Steffen Wolf: Der Vogelsang – Rezitationsmusik (CD)

Kongeniales Zusammenspiel von Wort und Ton

von Christian Busch

Chris­toph Mar­tin Wie­lands Vers­dich­tung „Der Vo­gel­sang“ aus der Zeit der Spät­auf­klä­rung liegt nun in ei­ner span­nen­den Re­zi­ta­ti­on mit mo­der­ner Ton­un­ter­ma­lung von Stef­fen Wolf vor. Wer et­was Schö­nes hat, ver­dient es zu ha­ben, nur dann, wenn er auch ver­steht, es zu ge­brau­chen – heißt: durch Ge­nuss zu würdigen.

Das Motiv des Singvogels

Steffen Wolf - Der Vogelsang - Rezitationsmusik für Sprecher und Streichquartett nach WielandWas bist denn du für ein Vo­gel?“, fragt Prinz Ta­mi­no in Mo­zarts „Zau­ber­flö­te“ ver­dutzt, als er – ge­ra­de erst von den drei Da­men vor der lis­ti­gen Schlan­ge ge­ret­tet – auf eine ihm fremd­ar­tig er­schei­nen­de Ge­stalt, den fröh­lich träl­lern­den Vo­gel­fän­ger Pa­pa­ge­no trifft. Und so ist so man­cher un­ver­stan­de­ne Künst­ler als ex­zen­tri­scher Vo­gel ein­ge­stuft wor­den, ob­wohl wir ja spä­tes­tens seit La Fon­tai­nes Fa­beln wis­sen, dass Vö­gel nicht ein­fach brot­lo­se Künst­ler, son­dern Trä­ger schön­geis­ti­gen Kul­tur­guts sind.

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Auch Chris­toph Mar­tin Wie­lands Vers­dich­tung „Der Vo­gel­sang oder Die drey Leh­ren“ (1778) er­zählt von ei­nem wun­der­sa­men, be­tö­rend schön sin­gen­den Vo­gel, der im pa­ra­die­si­schen Gar­ten des rei­chen Hans die Na­tur in vol­lem Glanz er­blü­hen lässt. Doch lei­der sind Kunst­ver­ständ­nis und die Emp­fäng­lich­keit bei sei­nem feis­ten Be­sit­zer nicht ent­wi­ckelt („Doch dass er was emp­fun­den hät­te, / Das war nun sei­ne Sa­che nicht“).
Und so en­det die fa­bel­ar­ti­ge Vers­dich­tung mit dem Ver­schwin­den des gro­ßen Künst­lers und dem Ver­küm­mern der idyl­li­schen Gar­ten­land­schaft, wel­che sei­nem Be­sit­zer auch nur un­ver­dient zu­ge­fal­len war. Die Mo­ral: Wem der fei­ne Sinn für die Schön­heit der Kunst fehlt, dem hel­fen auch Reich­tum, Glück und Wohl­stand nicht – sein Da­sein muss ver­küm­mern. So weit, so gut.

Aufklärung und Moderne

Prinz Tamino mit der Zauberflöte - Oper von Mozart - Glarean Magazin
Prinz Ta­mi­no mit der Zau­ber­flö­te, nach Mo­zarts gleich­na­mi­ger Oper

Der Mu­si­ker und Ge­sangs­päd­ago­ge Stef­fen Wolf (*1970) hat nun zu Wie­lands fein­sin­nig ge­wo­be­ner Vers­dich­tung eine Re­zi­ta­ti­ons­mu­sik für ei­nen Spre­cher (hier: kein ge­rin­ge­rer als der be­deu­ten­de Wie­land-For­scher Jan Phil­ipp Reemts­ma) und Streich­quar­tett (Kizu­na-Quar­tett) kom­po­niert. Die Auf­nah­me ist als CD bei Tyx­art er­schie­nen und lässt auf­hor­chen, wenn auf­klä­re­ri­sche Li­te­ra­tur und zeit­ge­nös­si­sche Ton­spra­che eine span­nen­de Ver­bin­dung eingehen.

