Jazz: Rudi Berger featuring Toninho Horta (Audio-CD)

Kongeniale Partnerschaft

von Horst-Dieter Radke

Die Gei­ge ist im Jazz kein un­be­kann­tes In­stru­ment, aber man kommt doch mit we­ni­gen Na­men aus, wenn man her­aus­ra­gen­de Jazz-Vio­li­nis­ten er­wäh­nen will. Joe Ve­nuti und Sté­pha­ne Grap­pel­li etwa im Swing, Jean Luc Pon­ty, Zbi­gniew Sei­fert im Mo­dern Jazz, L. Shan­kar im World Jazz und Mark Feld­man im frei­en Jazz bei­spiels­wei­se. Und Rudi Ber­ger na­tür­lich, den man, wenn er ir­gend­wo zu­ge­ord­ne­te wer­den soll­te, dem la­tein­ame­ri­ka­ni­schen Jazz zu­rech­nen könn­te. Mit dem Gi­tar­ris­ten Ton­in­ho Horta spiel­te er un­längst bei Gra­mo­la (Na­xos) ein be­mer­kens­wer­tes Al­bum ein: „Rudi Ber­ger fea­turing Ton­in­ho Horta“.

Als nach ei­nem lan­gen In­tro der Gi­tar­re die Vio­li­ne ein­setzt, mei­ne ich Sté­pha­ne Grap­pel­li zu hö­ren. Die­sen ganz be­son­de­ren Ton, die­ses Vi­bra­to, das nicht vor­der­grün­dig wie ein Vi­bra­to klingt, das Grap­pel­li auch in schnel­len Pas­sa­gen zeig­te, kann der Wie­ner Vio­li­nist Rudi Ber­ger (*1954) auch. Dass er aber trotz­dem ei­nen ganz ei­ge­nen Ton hat, er­fährt man noch im glei­chen Stück „Waltz for Je­re­my“, wel­ches das Al­bum eröffnet.

Rudi Ber­ger ist ein Aus­nah­me­gei­ger im Jazz, so wie auch Grap­pel­li ei­ner war – zu sei­ner Zeit. Ihm zur Sei­te steht der Bra­si­lia­ner Ton­in­ho Horta und das so sou­ve­rän, dass man manch­mal nicht ge­nau weiß, wer die­ses Al­bum nun ei­gent­lich kon­zi­piert hat. Der mu­si­ka­li­sche An­teil ist eben­bür­tig, bei­de sind mit Kom­po­si­tio­nen auf dem Al­bum ver­tre­ten, Horta hat so­gar ei­nen et­was grö­ße­ren An­teil. Sei­ne So­lo­pas­sa­gen sind aus­ge­prägt, dass von ei­ner ein­fa­chen Be­glei­tung nicht ge­spro­chen wer­den kann. Er singt dazu mit ei­ner Stim­me, die fast wie ein In­stru­ment klingt.

Langjährige Zusammenarbeit

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Ber­ger und Horta ken­nen sich schon län­ger. Sie ha­ben be­reits in den spä­ten 1980er Jah­ren in New York mit­ein­an­der ge­spielt und in Bra­si­li­en, wo Ber­ger von 1998 bis 2001 leb­te und ar­bei­te­te. Die Auf­nah­men die­ses Al­bums sind aus ver­schie­de­nen Auf­nah­me­ses­si­on zu­sam­men­ge­stellt. Die äl­tes­te Auf­nah­me – Ga­brie­le, der so­ge­nann­te „Bo­nus­track“ – stammt aus dem Jahr 1988 und wur­de in New York ein­ge­spielt. Eben­falls in New York wur­den 1997 wei­te­re vier Ti­tel auf­ge­nom­men. In Rio de Ja­nei­ro spiel­te man fünf Ti­tel im Jahr 2000 ein. Die ers­ten acht Stü­cke sind neue­ren Da­tums und ent­stan­den 2019 in Österreich.

Toninho Horta - Gitarrist - Glarean Magazin
Ton­in­ho Horta (*1948)

Na­tür­lich hört man, dass Ton­in­ho Horta aus Bra­si­li­en kommt. Der Rhyth­mus und Duk­tus von Bos­sa Nova und Sam­ba sind ver­in­ner­licht und kom­men im­mer wie­der zur Gel­tung. Doch Horta kann mehr, spielt mehr, ent­lockt sei­ner Gi­tar­re Se­quen­zen, die kei­nes­wegs nur auf die­se la­tein­ame­ri­ka­ni­schen Stil­rich­tun­gen fest­zu­le­gen sind. Sein har­mo­ni­sches Ver­ständ­nis ist phä­no­me­nal. Beim ers­ten Zu­hö­ren habe ich manch­mal die Auf­merk­sam­keit für die Vio­li­ne ver­lo­ren, weil es so span­nend war, der Gi­tar­re und de­ren har­mo­ni­schen Ent­wick­lun­gen zu folgen.

