M. Schäfer & M. Ungureanu: Hommage à Dinu Lipatti

Losgelöst von jeder Erdenschwere“

von Jakob Leiner

Mit sei­ner jüngst er­schie­ne­nen „Hom­mage à Dinu Li­pat­ti“ ge­lang dem Duo Mar­kus Schä­fer (Te­nor) und Mi­hai Un­gu­rea­nu (Kla­vier) eine Ein­spie­lung von mu­si­ka­li­scher wie his­to­ri­scher Bedeutung.

Hommage a Dinu Lipatti - George Enescu - Violeta Dinescu - Dinu Lipatti - Markus Schäfer, Mihai UngureanuMit ei­ner ver­klär­ten, von chro­ma­ti­schen Par­al­lel­be­we­gun­gen un­ter­leg­ten Me­lo­die im Kla­vier be­ginnt der Lie­der­zy­klus „Cinq Chan­sons de Ver­lai­ne“, ein­ge­lei­tet von der So­nett-Ver­to­nung „À une femme“ aus den „Poè­mes Sa­tur­ni­ens“. Bald weicht der zar­te tre­mo­lie­ren­de An­fangs­ges­tus ei­ner ge­wis­sen me­lo­diö­sen Bru­ta­li­tät, von den bei­den In­ter­pre­ten wun­der­bar ent­wi­ckelt. Gro­ße Be­wegt­heit, Ei­fer­sucht und in­ne­res Dra­ma wer­den über eine er­wei­ter­te To­na­li­tät aus­ge­drückt, nur um in der vier­ten Stro­phe in rei­ne An­be­tung zu ver­fal­len. Es ist das Zer­ren ei­nes Ver­lieb­ten, der sei­ner Muse aus­ge­lie­fert ist wie ein Sucht­kran­ker, und eine be­mer­kens­wer­te Ver­to­nung des Stoffs.

Der Pianist als Komponist

Dinu Lipatti - Klavier - Glarean Magazin
„Los­ge­löst von je­der Er­den­schwe­re“: Li­pat­ti wäh­rend sei­nes le­gen­dä­ren letz­ten Re­ci­tals 1950 in Besancon/F

Dinu Li­pat­ti – Dinu ist die Ko­se­form von Con­stan­tin – wird bis heu­te in sin­gu­lä­rer Ei­nig­keit als ei­ner der gro­ßen Pia­nis­ten des 20. Jahr­hun­derts be­wun­dert. Be­kannt ist das Wort Ka­ra­jans über ihn: „Es war nicht mehr Kla­vier­spiel, es war Mu­sik, los­ge­löst von je­der Erdenschwere“.
Ne­ben sei­ner ruhm­rei­chen kon­zer­tan­ten Kar­rie­re trat sein kom­po­si­to­ri­sches Schaf­fen al­ler­dings doch in den Hin­ter­grund. Mit die­ser Auf­nah­me wird also mu­sik­his­to­ri­sche Auf­ar­bei­tung be­trie­ben und das Bild des tra­gisch-früh ver­stor­be­nen ru­mä­ni­schen Künst­lers da­mit viel­fäl­ti­ger und echter.
In „Le Pia­no qui bai­se une main frê­le“ (Das Kla­vier, das eine schma­le Hand küsst) nimmt ein be­rü­cken­der Dia­log zwi­schen den bei­den In­ter­pre­ten sei­nen An­fang. Durch ei­gen­stän­di­ge Deu­tungs­rol­len, die Li­pat­tis teils freie Text­in­ter­pre­ta­tio­nen ab­bil­den, und eine dem ge­stei­ger­ten Rea­lis­mus zu­ge­neig­ten Ton­spra­che wird der „fei­ne, un­si­che­re Re­frain“ Ver­lai­nes noch­mals du­pli­ziert. Die hier om­ni­prä­sen­te An­for­de­rung ei­ner hoch­ge­hal­te­nen Fle­xi­bi­li­tät in Aus­druck und Tech­nik er­fül­len Schä­fer wie Un­gu­rea­nu auf be­mer­kens­wer­te Weise.

