Julia Kohli: Menschen wie Dirk (Short Storys)

Literarische Vignetten vom Feinsten

von Alexandra Lavizzari

Sie­ben Sto­rys legt die Win­ter­thu­rer Schrift­stel­le­rin und Kul­tur­pu­bli­zis­tin Julia Kohli in ihrem zwei­ten Buch vor. Es sind dies kurze Moment­auf­nah­men von “Men­schen wie Dirk” in einer Kri­sen­si­tua­tion, Män­nern wie Frauen, und aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven erzählt: Ein Hammer!

Mein ers­ter Gedanke, nach­dem ich die letzte Story zu Ende gele­sen hatte, war: Ach, warum sind es nur sie­ben Geschich­ten, jetzt bin ich doch so rich­tig in Fahrt und würde mir fürs Leben gern wei­tere sie­ben Geschich­ten zu Gemüte füh­ren. Und mein zwei­ter Gedanke war: gleich ein zwei­tes Mal lesen und beson­ders auf die herr­li­chen, scho­ckie­ren­den, super­or­gi­nel­len Begriffe ach­ten, mit denen Julia Kohli ihre Prosa würzt.

Julia Kohli: Menschen wie Dirk, Short Storys, Lenos VerlagInzwi­schen habe ich die eine und andere Geschichte tat­säch­lich zwei­mal gele­sen und her­aus­ge­fun­den, was mich an ihnen fes­selt: Nicht so sehr der Plot – wobei Plot für diese Texte ohne­hin nicht unbe­dingt mass­ge­bend ist – , auch nicht die Figu­ren, nein, was diese Sto­rys für mich aus­zeich­net, ist die ein­ma­lige Mischung von lei­ser Sub­ti­li­tät und bru­ta­ler Wucht.

Schwelende Gewalt

Ohne Umschweife wird in der Geschichte “Saman­tha” ein mör­de­ri­scher Som­mer mit dem lako­ni­schen Satz “Ein Som­mer­tag wie eine Wild­sau” ange­kün­digt. Nach die­ser Fest­stel­lung, die im Leser die Asso­zia­tion eines unge­hemm­tem Aus­bru­ches aus­lö­sen mag, spannt uns die Autorin jedoch auf die Fol­ter mit der Beschrei­bung einer unsi­che­ren, über­ge­wich­ti­gen Frau, die eine Weile am Zür­cher See spa­ziert und dabei gewis­sen Stel­len ihres Kör­pers eine selt­same, fast krank­hafte Auf­merk­sam­keit schenkt. Vor­erst also nichts mit Gewalt, nur Rück­schau auf ein gewöhn­li­ches Leben, unter­bro­che­nes Phi­lo­so­phie­stu­dium, zehn Jahre Flug­be­glei­te­rin und Ein­sam­keit, mit der sich Saman­tha recht und schlecht abfin­det. Was sich da im Laufe der Jahre wie das Was­ser in ihren Bei­nen auf­ge­staut hat, merkt sie selbst erst spä­ter, im Flug­zeug, als ein ange­trun­ke­ner Pas­sa­gier mit einer beläs­ti­gen­den Geste plötz­lich das Fass zum Über­lau­fen bringt – und die Wild­sau in ihr befreit.

Wider klischierte Rollenmuster

Julia Kohli - Literatur-Rezensionen Glarean Magazin
Julia Kohli (geb. 1978 in Winterthur)

In den meis­ten Geschich­ten fin­den wir ein Ele­ment von Gewalt, aber nicht immer springt es dem Leser so wuch­tig ins Gesicht, oft schim­mert es in schein­bar harm­lo­ser Dosie­rung durch die Zei­len, vor allem in den Dia­lo­gen zwi­schen Mann und Frau oder in den Gedan­ken von Män­nern über Frauen und­um­ge­kehrt. Stets ist eine dunkle Span­nung spür­bar, die uns beim Lesen auf die kleins­ten Nuan­cen hell­hö­rig macht.
The­ma­tisch krei­sen Koh­lis Texte um die Gen­der-Rol­len und die archai­schen Kli­schees, denen Frauen aus männ­li­cher Sicht noch immer zu ent­spre­chen haben. Frauen wie Saman­tha und Chris­tine in den Geschich­ten “Saman­tha” und “Pierre” neh­men ihr Schick­sal selbst in die Hand, andere wie die Haupt­fi­gur in “Irina” oder die “drei Wal­kü­ren” in der Geschichte “Kurt” arbei­ten mit intel­lek­tu­el­len Argu­men­ten gegen diese Kli­schie­rung und sons­tige ver­al­tete männ­li­che Ver­hal­tens­mus­ter an.

