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Selbstverlegen im Wandel der Zeit
von Walter Eigenmann
Er nennt sich selber einen “Paradiesvogel der Kulturszene”, hat mehr als 40 Bücher über zahlreiche heterogene Themen geschrieben und war in den 1980-er Jahren ein Pionier des Selfpublishing: Der Berliner Kultur-Journalist, Autor, Verleger und KI-Künstler Ruprecht Frieling (aka “Prinz Rupi”). Im GLAREAN-Interview blickt er zurück auf seine 43-jährige Karriere als Enfant terrible, als Innovator und als Zeitgeist-Chronist.
Glarean Magazin: Herr Frieling, wie geht es Ihnen aktuell? Steht alles unter einem “guten Stern” bei Ihnen?
Ruprecht Frieling: Danke der Nachfrage. Die Sterne scheinen mir wohlgesinnt zu sein. Ein Motto begleitete mich auf meinem bisherigen Lebensweg: “Folge deinem Stern”. Diesem Leitsatz bin ich mein Leben lang treu geblieben und wurde selten enttäuscht. Nach siebzig Jahren schließt sich der Kreis meines Lebens, und ich bin glücklich darüber, dass ich meinen Stern gefunden habe und ihm stets gefolgt bin.
Man sieht Sie auf Bildern oft lachen, und der Humor ist eine der öffentlichen Konstanten von “Prinz Rupi”. Gibt es auch Sachen, worüber Sie sich nie lustig machen würden?

Ruprecht Frieling: Für mich sind Kunst, Freundschaft und Humor wesentliche Säulen, an denen ich mich orientiere. In diesem Zusammenhang zählen auch meine Vorlieben für schwarzen Humor und gelegentlichen Galgenhumor.
Schwarzer Humor nutzt oft eine schockierende oder absurde Art des Humors, um die Intensität oder Schwere einer Situation zu mildern oder zu verdeutlichen, wie absurd sie ist. Galgenhumor wird oft in Situationen eingesetzt, in denen Menschen mit extremen Stress-Situationen, Tod oder Katastrophen konfrontiert sind. Der Begriff stammt aus dem Mittelalter, als Menschen in den letzten Momenten vor ihrer Hinrichtung Witz und Ironie benutzten, um ihre Ängste und Schwierigkeiten zu überwinden. Manchmal werden wir Zeugen von Extremsituationen, in denen nur ein Schuss Galgenhumor helfen kann.
Jedoch versuche ich bei Themen wie Rassismus, Sexismus, Gewalt, Diskriminierung und Mobbing stets eine respektvolle Haltung und Empathie zu bewahren, um sicherzustellen, dass niemand absichtlich oder unabsichtlich verletzt oder diskriminiert wird.
Sie waren vor ca. 40 Jahren einer der “Gründerväter” der deutschsprachigen “Selfpublishing”-Szene, Ihr Name war ein Synonym für Zuschuss-Verlage. Was war damals Ihr Beweggrund (außer natürlich das funktionierende Geschäftsmodell), als Bezahl-Verleger zu beginnen? War die Demokratisierung des Buchverlegens ein Motiv?
wurde 1952 in Bielefeld geboren. Nach Ausbildungen zum Fotograf und Redakteur war er journalistisch in West-Berlin tätig und veröffentlichte in deutschen und US-amerikanischen Magazinen.
1983 gründete er die Verlagsgesellschaft Frieling&Partner und war bald unter dem Slogan “Verlag sucht Autoren” einer der bekanntesten Selbstkosten-Verlage in Deutschland.
Seit 2006 betreibt Frieling das offene Online-Forum Literaturzeitschrift.de. Frieling ist Co-Gründer des Selfpublisher-Verbandes und bekleidet dort das Amt des Stellvertr. Vorsitzenden.
Seit einiger Zeit widmet er sich außerdem intensiv der Grafik mittels Künstlicher Intelligenz und generiert KI-Bildkompositionen. Frieling lebt in Berlin-Südende und schreibt auch unter dem Pseudonym “Prinz Rupi”.