Gelungenes Konzept von Wort und Tonsprache

Christoph Martin Wieland - Glarean Magazin
Dich­ter, Über­set­zer, Her­aus­ge­ber, Auf­klä­rer: Chris­toph Mar­tin Wie­land (1733-1813)

Wie­lands poe­ti­sche Na­tur­schil­de­rung, sei­ne Iro­nie, sein Wort­witz und das Streit­ge­spräch zwi­schen dem tum­ben Hans und dem sub­ver­si­ven Zau­ber­vo­gel wer­den von den In­stru­men­ten um­rahmt und un­ter­malt. Zu­nächst stellt Wolf dem Er­zähl­text eine viel­schich­ti­ge Art Ou­ver­tü­re vor­an, in dem der Kon­flikt zwi­schen dem rei­chen Hans und dem Vo­gel-Bel­can­to an­klingt. In der viel­deu­tig und ver­hei­ßungs­voll klin­gen­den, etwa fünf­mi­nü­ti­gen Ein­lei­tung ver­schmel­zen die ge­gen­sätz­li­chen Po­si­tio­nen zu ei­nem über­zeit­li­chen Di­lem­ma, das der Kom­po­si­ti­on Ak­tua­li­tät verleiht.

Spannende Korrespondenz

In der Fol­ge ent­wi­ckelt sich ein ge­schick­ter, span­nungs­vol­ler Dia­log von Wort und Ton. Wolf wi­der­steht da­bei der Ver­su­chung, den Vo­gel Lied­haf­tes dar­bie­ten zu las­sen, son­dern bleibt bei sei­ner, sich dem Text un­ter­ord­nen­den, of­fe­nen, mo­der­nen Ton­spra­che treu. Tän­ze­risch leicht, dra­ma­tisch dumpf – mal pas­sen sich die Töne dem Sprech­rhyth­mus des Re­zi­ta­tors an, mal ver­stär­ken sie die Af­fek­te oder wir­ken ton­ma­le­risch, in­dem sie die Vor­stel­lungs­kraft des Le­sers unterstützen.
Das Kizu­na-Quar­tett mu­si­ziert fül­lig-klang­prä­sent und doch prä­zis, kon­tras­tiert den Spre­cher mit auf­trump­fen­den Ein­wür­fen oder un­ter­malt ly­risch und sehr em­pa­thisch. Wort und Klang kor­re­spon­die­ren da­bei span­nend. Wolfs Ton­spra­che ist zwar „mo­dern“, har­mo­nisch aber nicht ex­trem dis­so­nant, son­dern nach­voll­zieh­bar das li­te­ra­ri­sche Ge­sche­hen un­mit­tel­bar „er­klä­rend“.

Generalprobe zu "Vogelsang" (Wieland) mit Komponist Steffen Wolf (stehend), Sprecher Jan Philipp Reemtsma (links) und dem Kizuna-Streichquartett in der Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Julia Hauck)
Ge­ne­ral­pro­be zu „Der Vo­gel­sang“ (Wie­land) mit Kom­po­nist Stef­fen Wolf (ste­hend), Spre­cher Jan Phil­ipp Reemts­ma (links) und dem Kizu­na-Streich­quar­tett in der Elb­phil­har­mo­nie Ham­burg (Foto: Ju­lia Hauck)

Ein ge­lun­ge­nes Kon­zept! So wird dann auch ein ver­ges­se­ner Text wie­der le­ben­dig und als Plä­doy­er für äs­the­ti­sche Bil­dung selbst zu ei­nem höchst ex­qui­si­ten Kunstgenuss.
Bleibt zu wün­schen, dass sich das ro­man­ti­scher Tra­di­ti­on ver­pflich­te­te Mo­dell in Zu­kunft auch auf an­de­re li­te­ra­ri­sche, in Ver­ges­sen­heit ge­ra­te­ne Wer­ke über­tra­gen lässt. ♦

Stef­fen Wolf: Der Vo­gel­sang – Re­zi­ta­ti­ons­mu­sik für Spre­cher und Streich­quar­tett zu Chris­toph Mar­tin Wie­lands Vers­dich­tung „Der Vo­gel­sang oder Die drey Leh­ren“, Jan Phil­ipp Reemts­ma, Kizu­na-Streich­quar­tett, TyX­art La­bel, 47 Minuten

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Streich­quar­tett auch über Pa­vel-Haas-Quar­tet: Pro­ko­fiew – Streich­quar­tet­te 1 & 2

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