Musik aus New York…

Den Über­gang zu den äl­te­ren Auf­nah­men bei Ti­tel 9 („Ou­ver­tu­re“) merkt man sehr wohl. Er ist aber nicht so krass, dass das Al­bum ei­nen frag­men­ta­ri­schen Ein­druck hin­ter­lässt. Das En­sem­ble ist arg in den Hin­ter­grund ge­mischt wor­den, und nur bei den So­lo­pas­sa­gen wer­den das Kla­vier und die Gi­tar­re dann und wann et­was stär­ker hervorgeholt.
In Ber­gers Kom­po­si­ti­on „Bos­sa for Ton­in­ho“ hält Ber­ger sich mit sei­ner Gei­ge stark zu­rück und fügt sich in das En­sem­ble ein. Horta über­rascht bei die­sem Stück mit ei­nem Part auf der elek­tri­schen Gi­tar­re. Im fol­gen­den „Pro­fu­da Emo­ção“ von Ton­in­ho Horta ist wie­der die­se Grap­pel­li-As­so­zia­ti­on da.

Musiknoten - Rudi Berger - Beluschka - Autograph - Glarean Magazin
All­mäh­li­cher Span­nungs­auf­bau über mehr als sechs Mi­nu­ten hin­weg: Au­to­graph von Rudi Ber­gers „Be­lusch­ka“

Ber­gers „Be­lusch­ka“ be­ginnt zu­nächst so span­nungs­los wie eine be­lie­bi­ge New-Age-Kom­po­si­ti­on. Doch die Span­nung baut sich im Lau­fe der sechs­ein­halb­mi­nü­ti­gen Kom­po­si­ti­on auf, und auch wie­der ab, so dass es kei­nes­wegs ein lang­wei­li­ges Hör­ver­gnü­gen ist oder gar für Hin­ter­grund­mu­sik taugt. Es gibt zu viel, was dar­in pas­siert und die hö­ren­de Auf­merk­sam­keit an­regt, etwa das Bass­spiel von Vic­tor Bailey.

… und Rio de Janeiro

Jazz-Geiger Rudi Berger an einer Live-Session in Wien - Glarean Magazin
Jazz-Gei­ger Rudi Ber­ger an ei­ner Live-Ses­si­on in Wien

Ab Track 13 stam­men die Auf­nah­men aus Rio de Ja­nei­ro. Nun do­mi­niert auch die Flö­te. Das Spek­trum der Mu­sik wei­tet sich. Nach zwei ty­pi­schen bra­si­lia­ni­schen Num­mern mit all dem Bos­sa-Swing, den sie auf­brin­gen kön­nen, über­rascht mit „Dona Olim­pia“ von Ton­in­ho Horta eine ge­fühl­vol­le Bal­la­de, die mehr ro­man­ti­sche denn la­tein­ame­ri­ka­ni­sche An­klän­ge zeigt. Ein wei­te­res Bei­spiel da­für, wie we­nig die bei­den Mu­si­ker sich Be­schrän­kun­gen auf­er­le­gen. Nach ei­nem leb­haf­te­ren Zwi­schen­spiel „Autumn in Brook­lyn“ be­ginnt dann das letz­te of­fi­zi­el­le Stück „Vi­ver de Amor“ wie­der ver­hal­ten und sen­ti­men­tal, wech­selt aber schnell in ei­nen strin­gen­ten Rhyth­mus, über dem sich Ber­gers Vio­li­ne deut­lich und mo­dern abhebt.

Wehmütiges Ende

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Der Bo­nus-Track aus dem Jahr 1988 zeigt Ber­ger mit klei­nem En­sem­ble und ohne Tonhi­no Horta. Das fällt auf. Er fehlt. Sei­ne Gi­tar­ren­ar­beit, die alle vor­he­ri­gen Stü­cke nicht un­we­sent­lich struk­tu­riert und ge­prägt hat, wird ver­misst. Ein­zi­ger Trost ist, dass Ber­gers Vio­li­ne noch da ist. Es kommt mäch­tig sen­ti­men­tal da­her, fast möch­te ich au­gen­zwin­kernd sa­gen: Es ist ge­hö­rig Schmalz drin – gut dass das Al­bum da­mit zu Ende ist. Ich bin mir aber si­cher, ich wer­de beim künf­ti­gen Hö­ren nicht vor­her abschalten.

Kurz­um: Ein Al­bum, das Spaß macht, das zum Zu­hö­ren an­regt – und vor al­lem zum Wie­der­hö­ren. Es gibt ei­nen tol­len Über­blick über die Le­bens­leis­tung der bei­den Mu­si­ker und hebt die Stim­mung bei je­dem Hö­ren. Vor al­lem macht es neu­gie­rig auf ei­nen Live­auf­tritt; ich hof­fe, ir­gend­wann in der Zeit nach Co­ro­na dazu noch ein­mal Ge­le­gen­heit zu haben. ♦

Ber­ger (Vio­li­ne) & Horta (Gi­tar­re): Rudi Ber­ger fea­turing Ton­in­ho Horta, Au­dio-CD, La­bel Gra­mo­la Re­cords (Na­xos), 72 Minuten

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Jazz-CD auch über Jac­ques Stot­zem: Places we have been

Au­ßer­dem zum The­ma Jazz im GLAREAN: Ma­thi­as Löff­ler – Rock & Jazz Harmony


Ein Kommentar

  1. Aus­ge­zeich­ne­te Re­zen­si­on, die Ap­pe­tit auf die­se CD macht. Ich hät­te bei der Auf­zäh­lung gran­dio­ser Jazz-Vio­lo­nis­ten noch Jer­ry Good­man hin­zu­ge­fügt, aber das ist mög­li­cher­wei­se Geschmacksache.
    M.K.

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