Ada Morghe: Lost (Musik-CD)

Vielfältiges Hör-Erlebnis

von Horst-Dieter Radke

Der ers­te Hör­ein­druck bei dem neu­en Al­bum “Lost” von Ada Morg­he ver­blüfft. Was ist das? Pop, Jazz, Soul, Rock? Ge­nau ge­nom­men ist al­les ent­hal­ten und zwar so, dass nicht ein Stil alle an­de­ren über­wiegt. Oder viel­leicht doch? Bei mehr­ma­li­gem Hö­ren scheint sich der Fo­cus manch­mal et­was fest­zu­hän­gen, etwa am Soul, doch be­reits beim nächs­ten Hö­ren ver­schiebt er sich, und man meint, dass die jaz­zi­gen Ele­men­te nun doch über­wie­gen. So et­was lie­be ich: Mu­sik die sich wan­delt, oder bes­ser ge­sagt: die dem Hö­rer viel­fäl­ti­ge und va­ria­ble Hör­ele­men­te bietet.

Ada Morg­he ist die Schau­spie­le­rin Alex­an­dra Hel­mig. Oder um­ge­kehrt. Und sie ist kein Neu­ling. Das Al­bum “Lost” ist nicht ihr De­büt, son­dern be­reits ihr drittes.
In­ter­es­sant dar­an ist, wie es auf­ge­nom­men wur­de. Laut Pres­se­infos ha­ben sich Sän­ge­rin und Mu­si­ker ins Stu­dio be­ge­ben, und zwar in die Real World Stu­di­os. Ge­mein­sam soll so die Mu­sik ent­stan­den sein, die Tex­te ana­log von Ada Morg­he und Hans-Mar­tin Buff, der auch als Mu­si­ker mit­mischt, aber nicht zur Stammann­schaft zu ge­hö­ren scheint.

Homogene Musik

Ada Morghe - Lost - Musik-CDUnd wie schon ein­gangs an­ge­deu­tet: Die Mu­sik ist ho­mo­gen. Es steht nicht die Sän­ge­rin im Vor­der­grund, die von ein paar Mu­si­kern be­glei­tet wird. Man könn­te es mit der Flos­kel “Al­les ist eins” be­schrei­ben. Sän­ge­rin und In­stru­men­ta­lis­ten er­gän­zen sich. Zu­min­dest hört es sich so an. Na­tür­lich sind die Strei­cher se­pa­rat auf­ge­nom­men und der Mu­sik zu­ge­setzt wor­den und mög­li­cher­wei­se sind auch die Gast­mu­si­ker wie bei­spiels­wei­se Till Brön­ner mit dem Flü­gel­horn nach­träg­lich auf­ge­nom­men wor­den. Es kom­men noch ei­ni­ge wei­te­re Mu­si­ke­rIn­nen hin­zu, etwa Ruth Wall mit der Har­fe, die dann auch noch ei­nen Hauch kel­ti­sche Mu­sik hinzufügt.

Fragen nach dem Woher und Wohin

Der “Pro­lo­gue” ist eine vom Kla­vier do­mi­nier­te Ein­lei­tung, in die der Bass Ak­zen­te bringt, die Gi­tar­re sich ge­gen Ende ab­hebt und elek­tro­nisch ver­frem­de­te Strei­cher (oder elek­tro­nisch er­zeug­te) das ab­rup­te Ende ein­lei­ten. An­schlie­ßend be­ginnt “The Sto­ry”, die Fra­gen auf­wirft nach dem Wo­her und Wo­hin und ziem­lich pro­vo­kant das Ende lie­fert, das aber so­fort als An­fang der Ge­schich­te um­de­fi­niert wird.
“Wa­ters” wie­der plät­schert aus den Tie­fen der Mu­sik, ge­winnt aber Bo­den schon beim ers­ten Re­frain. Beim Gi­tar­ren­so­lo drängt sich das Bild von Strom­schnel­len auf, die im Kla­vier­spiel wie­der zu­rück­fin­den in den nor­ma­len Fluss­ver­lauf. Das an­schlie­ßen­de in­stru­men­ta­le “Flows” ist eher ein Aus­lau­fen, ein Zur-Ruhe-kommen.
In den mu­si­ka­li­schen Fluss kommt “Time is ours” er­neut, ein ru­hi­ger, aber rhyth­misch ak­zen­tu­iert dar­ge­bo­te­ner Song, in­dem sich Quin Oul­ton mit sei­nem Sa­xo­phon ein we­nig ein­brin­gen, lei­der aber nicht aus­spie­len kann.
Das an­schlie­ßen­de “This is me” wirft Fra­gen auf, auch was es mu­si­ka­lisch soll. Die­se Fra­gen wer­den mit “Lost” be­ant­wor­tet: Man will ver­lo­ren ge­hen. Der Song ist so­zu­sa­gen der Mit­tel­punkt des Al­bums. Be­stechend nicht nur das un­ter­kühl­te Ver­ir­ren-wol­len der Sän­ge­rin, son­dern auch das Te­le­cas­ter-Solo von Luca Bos­ca­gin im letz­te Drit­tel. Er muss­te sich nicht zu­rück­hal­ten, ver­geig­te die Chan­ce aber nicht durch all­zu aus­ufern­des Spiel. Das an­schlie­ßen­de Har­fen­so­lo von Ruth Wall schwächt das Dra­ma wie­der­um durch eine me­di­ta­ti­ve Stim­mung et­was ab.