Ein gewisser Männertyp

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Durch die Sys­te­ma­tik, mit der Kohli diese Rol­len dar­legt, wird uns ins­be­son­dere Ein­blick in die Män­ner­psy­che oder, bes­ser gesagt, in die Psy­che eines gewis­sen Män­ner­typs gewährt, denn Koh­lis Män­ner gehö­ren alle in die Kate­go­rie klas­si­scher, hoff­nungs­lo­ser ‚Losers‘. Da ist ein zum Bei­spiel ein Feig­ling wie Kurt in der gleich­na­mi­gen Geschichte, der bei einer Dis­kus­sion mit sei­nen Schü­le­rin­nen – er taxiert sie her­ab­las­send als “Trul­las”, “Hexen”, “jam­mernde Heul­bo­jen”, “Hupf­doh­len”, “ver­klemmte Zwetsch­gen” etc. – sei­nen Unter­richts­stil an der Kunst­aka­de­mie ver­tei­di­gen muss und sich dabei auf pein­lichste Art und Weise bei ihnen anzu­bie­dern ver­sucht. Wäh­rend er vor die­sen eman­zi­pier­ten Frauen schwitzt und röchelt und sich bald wie ein ange­schos­se­ner Eber vor­kommt, denkt er weh­mü­tig an seine bra­si­lia­ni­sche Frau und woher er sie sich geholt hat: “Dort tru­gen die Frauen noch High Heels, wackel­ten mit ihren Hin­tern und freu­ten sich über Kom­pli­mente… Eine Welt, die noch eini­ger­ma­ßen im Lot war, im Gegen­satz zu die­sem schwei­ze­ri­schen Vogel­fut­ter.” Sol­che Sätze tref­fen den Typ Mann und sei­nen Kon­flikt mit gebil­de­ten, selbst­be­wuss­ten Frauen auf den Nagel.

Männliche Aggression

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In der Geschichte “Urs” prä­sen­tiert uns Kohli ein wah­res Ekel von einem Mann und lässt uns zwan­zig Sei­ten lang in sei­nem Kopf woh­nen; fast möchte man sagen, lei­der, so ver­korkst und elend sieht es da drin aus, so aggres­siv und frau­en­feind­lich. Dabei denkt und agiert Urs ganz ein­fach aus reins­tem Frust am Leben, das es nie rich­tig gut mit ihm gemeint hat. Im Grunde genom­men ist er ein armer Kerl, aber, wie der Text zeigt, kann Frust ganz schön schlimme Aus­wüchse haben, und Sym­pa­thie für Urs brau­chen wir als Leser keine auzufbrin­gen, er ver­dient sie nicht. Aber was bleibt ist das ungute Gefühl, dass man draus­sen Män­nern wie Urs begeg­nen kann; auf der Straße, im Tram, im Ein­kaufs­la­den, irgendwo. Män­ner wie Urs gibt es, man weiß es ja eigent­lich, aber nach der Lek­türe ist die­ses Wis­sen von einem lei­sen Grauen durchzogen.

Sprachliche Bravour

Die Geschichte “Urs” ist ein har­ter Bro­cken, und hier wie bei den andern Geschich­ten spielt die Spra­che eine mass­geb­li­che Rolle, um die momen­tane Befind­lich­keit der Haupt­fi­gur in ihrer urei­ge­nen Kri­sen­si­tua­tion zu ver­an­schau­li­chen. Sie ist es auch, die einen von der ers­ten Zeile an in Bann zieht und trotz der, gelinde gesagt, düs­te­ren bis schreck­li­chen Vork­om­nisse ein der­art gros­ses Lese­ver­gnü­gen berei­tet. Koh­lis Voka­bu­lar ist an sich schon bewun­derns­wert, aber zur Gel­tung kommt es erst so rich­tig in der Prä­zi­sion des Tons und der Eigen­heit, mit denen die Figu­ren spre­chend und den­kend ihre Zuge­hö­rig­keit zu einem gewis­sen Typen und einer gewis­sen sozia­len Schicht verraten.
Die Gefahr, die Figu­ren auf diese Typi­sie­run­gen zu redu­zie­ren, würde durch­aus bestehen, aber Kohli umschifft diese gekonnt. Bis­wei­len lau­fen die Geschich­ten auf eine Pointe zu, wie bei Dirk, einer in Mexiko ange­sie­del­ten Geschichte, in der die Haupt­fi­gur wegen eines eitern­den Tat­toos ins Grü­beln kommt und nach dem ers­ten Streit mit der mexi­ka­ni­schen Freun­din der Reise zu ihren Ver­wand­ten mit Ban­gen ent­ge­gen­sieht. Was es mit die­ser Reise auf sich hat, ent­puppt sich viel­leicht eine Spur zu abrupt, aber es zwingt einen gleich­sam, noch­mals zurück­zu­blät­tern und nach Indi­zien für das über­ra­schende Ende zu fahnden.
Wie gesagt: zwei­mal lesen! Es lohnt sich. ♦

Julia Kohli: Men­schen wie Dirk, Short Sto­rys, Lenos Ver­lag, 172 Sei­ten, ISBN 978-3-03925-008-0

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Gen­der-Dis­kus­sion auch über Euro­päi­sche Frau­en­be­we­gun­gen im 19. und 20. Jahrhundert


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