Leopold Koželuch: Klavier-Sonaten Band 1

Niveauvolle Klassik für den Unterricht

von Walter Eigenmann

We­der be­züg­lich Kon­zert­re­per­toire noch hin­sicht­lich Un­ter­richts­li­te­ra­tur ist in der Kla­vier-, ja über­haupt der Mu­sik­welt der Name Leo­pold Kožel­uh (auch Kože­luch, Kot­zel­uh, Ko­ze­luch oder Kot­ze­luch) ge­läu­fig, und sein Schaf­fen war bis jetzt kaum in kom­pe­tent be­treu­ten Ge­samt­aus­ga­ben zu­gäng­lich. Dem­entspre­chend ist der 1747 in Böh­men ge­bo­re­ne und 1818 in Wien ge­stor­be­ne Kom­po­nist, wie­wohl mit 50 Kla­vier­kon­zer­ten, 30 Sin­fo­nien, 60 Kla­vier­so­na­ten, mit di­ver­sen So­lo­kon­zer­ten so­wie mit Opern, Kan­ta­ten, Bal­letts und Ora­to­ri­en sehr pro­duk­tiv, heu­te kaum mehr prä­sent im Mu­sik­be­trieb. (Und dem­entspre­chend ma­ger nimmt sich auch die ak­tu­el­le in­ter­na­tio­na­le Dis­ko­gra­phie die­ses Kom­po­nis­ten aus).
Mit der ers­ten kom­plet­ten Her­aus­ga­be von Kožel­uhs ge­sam­ten Kla­vier­so­na­ten, de­ren Er­öff­nungs­band jetzt vor­liegt, fül­len der Bä­ren­rei­ter Ver­lag (Prag) und sein hier ver­ant­wort­li­cher Edi­tor Chris­to­pher Hog­wood fär­ben also ver­dienst­voll ei­nen weis­sen Fle­cken auf der mu­si­ka­li­schen Land­kar­te Tschechiens.

Zum Bindeglied zwischen Mozart und Beethoven herabgesetzt

Kozeluch - Sonaten für Clavier - Band 1 - Bärenreiter UrtextHer­aus­ge­ber Hog­wood ord­net in sei­nem Vor­wort die mu­sik­ge­schicht­li­che Po­si­ti­on die­ses in­ter­es­san­ten Böh­men tref­fend ein: „Vie­le der lo­ben­den Wor­te, die im 18. Jahr­hun­dert über die Mu­sik Kože­luchs ge­äus­sert wur­den – sie sei rein, na­tür­lich, ge­fäl­lig, leicht usw. – wur­den bald nach sei­nem Tod ge­gen ihn ge­wen­det, als er wie Eberl, Dus­sek, Wölfl und so­gar Cle­men­ti zu ei­ner Ne­ben­fi­gur der Stars her­ab­ge­setzt wur­de, ge­nannt nur als Bin­de­glied zwi­schen Mo­zart und Beet­ho­ven (oder, für den mit der Mu­sik die­ser Zeit Ver­trau­ten, zwi­schen Wa­gen­seil und Schu­bert). So­gar sei­ne Neue­run­gen wur­den als zu­fäl­li­ge Vor­weg­nah­men von Beet­ho­ven und Schu­bert ab­ge­tan, ob­wohl er im We­sent­li­chen so­wohl ih­ren tra­gisch-pa­the­ti­schen Aus­druck an­ti­zi­pier­te (wie in den Ein­lei­tun­gen zu sei­nen So­na­ten in Moll-Ton­ar­ten), als auch das in­ter­na­tio­nal ge­prie­se­ne can­ta­bi­le-Idi­om erschuf.“

Kantabel und expressiv“

Leopold Koželuch (1747-1818)
Leo­pold Kože­luch (1747-1818)

Und Hog­wood zi­tiert dazu wei­ter das bri­ti­sche Month­ly Ma­ga­zi­ne aus dem Jah­re 1800 qua­si als Zeit­zeu­gen: „Die In­stru­men­tal­mu­sik scheint jetzt per­fek­ter zu sein als in al­len frü­he­ren Pe­ri­oden. Wenn die mo­der­nen Pia­no­for­te-So­na­ten auch nicht die Wild­heit und Ori­gi­na­li­tät von Do­me­ni­co Scar­lat­tis Cem­ba­lo-Mu­sik ha­ben, sind sie doch plan­vol­ler, me­lo­diö­ser, und in ei­ni­gen Ada­gios (be­son­ders von Kože­luch) ist die Me­lo­die so kan­ta­bel und ex­pres­siv, dass es die Voll­endung von die­ser Art Mu­sik zu sein scheint.“

Beethovens
Beet­ho­vens „tra­gisch-pa­the­ti­schen Aus­druck an­ti­zi­piert“: Ko­ze­luchs Lar­go-An­fang der 6. Kla­vier-So­na­te c-moll op. 2/3

