Musik-Zitat der Woche von Hans Vogt

Über die Einheit von Produzent und Publikum

Hans Vogt

Es ge­hört […] zum gu­ten Ton, dass man die­je­ni­gen, die sich Mu­sik an­hö­ren und die in der Lage sind, dies kri­tisch zu tun, das heisst, sich nicht nur be­rie­seln zu las­sen, als re­ak­tio­när und min­der­wer­tig be­schimpft. Die Ab­sur­di­tät, dass man je­man­den zum Trot­tel ab­stem­pelt, weil er ei­nem et­was ab­kauft, was man ver­kau­fen möch­te (es ist un­um­gäng­lich, sich den Vor­gang rein kauf­män­nisch dar­zu­stel­len; an­ders wird das Gro­tes­ke der Si­tua­ti­on nicht er­sicht­lich), löst so­fort As­so­zia­tio­nen an Brecht aus: ‚Das Volk ist schlecht, schaf­fen wir also das Volk ab.‘

Hier­auf sei er­wi­dert: Un­ser Pu­bli­kum ist viel bes­ser, klü­ger, kri­ti­scher und in­stinkt­si­che­rer, als man es wahr­ha­ben will. Es ver­mag sehr wohl zwi­schen äs­the­ti­schem Ob­jekt und pre­di­gen­der Be­leh­rung zu un­ter­schei­den. Es weiss auch, dass Mu­sik heu­te an­ders klin­gen muss als zu Zei­ten Mo­zarts. Und wenn ihm zu je­ner der Zu­gang noch ver­sperrt ist, so ist die Zahl de­rer, wel­che die­sen Zu­gang zu ge­win­nen wün­schen, grös­ser als ge­mein­hin an­ge­nom­men wird.

Hans Vogt (1911-1992)
Hans Vogt (1911-1992)

Dass die Ein­heit Pro­du­zent-Pu­bli­kum sich bis­her sel­ten er­eig­net, ist Tat­sa­che, je­doch kein An­lass zur Re­si­gna­ti­on. Die An­nah­me, dass dies in frü­he­ren Epo­chen we­sent­lich an­ders ge­we­sen sei, ist wohl ein Ro­man­ti­zis­mus. Auch die ‚Mat­thä­us­pas­si­on‘ war nicht für je­der­mann ge­schrie­ben. Wer ihre Qua­li­tät er­ken­nen, ihr ge­recht wer­den woll­te, hat­te sich dar­um zu be­mü­hen. Er hat­te geis­tig wach und kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig zu sein, muss­te zu­hö­ren kön­nen. Wol­len wir be­haup­ten, dass es so et­was heu­te nicht mehr gäbe?“ ♦

Aus Hans Vogt: Neue Mu­sik seit 1945, Re­clam Ver­lag 1982

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