Everything is everything

Ada Morghe - Alexandra Helmig - Glarean Magazin
Alex­an­dra Hel­mig aka Ada Morg­he (geb. 1975)

Nur mit Stim­me und Kla­vier be­ginnt der Song “Here Now”. In den ge­summ­ten Re­frain­tei­len kom­men Back­ing-Vo­cals hin­zu, zum Schluss drängt sich die Gi­tar­re her­vor. Ich kann mir vor­stel­len, wie die­ser Song im Stu­dio ent­stan­den ist, in ei­ner ru­hi­gen Mi­nu­te, als alle ihre In­stru­men­te weg­ge­legt ha­ben und sich ei­nen Kaf­fee ho­len gin­gen, die Sän­ge­rin sich ans Kla­vier setz­te und aus viel­leicht vor­han­de­nem Text und spon­ta­nen Ak­kor­den die Me­lo­die her­vor hol­te; die An­de­ren, zu­rück­ge­kehrt mit dem hei­ßen Ge­tränk, mit­summ­ten und schließ­lich der Gi­tar­rist sein In­stru­ment nahm und den Song aus­klin­gen ließ. Ver­mut­lich ist das al­les viel ra­tio­na­ler ab­ge­lau­fen, aber zu­min­dest die­se Vor­stel­lung passt gut zu dem Text. “Ich möch­te, dass du weißt, dass ich jetzt hier bin”, singt Ada Morg­he, und ja, das ist al­len Hö­rern klar.
Der nächs­te Song “Ever­y­thing is ever­y­thing” nimmt dann wie­der Fahrt auf, bleibt aber in der Sum­me ver­hal­ten, wie der Text auch (“al­les wird es sein am Ende”).
“Fire calls” scheint an­fäng­lich nur zu fla­ckern, be­ginnt dann aber nach und nach zu bren­nen (“Wenn dein Feu­er ruft … Lass mich blu­ten”). Doch so rich­tig star­kes Feu­er kommt nicht auf.

Poetische Sehnsucht nach anderen Leben

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At this place” ist mit sechs Mi­nu­ten der längs­te Song auf die­sem Al­bum, mu­si­ka­lisch der viel­fäl­tigs­te, vom Text her der rät­sel­haf­tes­te. Es gibt an die­sem Platz nichts zu se­hen, zu hö­ren, zu füh­len. Zu­min­dest nichts, was man nicht schon ge­se­hen, ge­fühlt oder ge­hört hat. Und doch soll sich an die­sem Ort die See­le in Licht auf­lö­sen, der Name in Klang und al­les mit Schön­heit ge­schrie­ben sein. Kaum ver­stan­des­mä­ßig zu fas­sen, was da ge­sagt und ge­sun­gen wird, aber un­end­lich poe­tisch und ein we­nig wie ein Zen-Koan. Ma­che je­der selbst dar­aus, was es ihm gibt. Die Mu­sik je­den­falls passt un­glaub­lich gut dazu, das Flü­gel­horn­spiel von Til Brön­ner zeigt noch ganz an­de­re Fa­cet­ten, als der Text lie­fern kann.
“We are one” be­ginnt fun­ky, un­ge­wöhn­lich für ei­nen letz­ten Ti­tel auf ei­nem Al­bum, aber hier pas­send und rich­tig. Der Text ge­fällt mir am bes­ten von al­len. Ein Le­ben sehnt sich nach an­de­ren Le­ben – das ist schön ge­sagt. Da­für über­hö­re ich gnä­dig die nächs­ten Zei­len und be­rau­sche mich an der Stun­de, die nie pünkt­lich ist, und an der Ge­schich­te, die eine an­de­re Ge­schich­te beginnt.

Überragende Lied-Texte

Die Tex­te sind viel­leicht kei­ne Ly­rik, die für sich al­lei­ne ste­hen kann, aber ge­kop­pelt mit der Mu­sik pas­sen sie und über­ra­gen tau­sen­de an­de­re ge­wöhn­li­cher Songs, die sich in All­ge­mein­plät­zen oder Herz&Schmerz ergehen.
Wenn viel­leicht et­was stört, ist es die doch et­was stark mit Hall un­ter­leg­te Stim­me der Sän­ge­rin und die manch­mal zu doll auf­ge­leg­ten Add-Ons, etwa der Strei­cher. Das hät­te die Mu­sik nicht nö­tig ge­habt. An­de­rer­seits do­mi­niert es das Al­bum auch nicht, so dass man es ak­zep­tie­ren kann.

Fa­zit: “Lost” von Ada Morg­he ist ein un­ge­wöhn­li­ches Al­bum, das sich nicht ein­deu­tig ka­te­go­ri­sie­ren lässt – ein Al­bum, in dem die Sän­ge­rin Ada Morg­he zwar im Mit­tel­punkt steht, die Mu­si­ker aber mit ih­ren Bei­trä­gen min­des­tens gleich wich­tig sind, und nicht nur, weil sie selbst am Ent­ste­hen der Mu­sik be­tei­ligt wa­ren. Un­be­ding­te Kauf­emp­feh­lung, wenn man Mu­sik hö­ren möch­te, die sich nicht so schnell abnutzt. ♦

Ada Morg­he: Lost – Mu­sik-CD, 41 Mi­nu­ten, Lal­a­beam Re­cords (Bro­ken Si­lence) 2023


 

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