Als ich im Jahr 1980 meinen ersten Verlag unter dem Slogan “Verlag sucht Autoren” gründete, brachte ich aus den USA das Wissen um eine dort gängige Art des Verlegens mit, die als “subsidy publishing” oder auch “vanity publishing” bekannt war. Es war offensichtlich, dass hunderte Autor*innen im deutschen Sprachraum verzweifelt nach einem Verlag suchten, aber im regulären Markt keine Chance hatten. Daher schuf ich eine verlegerische Plattform, die es ihnen ermöglichte, am Buchmarkt teilzunehmen.
Der Erfolg war unbeschreiblich: Ich wurde zum Robin Hood der Autorenszene, der den “Underdogs” ihren Platz im Buchmarkt erkämpfte. Nach zwanzig Jahren hatte ich über zehntausend Autor*innen unter Vertrag genommen, aber diese Zahl war nur die Spitze des Eisbergs derjenigen, die gerne veröffentlichen wollten. Denn damals gab es aufgrund der technischen Notwendigkeiten noch eine Bezahlschranke, die für viele Hobbyautoren unüberwindlich war.
Der SPIEGEL nannte Sie einmal “Deutschlands schillerndster Verleger”, und nicht nur für die etablierte Verlagsszene, sondern auch für die meisten Autorenverbände waren Sie jahrelang ein rotes Tuch, das öffentlich und juristisch bekämpft wurde. Erfüllt es Sie mit Genugtuung, dass heute das Selfpublishing weltweit sowohl qualitativ wie quantitativ auf Augenhöhe mit dem herkömmlichen Verlagsmodell agiert?
Ich habe immer gern polarisiert und die Rolle des Paradiesvogels im Verlagswesen gespielt. Die Welt der Bücher ist bunt und Autoren sind Künstler, die eine graue Welt in ein farbenfrohes Schlaraffenland verwandeln können.
Der SPIEGEL bezeichnete mich auch als Paradigmenpionier, denn ich war ein Vorreiter sowohl in strategischer als auch in praktischer Hinsicht. Das stieß bei Entscheidungsträgern unserer traditionell konservativen Branche allerdings auf Widerstand. Und wie es oft der Fall ist, bekommen diejenigen Prügel, die sich für Fortschritt und Veränderung einsetzen. Zum Glück habe ich ein dickes Fell und eine starke innere Überzeugung von der progressiven Entwicklung von Kultur und Gesellschaft. Diese Vision ist wahr geworden und nun drehen sich plötzlich alle Fahnen im Wind.
In welcher grundsätzlichen Weise unterscheidet sich das heutige Selbstverlegen von dessen früheren Szene?
Der Unterschied liegt vor allem in der technologischen Entwicklung. Vor vierzig Jahren wurde alles händisch gemacht: Wir setzten, layouteten, druckten, lagerten und vermarkteten die Bücher in einer Quantität von meist eintausend Exemplaren. Das war personalintensiv und entsprechend teuer.
Mit der Entwicklung des Printing-on-demand und der Digitalisierung des Verlagswesens eröffneten sich neue Möglichkeiten. Seit April 2011 lösen E-Books den Quantensprung aus, den wir heute als Selfpublishing kennen. Dabei bleibt der Selfpublisher wie ehedem ein Autor auf eigene Kosten (Umberto Eco nannte das “AEKs”), indem er die Kosten für Lektorat, Korrektorat, Layout, Design, Druck und Verbreitung seines Buches selbst übernimmt.
Oft erfindet und registriert der Autor auch ein Verlags-“Imprint”, um nach außen besser dazustehen. In diesem Kontext segeln Dienstleister wie BOD, die ähnlich wie wir damals Dienstleistungen erbringen und das Buch dem Markt zur Verfügung stellen. Aufgrund der niedrigeren Kostenschwelle eröffnet sich diesen Dienstleistern das gesamte Feld der rund einhunderttausend deutschsprachigen Hobbyautor*innen.
Hat das moderne Selfpublishing das Potential, dereinst sogar die traditionellen Verlagsmodelle zu verdrängen?

Die Bereiche wachsen ineinander und verschmelzen teilweise. Große Verlage haben recht schnell erkannt, dass Selfpublisher via Social Media Käuferschichten erschließen, die ihnen bislang unbekannt waren. Ergo graben sie die Bestsellerlisten von Amazon um und versuchen, die dortigen Topseller unter Vertrag zu nehmen. Ich kenne zahlreiche Bestsellerautoren im Selfpublishing, die gleich mehrere Angebote von Großverlagen bekamen. Wird ein Vertrag mit einem Verlag geschlossen, wird der Selfpublisher zum “Hybridautor”.
