Birgit Fuß: Jim Morrison (Musiker-Biographie)

Aspekte einer kreativen Seele

von Horst-Dieter Radke

An­fangs Juli 1971: Ich saß mit ei­nem Freund in ei­nem eng­li­schen Cafe nicht weit ent­fernt der St. Pauls Ca­the­dral. Wir hat­ten es wahr ge­macht, wa­ren nach Lon­don ge­trampt, bei­de noch kei­ne acht­zehn Jah­re alt. We­ni­ge Mi­nu­ten zu­vor hat­te ich mir noch den Me­lo­dy Ma­ker ge­kauft, dann un­be­se­hen zu­sam­men­ge­rollt un­ter den Arm ge­klemmt. Als ich die Zei­tung spä­ter auf­schlug, der Schock: Jim Mor­ri­son war tot. In Pa­ris ge­stor­ben. Wie und war­um? Ge­nau­es wuss­te man noch nicht. „This ist the End“, dach­ten wir. Nach Jimi Hen­drix und Ja­nis Jop­lin im Jahr zu­vor nun auch noch er…

Waren „The Doors“ nur einer?

Birgit Fuss: Jim Morrison (biografía del músico)Es ist seit­her üb­lich, die Band „The Doors“ auf ih­ren Front­mann zu re­du­zie­ren, selbst in Bü­chern, die sich der gan­ze Trup­pe wid­men. Tat­säch­lich ka­men die rest­li­chen Mu­si­ker zu­sam­men auf kei­nen grü­nen Zweig mehr. Die Al­ben, die nach Mor­ri­sons Tod er­schie­nen, hat­ten kei­nen Er­folg und wer­den bis heu­te nicht ge­schätzt. Das Büch­lein aus der Rei­he „100-Sei­ten“ des Re­clam-Ver­la­ges tut kon­se­quen­ter­wei­se auch gar nicht mehr so, als gin­ge es um das Quar­tett „The Doors“, son­dern eben­falls nur um Jim Morrison.
Fai­rer­wei­se wid­met Bio­gra­phin Bir­git Fuß ihr drit­tes Ka­pi­tel – „We Could Be So Good Tog­e­ther“ – der gan­zen Band, und das vier­te – „Break on Th­rough (to the Other Side)“ – de­ren sie­ben Al­ben. Au­ßer­dem lässt sie kei­nen Zwei­fel dar­an, dass Mor­ri­son ohne die an­de­ren Drei si­cher auf kei­nen grü­nen Zweig ge­kom­men wäre. Zu je­ner Zeit, als die Band ge­grün­det wur­de, war er nur ein Rum­hän­ger, der sich für et­was Be­son­de­res hielt, was ihn da­mals si­cher nicht von an­de­ren Aus­stei­gern un­ter­schie­den hat. Ray Man­za­rek war es im Grun­de, der die „ge­spann­te Bo­gen­seh­ne“ losließ.

Die Liebe und das Spirituelle

"Wallendes Haar, dunkle Stimme, Ekstase auf der Bühne": Jim Morrison (1943-1971)
„Wal­len­des Haar, dunk­le Stim­me, Ek­sta­se auf der Büh­ne“: Jim Mor­ri­son (1943-1971)

Gleich­wohl, der Sän­ger und Dich­ter Mor­ri­son ist das An­lie­gen der Au­torin, und so steht er im Mit­tel­punkt der an­de­ren Ka­pi­tel: Dem zwei­ten, in dem sein Wer­de­gang vor den Doors ge­schil­dert wird, und dem fünf­ten, in dem es um „Die Lie­be“ geht. Ein wei­te­res Ka­pi­tel geht nä­her auf den Dich­ter und sei­nen Be­zug zum Spi­ri­tu­el­len ein –“I am the li­zard king / I can do any­thing“, zwei The­men, die all­zu­oft in den Hin­ter­grund rü­cken, wenn über The Doors be­rich­tet wird.
Bei die­sem The­ma scheint die Au­torin denn auch die größ­te Kom­pe­tenz zu ha­ben. Man merkt, sie hat sich aus­rei­chend mit Mor­ri­son und sei­nen Tex­ten be­schäf­tigt, auch mit sei­nen Vor­bil­dern Wil­liam Bla­ke, Fried­rich Nietz­sche, Ar­thur Rim­baud und die Au­toren der Beat-Ge­ne­ra­ti­on, al­len vor­an Jack Ke­rouac.

Verschiedene Aspekte einer kreativen Seele

Modelo literario de Morrison: el autor de culto Jack Kerouac
Li­te­ra­ri­sches Mor­ri­son-Vor­bild: Kult­au­tor Jack Kerouac

Ein Ka­pi­tel be­schäf­tigt sich mit den Skan­da­len. Es ist viel­leicht das ent­behr­lichs­te, aber ich mei­ne, es ist auch nicht ver­kehrt, dass sie er­wähnt wer­den. In der Sum­me und auch je­der ein­zel­ne Vor­fall im De­tail zeigt, wie über­be­wer­tet der­ar­ti­ges in den 60ern ge­nom­men wur­de – von bei­den Sei­ten. Be­trach­tet man, was sich manch an­de­re Rock­mu­si­ker nach Mor­ri­son so ge­leis­tet ha­ben, kommt man eher zu dem Schluss, dass er doch ein bra­ver Jun­ge war. Aus heu­ti­ger Sicht. In den Sech­zi­gern je­doch bar­gen sei­ne Es­ka­pa­den ei­ni­ges an Sprengstoff.