Hoher klavierpädagogischer Wert

Zwei­hun­dert Jah­re spä­ter mag im Über­blick sol­che sti­lis­ti­sche Eu­pho­rie leicht re­la­ti­viert wer­den, doch umso hö­her ist der kla­vier­päd­ago­gi­sche Wert von Kože­luchs So­na­ten – ge­ra­de auch in der „Kon­kur­renz“ zu Cle­men­ti oder Kuh­lau – zu ver­an­schla­gen. Denn des Böh­men Kla­vier­werk ist im ei­gent­li­chen Sin­ne „klas­sisch“ zu nen­nen, in ih­rer durch­dach­ten Kon­struk­ti­on und ih­rem „ein­gäng­li­chen“ Me­los sind sie in der Tat „Mo­del­le für Nach­ah­mung und Stu­di­um“, wie Hog­wood es for­mu­liert: „Sie zei­gen prä­zi­se bis zur Per­fek­ti­on die Ei­gen­schaf­ten, die Theo­re­ti­ker für eine So­na­te am Ende des 18. Jahr­hun­derts be­schrie­ben haben.“

„In­ter­na­tio­nal ge­prie­se­nes Can­ta­bi­le-Idi­om“: Ko­ze­luchs An­fang des 2. Sat­zes der Kla­vier-So­na­te F-Dur op. 1/1

Die ge­le­gent­li­che Ver­wen­dung die­ser So­na­ten ei­nes zu Un­recht ver­ges­se­nen, meis­ter­haft kom­po­nie­ren­den Tsche­chen, und sei’s vor­wie­gend zur „prak­ti­schen An­schau­ung“ aus­ge­feilt ge­ar­bei­te­ter „klas­si­scher“ For­men (von der So­na­ten-Haupt­satz-Form übers Ron­do bis hin zur Va­ria­ti­on), ist also zu emp­feh­len – nicht zu­letzt auch als er­fri­schen­de Al­ter­na­ti­ve zu Cle­men­ti, Kuh­lau, Dussek&Co.

Zwischen Unter- und Mittelstufe angesiedelt

Wer als ambitionierter Klavierspieler einmal Bekanntschaft machen will mit einem fast vergessenen Meister, der greife zu diesen Sonaten von Leopold Koželuch. Der Bärenreiter-Band ist sauber gefertigt und mit umfangreichem Anmerkungs-Apparat versehen. Eine rundum verdienstvolle, allerdings nicht ganz billige, aber sehr willkommene Edition.
Wer als am­bi­tio­nier­ter Kla­vier­spie­ler ein­mal Be­kannt­schaft ma­chen will mit ei­nem fast ver­ges­se­nen Meis­ter, der grei­fe zu die­sen So­na­ten von Leo­pold Kože­luch. Der Bä­ren­rei­ter-Band ist sau­ber ge­fer­tigt und mit um­fang­rei­chem An­mer­kungs-Ap­pa­rat ver­se­hen. Eine rund­um ver­dienst­vol­le, al­ler­dings nicht ganz bil­li­ge, aber sehr will­kom­me­ne Edition.

Die spiel­tech­ni­schen An­for­de­run­gen sind da­bei na­tür­lich sehr un­ter­schied­lich, über­stei­gen aber nie die obe­re Mit­tel­stu­fe, de­cken in­so­fern also ein brei­tes kla­vier­päd­ago­gi­sches Feld ab. Der neue Bä­ren­rei­ter-Band ist aus­ser­dem ge­wohnt sau­ber ge­fer­tigt (inkl. hand­li­cher Buch­bin­dung), mit ei­nem in­struk­ti­ven An­mer­kungs-Ap­pa­rat ver­se­hen (Drei­spra­chi­ges Vor­wort, Kri­ti­scher Edi­ti­ons-Kom­men­tar, The­ma­ti­scher In­dex), so­wie gar­niert mit ei­ni­gem Bild­ma­te­ri­al und zahl­rei­chen au­to­gra­phi­schen Dru­cken. Ins­ge­samt eine vor­be­halt­los zu be­grüs­sen­de Edition. ♦

Leo­pold Kože­luch: Kla­vier­so­na­ten (Com­ple­te So­na­tas for Key­board) Bd. 1, 196 Sei­ten, Bä­ren­rei­ter Ver­lag, ISMN 979-0-2601-0501-0

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Kla­vier­so­na­ten auch über Han­na Bach­mann (Pia­no): Ja­nacek, Beet­ho­ven (CD)

Ein Kommentar

  1. Leo­pold Koželuh´s Mu­sik ist, was Me­lo­dik, mo­ti­vi­sche und dra­ma­ti­sche Ar­beit be­trifft, ganz voll­kom­men, (ich glau­be die­se wür­de viel bes­ser den Be­griff von Kon­zert­mu­sik als Un­ter­richts­mu­sik err­tra­gen), Gott und Herrn Edi­tor sei Dank für die­se kri­ti­sche Auszugabe!

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