Wo liegen die Gefahren des Selbstverlegens für Autorinnen und Autoren: Bei der Qualitätssicherung? Beim Marketing? Was rät ein erfahrener Experte wie Sie der nachrückenden Generation von jungen Schreibenden hinsichtlich Veröffentlichung von Debüt-Werken?
Gefahren sehe ich in mangelnder Selbstkontrolle und einer gewissen Hybris vieler Selfpublisher hinsichtlich der eigenen Hervorbringungen. Das wird aber gewöhnlich durch den Markt reguliert, und das Gros der Selfpublisher bekommt die Einstiegskosten deshalb nicht wieder heraus. Das ist ebenso wie vor Jahrzehnten zur analogen Zeit. Eine kleine Minderheit hat es hingegen durch Fleiß, Geschick und den richtigen Content geschafft, die Herzen und Börsen der Leser zu erreichen.
Nachrückern kann ich nur empfehlen, eine genaue Marktanalyse zu betreiben und sich mit anderen Titeln im eigenen Genre vertraut zu machen. Eine erzählenswerte Geschichte sollte mit einem unverwechselbaren Titel, einem überzeugenden Cover und einem starken Klappentext versehen werden. Im potentiellen Leser ein starkes Bedürfnis zu entwickeln, ist eine hohe Kunst. Wer sie beherrscht, der wird gelesen.
“Prinz Rupi” ist zweifellos ein innovativer Kopf – neuerdings befassen Sie sich intensiv mit einem brandneuen Software-Bereich, der allerdings in der Literatur noch nicht wirklich angekommen ist: der Künstlichen Intelligenz. Welches Potential sehen sie bei der KI hinsichtlich des kreativen Schreibens?

Künstliche Intelligenzen beherrschen das Rechnen besser als wir und sind auch beim Staubsaugen effektiver. Sie sind längst Bestandteil unseres Lebens geworden. Beim Schreiben sind sie ebenfalls keine Neuheit mehr. Seit Jahren nutzen wir beispielsweise Rechtschreibprogramme, die auf KI basieren.
Durch Textaggregatoren wie ChatGPT4 und Bildgeneratoren wie Midjourney ist nun ein breites Anwendungsfeld entstanden, das die gesamte Kreativszene durcheinanderwirbeln wird. Viele Berufe fallen weg, neue werden entstehen. Überleben werden dabei diejenigen, die sich flexibel und offen den neuen Herausforderungen stellen. Untergehen werden diejenigen, die KI als Teufelswerk verdammen und sich weder damit auseinandersetzen noch weiterbilden.
Ähnlich wie bei allen technischen Innovationen seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern stirbt das Alte und es entsteht Neues. Es handelt sich dabei um einen vollkommen normalen evolutionären Prozess, der jedoch inzwischen schneller wächst als unsere menschlichen Hirne denken können.
Das eigentliche Problem (und auch die Grundlage der Angst) liegt daher in der Langsamkeit unserer menschlichen Intelligenz oder anders ausgedrückt, in der mangelnden Geschwindigkeit der Rechenprozesse, die in unserer hauseigenen Hardware ablaufen.
Aus meiner Sicht ist es deshalb nur noch eine Frage der Zeit, wann KI die Geschicke der Menschheit steuert, und ich verbinde damit sogar die Hoffnung, dass unsere Spezies damit überleben könnte, indem uns die systematische Vernichtung des Planeten durch konsequenteres Entscheiden intelligenter Systeme aus der Hand genommen wird.
Das Werkverzeichnis von Wilhelm Ruprecht Frieling liest sich als einziger Tour d’horizont durch alle Zeiten und Kulturen. Man findet bei Ihnen Themata von der DDR-Geschichte bis zum Kindermärchen, von der Freimaurer-Reportage bis zur Internet-Story “Tausend Titten tanzen Tango”. Sogar mit Opernkrimis über Wagners “Ring” erstaunen Sie. Was fasziniert Sie am Schreiben über alles denn so ungemein – über den normalen Wunsch nach Selbstdarstellung hinaus?

Das Schreiben ermöglicht mir eine wundervolle Auseinandersetzung mit der Welt und den Menschen um mich herum. Ich bin Kulturjournalist und Sachbuchautor geblieben und besitze – laut meinen Lesern – die Gabe, komplexe Zusammenhänge anschaulich zu erklären.