Quatre Mélodies“ von Dinu Lipatti

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Der zwei­te zu Leb­zei­ten voll­ende­te Lie­der­zy­klus Li­pat­tis, die „Quat­re Mé­lo­dies“, ba­sie­ren auf Tex­ten von Ar­thur Rim­baud, Paul Va­lé­ry und Paul Éluard. Hier trifft her­me­tisch-sur­rea­lis­ti­sche Dich­tung auf eine re­du­zier­te­re mu­si­ka­li­sche Aus­ge­stal­tung. So ist der Kla­vier­part deut­lich zu­rück­ge­nom­men und fun­giert mit wie­der­keh­ren­den rhyth­mi­schen Zel­len als post-im­pres­sio­nis­tisch zu ver­or­ten­de Ba­sis. In „Les pas“ (Die Schrit­te) ent­wi­ckelt Schä­fers ein­dring­lich tas­ten­de Stimm­füh­rung eine ge­ra­de­zu bann­haf­te Wir­kung, von be­klem­men­den Ach­tel­be­we­gun­gen im Kla­vier ge- bwz. ver­lei­tet: Die alb­traum­haf­te Sze­ne­rie ei­nes zum Lau­schen Ver­damm­ten tut sich auf.

Markus Schäfer - Tenor - Glarean Magazin
Te­nor Mar­kus Schäfer

Ge­för­dert wur­de Dinu Li­pat­ti (1917-1950) un­ter an­de­rem von ei­nem Lands­mann in­ter­na­tio­na­ler Be­kannt­heit: Ge­or­ge En­es­cu. Des­sen „Sept Chan­sons de Clé­ment Ma­rot“ be­rei­chern die Auf­nah­me um eine Rei­he au­ßer­ge­wöhn­li­cher Stim­mungs­bil­der. Lau­ten­ähn­li­che Ar­peg­gio- und Ak­kord­fol­gen in der Kla­vier­be­glei­tung un­ter­ma­len die Re­nais­sance-Tex­te, die min­ne­ty­pisch das Lei­den ei­nes Lieb­ha­bers be­han­deln und von Schä­fer an­ge­mes­sen af­fekt­reich teils ge­sun­gen, teils qua­si-re­zi­tiert werden.

Sphärisches Melodrama von Violeta Dinescu

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Die Klam­mer um die Stü­cke auf die­ser kurz­wei­li­gen CD bil­det Vio­le­ta Di­nes­cus Ge­sangs­sze­ne „Mein Auge ist zu al­len sie­ben Sphä­ren zu­rück­ge­kehrt…“ – ei­ner­seits als Hom­mage an Li­pat­tis 100. Ge­burts­tag, an­de­rer­seits als aus­kom­po­nier­ter En­es­cu-Be­zug. Als Text­grund­la­ge dien­te der 1953 in Bu­ka­rest ge­bo­re­nen und heu­te an der Uni­ver­si­tät Ol­den­burg leh­ren­den Künst­le­rin Dan­te Ali­ghie­r­is „Gött­li­che Ko­mö­die“ aus dem frü­hen 14. Jahrhundert.
Das knapp 17-mi­nü­ti­ge Werk be­sticht durch sei­nen me­lo­dra­ma­ti­schen Cha­rak­ter und die mehr­di­men­sio­na­le Ver­ar­bei­tung der „pa­ra­die­si­schen“ Ver­se. Die ex­pres­si­ve sän­ge­ri­sche Im­pro­vi­sa­ti­on durch auf­tak­ti­ge und ins Un­end­li­che fra­gen­de Wort­me­lo­dien bei fast or­ches­tra­ler Kla­vier­be­glei­tung ge­lingt dem Duo Schäfer/Ungureanu auch hier der­art aus­ge­wo­gen und auf­ein­an­der ab­ge­stimmt, dass der Hör­ge­nuss zu­ver­läs­sig über die Zeit trägt. Al­les in al­lem ein pro­gram­ma­tisch wie mu­si­ka­lisch fas­zi­nie­ren­des Album! ♦

Mar­kus Schä­fer (Te­nor) & Mi­hai Un­gu­rea­nu (Kla­vier): Hom­mage à Dinu Li­pat­ti, Au­dio-CD, 54 Min, La­bel Drey­er Gai­do 2021

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Lied-Kom­po­si­tio­nen auch über „Bright Is The Ring Of Words“ für Ba­ri­ton & Klavier

… so­wie über Ri­kard Nord­raak: Songs and Pia­no Mu­sic (CD)

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