This Is The End

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Das letz­te Ka­pi­tel be­schäf­tigt sich aus­führ­lich mit dem Tod Mor­ri­sons – „This ist the end / Beau­tiful fri­end“. Das Trau­ri­ge zum Schluss. Viel Neu­es wird nicht be­rich­tet, die Au­torin weiß auch nicht mehr, als oh­ne­hin be­kannt ist. Aber sie fasst es gut zu­sam­men. Und sie hat Fra­gen, die sie Jim Mor­ri­son gern ge­stellt hät­te. Ver­teilt über das Buch stellt sie die­se und ver­sucht sich an ei­ner Deu­tung. Ant­wor­ten hat sie na­tür­lich nicht. So et­was ge­rät leicht in ein un­kri­ti­sches Fangesäusel.
Die­ses Fett­näpf­chen um­geht Bir­git Fuß je­doch ge­schickt. Ich war an­fangs ver­sucht, die­se Tei­le des Bu­ches ein­fach zu über­ge­hen. Nach­dem ich mich über­wun­den hat­te, den ers­ten von vier Ab­schnit­ten zu le­sen, muss­te ich bei den fol­gen­den nicht wei­ter dar­über nach­den­ken. Es sind per­sön­li­che Re­fle­xio­nen – aber kei­nes­wegs un­in­ter­es­sant für Leser.

Schwachstelle Musik

We­nig ver­steht die Au­torin al­ler­dings von der Mu­sik. Auf die­se wird eher ober­fläch­lich ein­ge­gan­gen. Es ver­wun­dert sie, wenn Songs nicht von Mor­ri­son stam­men, und über­sieht da­bei den nicht un­er­heb­li­chen An­teil der an­de­ren drei Mu­si­ker von An­fang an. Den Ein­satz von Blä­sern und Strei­chern auf dem Al­bum „The Soft Pa­ra­de“ – dem wohl ex­pe­ri­men­tells­ten der Doors – miss­bil­ligt sie so­gar: „… und nun er­tön­ten schon in den ers­ten Mi­nu­ten Fan­fa­ren, die hier kein Mensch braucht.“ Das ist si­cher kei­ne Ein­zel­mei­nung. Vie­le hät­ten es im­mer ger­ne ge­ra­de­aus und gleich: Blues­ori­en­tier­ter Rock in Quar­tett­be­set­zung ohne Ab­wei­chung nach links und rechts. So gilt die­ses Al­bum nach wie vor als das schwächs­te der Doors.

Mehr Dichter als Komponist

The Doors - Concierto de Filadelfia 1968 - Revista Glarean
Skan­dal­um­wit­tert: Doors-Kon­zert 1968 in Philadelphia

Doch es gibt auch an­de­re Sicht­wei­sen dazu, ins­be­son­de­re un­ter der Be­rück­sich­ti­gung, dass „The Doors“ zu je­ner Zeit kaum noch Auf­tritts­mög­lich­kei­ten be­ka­men – der Skan­da­le we­gen. Das letz­te, ti­tel­ge­ben­de Stück, ein Zu­sam­men­schnitt ver­schie­de­ner Stü­cke oder Frag­men­te, mehr Ly­rik denn Song, zeigt schon in der Ein­lei­tung, die Man­za­rek mit ei­nem Spi­nett (oder ei­ner elek­tro­ni­schen Va­ri­an­te) be­ginnt, al­les das, was die Doors da­mals mu­si­ka­lisch auf­zu­bie­ten hat­ten, auch ihre be­reits an Hard­rock ge­mah­nen­den Mo­men­te. Zwei Stü­cke gel­ten nach wie vor als Klas­si­ker und feh­len in kei­ner Kom­pi­la­ti­on: „Touch me“ (von Rob­bie Krie­ge) und „Wild Child“ (von Morrison).
Doch Mor­ri­son war, bei al­ler me­lo­di­schen Er­fin­dungs­ga­be mehr Dich­ter als Kom­po­nist, und was die an­de­ren der Band in die­ser Hin­sicht leis­te­ten, ist ein an­de­res The­ma. In­so­fern ist die­ses Man­ko im Grun­de kei­nes für die­ses Buch über ihn.

Noch ein Buch über Jim Morrison?

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Fa­zit: Noch ein Buch über Mor­ri­son-The-Doors? Soll man es le­sen? Ich mei­ne: War­um nicht?! Spek­ta­ku­lä­res Neu­es er­fährt man nicht, und viel­leicht ist man­ches (etwa die Mu­sik) et­was zu stief­müt­ter­lich be­han­delt. Aber in der Sum­me ist es gut, und selbst wenn man schon ei­ni­ges ge­le­sen hat, ist die­ses klei­ne Büch­lein nicht nur zur Auf­fri­schung der Er­in­ne­run­gen, son­dern auch noch für Über­ra­schun­gen gut, etwa im Ka­pi­tel über den „Dich­ter“ Mor­ri­son. Man liest nicht lan­ge dar­an, ei­nen oder zwei Aben­de, wenn man nicht der Ver­su­chung un­ter­liegt, das Buch aus der Hand zu le­gen und die al­ten Plat­ten (oder CDs) aufzulegen. ♦

Bir­git Fuß: Jim Mor­ri­son (Bio­gra­phie), 100 Sei­ten, Re­clam Ver­lag, ISBN 978-3150205761

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