässt.
Weiss zieht und gewinnt
Mihai Neghina: „Die zwei Damen im Spiegel“ – Schach-Studie (Urdruck) 2009 – 6Nk/pp2Np1p/2p2Pp1/2R2bP1/7K/P7/1q1n1Q2/5n2 w
Die alte Frage, was ein gutes Schachprogramm mehr ausmacht: Suche oder Bewertung, lässt sich an Stellungen wie der obigen am besten ad absurdum führen. Sie ist so sinnlos wie die Frage, ob Ei oder Henne zuerst da war. Wie soll ein Programm richtig bewerten, was es nicht in der Suche findet – und wie soll es wissen, was es in seinem Suchbaum als nutzlos abwerfen kann, wenn die Bewertung der Varianten nicht stimmt?
Fast alle guten Programme favorisieren hier den Lösungszug sofort, die Alternative 1.Sxf5? wird als schwächer erkannt. Der Grund für die Bewertung, die bei den meisten um 0,00 Centipawn herum liegt, ist der Zug 3.Dxf3, nach dem eine forcierte Stellungswiederholung durch Dauerschach gefunden wird. Dass es nach 3.Kh5! einen sicheren Gewinnweg gibt, bleibt im Dunkeln, weil dieser dritte Zug gar nicht erst so weit berechnet wird, dass er in die Bewertung eingeht.
Nun ist das besonders Raffinierte an der Stellung, dass auch nach 10 Zügen in die richtige Gewinnvarianten hinein zwar die Bewertung der Programme hochschnellt, die Variantenzahl mit immer wieder Zugzwang-Pointen in grösseren Halbzugtiefen ist aber so gross, dass es auch im „Rückwärtsgang“, Zug um Zug zur Ausgangsstellung ab der als Gewinn erkannten späteren Verzweigung kaum gelingt, den Engines „beizubringen“, die Gewinnbewertung zu behalten – einfach weil mehr und mehr Varianten dazukommen, die das Ergebnis hinter dem „Horizont“ verschwinden lassen.
Übertragen auf unsere „Zwei-Damen“-Aufgabe bedeutet dies, dass also ihre Zuggenerierung bis zum dritten Zug funktioniert – aber gleichzeitig, dass sie das Potential der Stellung nicht richtig einschätzen, was sich dann ab diesem dritten Zug auch als Fehler auswirkt. Kurzum, die Lösung finden alle Programme schnell, aber aus völlig „falschen Gründen“: „Operation gelungen, Patient gestorben“.
Die Vorform der „Damen“
Es ist ausgesprochen spannend, solche Studien mit dem Computer zu überprüfen, und auch in den „Zwei Damen im Spiegel“ gab es eine Vorform, die Neghina und mir erst nach längerem Durchforsten mit Computerunterstützung als echtes „Loch“ klar wurde – bei den vielen falschen Remisvarianten, die der Computer vorschlug, war eine echte dabei. Wieder war die Ausgangsstellung nur minimal anders. (Siehe nächstes Diagramm). Besonders findige Studienknacker sind gefordert, die Variante zu finden, an der dieser kleine Stellungsunterschied scheiterte.
Vorform der Studie von Mihai Neghina: „Die zwei Damen im Spiegel“ – Schach-Studie (Urdruck) 2009 – – 6Nk/pp2Np1p/2p2Pp1/2R2bP1/1P5K/8/Pq1n1Q2/5n2 w
Am Anfang stand eine höchst verzwickte Schach-Aufgabe, erschienen in der Zeitschrift „Matplus„, dann zitiert und analysiert in diversen einschlägigen Internet-Foren. Autor des interessanten Figuren-Werkes: der rumänische Software-Ingenieur Mihai Neghina.
Zwar war die Motivik seiner Studie einleuchtend: Damenblockade mit zwei Springern & Bauern sowie anschliessendem Gewinn mittels Zugzwang. Doch je länger sich der Schreibende gemeinsam mit einer Schar weiterer Analysierenden und unter kräftigster Mithilfe von moderner Schach-Software in das wuchernde Variantengestrüpp vertiefte, umso deutlicher wurde, dass die ursprüngliche Fassung fehlerhaft war; sie enthielt eine ungewollte, wenngleich tiefverborgene Remis-Verteidigung. (Eine solche Studie wird in der Problem-Schach-Szene als „kaputt“ bezeichnet).
Für Schachprogramme unlösbar
Schach-Studien-Komponist Mihai Neghina
Die untenstehend publizierte Version ist eine minim geänderte, aber nun korrekte Fassung und darf darum füglich als eigentlicher Urdruck dieser Studie von Mihai Neghina angesehen werden.
Bemerkenswert ist, dass auch den zurzeit stärksten Computerprogrammen der „Durchblick“ in dieser Stellung hoffnungslos versagt bleibt. Denn massgeblicher Bestandteil der Stellung ist der „Zugzwang„, an dem die ansonsten omnipotenten Schach-Engines noch immer schwächeln aufgrund ihrer sog. Forward-Pruning-Programmiertechniken mittels Nullmove (PDF), auf die sie einerseits angewiesen sind, um die (ihre enorme Spielstärke wesentlich ausmachenden) grossen Zugtiefen zu erreichen, die andererseits aber in Ausnahmestellungen wie dieser immer wieder ihre entspr. Schwäche erbarmungslos aufdecken.
Es dürften also noch zwei oder drei Programm-Generationen ins Computer-Land ziehen, bevor solche Studien wie diese „Dame im goldenen Käfig“ von Schachprogrammen zweifelsfrei reproduziert werden können. ♦