Diese Fähigkeit setze ich beispielsweise bei meinen Opern(ver)führern ein. Ungewöhnliche Menschen und Schicksale üben eine faszinierende Wirkung auf mich aus. Ich interviewe und porträtiere die oft eigensinnigen “Objekte meiner Begierde”. Schließlich experimentiere ich gern mit Text und nutze dazu auch bewusst die KI.
Während der Corona-Pandemie war temporär ein Anstieg der Bücher-Lesezeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sichtbar, doch der Trend zeigt wieder rasant abwärts: Unter den 18- bis 29-Jährigen lesen nur noch ca. 15 Prozent Bücher. Was meinen Sie: stirbt das Buch aus?
Obwohl der Anteil der jungen Erwachsenen, die Bücher lesen, abnimmt, gibt es immer noch viele Menschen, die Freude daran haben, gedruckte Bücher zu lesen und zu sammeln. Außerdem haben Bücher auch im digitalen Zeitalter noch eine wichtige Funktion, sei es als Quelle von Wissen, als Kunstobjekt oder als Sammlerstück.
Gleichzeitig lesen immer mehr Menschen E-Books oder hören Hörbücher, anstatt gedruckte Bücher zu lesen. Dies ist zum Teil auf die steigende Nutzung von Smartphones und Tablets zurückzuführen, die es leicht machen, digitale Bücher überall zu lesen oder zu hören. Andererseits wird diese Nutzungsart durch Flatrates begünstigt, bei denen die Buchpreisbindung keine Rolle mehr spielt.
Das traditionelle Buch wird sich durch die Entwicklung der KI verändern. Es entstehen Bücher, die zu Interaktionen einladen, die Filme und Animationen anbieten und zum direkten Mitspielen und Interagieren einladen. Ist das Buch 2.0 das digitale Buch, wird das Buch 3.0 vielleicht noch ganz andere Qualitäten bieten, beispielsweise den verstärkten Einsatz von Augmented Reality (AR). Diese Technologie ermöglicht im Gegensatz zur virtuellen Realität (VR) digitale Informationen und Objekte in die reale Welt einzufügen und so eine erweiterte Realität zu schaffen.
Während es viele Literaten Ihres Alters deutlich ruhiger angehen, treibt Sie offenbar unvermindert das Lesen und Schreiben um, u.a. auch auf Ihrer Online-Plattform Literaturzeitschrift.de. Welche größeren Projekte hat der Generalist R.F. noch in der Pipeline?

Der renommierte Filmemacher Rainer Maria Fassbinder prägte einst den schönen Satz: “Schlafen kann man, wenn man tot ist”. Mit den vielen Ideen und Aufträgen auf meinem Tisch wünsche ich mir manchmal ein zweites Leben, um all das umsetzen zu können.
So möchte ich meine Reihe der Opern(ver)führer zu sämtlichen Werken Richard Wagners abschließen und die Götterwelt unserer germanischen Vorfahren beschreibend erklären. Darüber hinaus arbeite ich an einem Porträtband über Mitglieder des 1859 gegründeten Kulturbunds Schlaraffia.
In diesem Jahr stehen noch mehrere Kunstausstellungen meiner KI-Bildkompositionen an und ich tingele mit meiner Show “Prinz Rupi erzählt den Ring”. Ich betreibe weiterhin Prinz-Rupi-Radio sowie LULU-TV und versuche mit Literaturzeitschrift.de in einem werbefreien Umfeld Bücher zu empfehlen, die abseits des Mainstreams aus der Sicht meines Teams Beachtung verdienen.
Den Rest lasse ich lieber unerwähnt, denn ich werde six feet under liegen, bevor ich meine Arbeit verwirklichen kann.
Alles gesagt ist ja nie – möchten Sie noch etwas dringend loswerden?
Ich mache es kurz und rate den Lesern dieses Interviews: Folge Deinem Stern! ♦
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Selbstverlage auch über den Cornelius Verlag: “Offener Brief über Druckzuschuss-Verlage“
Weiterführende Links:
- Selfpublishing International
- Aktionsbündnis Fairlag
- Literaturcafe – Selfpublishing
- Netzwerk Autorenrechte
- Selbstpublisher-Verband