Lili Reinhart: Swimming Lessons / freischwimmen (Gedichte)

Weihnachtsgeschenk für Teenager

von Stefan Walter

Lili Rein­hart, US-ame­ri­ka­ni­sche Schau­spie­le­rin und Ak­ti­vis­tin, hat Ende Sep­tem­ber ’20 ihr ers­tes Buch „Swim­ming Les­sons“ ver­öf­fent­licht. Kei­ne zwei Wo­chen spä­ter hat Fi­scher be­reits eine zwei­spra­chi­ge Aus­ga­be (dt. Ti­tel: „frei­schwim­men“) her­aus­ge­ge­ben. Dass die­se Ent­schei­dung mehr auf der Be­kannt­heit der Au­torin be­ruht als auf der Qua­li­tät des Werks, liegt nahe. Aber ver­su­chen wir, vor­ur­teils­frei heranzugehen.

Was als ers­tes auf­fällt: Das ge­bun­de­ne Buch ist ziem­lich dick, eher wie ein Ro­man als ein Ge­dicht­band. Kein Schutz­um­schlag. Auch kein Le­se­bänd­chen. Ziel­grup­pe ist viel­leicht nicht der klas­si­sche Lyrikleser.

Lili Reinhart - Swimming Lessons - freischwimmen - Gedichte - Fischer VerlagDie Ein­spa­run­gen ge­hen im In­ne­ren wei­ter: Es gibt kei­ne Sei­ten­zah­len (un­ge­fähr 270 Sei­ten dürf­ten es nach mei­ner Zäh­lung sein, dar­un­ter ei­ni­ge lee­re und ei­ni­ge nur mit Il­lus­tra­tio­nen), kein In­halts­ver­zeich­nis. Das Feh­len der Sei­ten­zah­len ist be­son­ders des­halb stö­rend, weil nur eine Hand­voll Tex­te so et­was wie ei­nen Ti­tel hat. Die Kurz­bio­gra­phie macht die Au­torin gleich ein­mal um sechs Jah­re älter.

Der ei­gent­li­che In­halt be­steht aus gut hun­dert „Ge­dich­ten“ – auf die An­füh­rungs­zei­chen wer­de ich noch zu­rück­kom­men – im Um­fang zwi­schen zwei Zei­len und sechs Sei­ten. Die Über­set­zung fin­det sich je­weils im An­schluss an den Ori­gi­nal­text, für den Le­ser deut­lich un­prak­ti­scher als eine links/­rechts-Auf­tei­lung. Auch mit blo­ßen Schul­kennt­nis­sen soll­te man al­ler­dings kei­ne grö­ße­ren Schwie­rig­kei­ten mit dem eng­li­schen Text haben.

Liebe und Liebeskummer

Lili Reinhart - Glarean Magazin
Lili Rein­hart (geb. 1996)

Der weit­aus größ­te Teil der Ge­dich­te dreht sich um Lie­be und Lie­bes­kum­mer. Da­zwi­schen fin­den sich ein­zel­ne Tex­te, in de­nen Lili Rein­hart sich mit ih­ren Dä­mo­nen aus­ein­an­der­setzt; dies sind auch die ein­zi­gen, die ernst­haft le­sens­wert sind. So er­klärt sie etwa:
„This is how I ex­plain it to so­meone / who can’t ful­ly un­der­stand. (…) This is you, every day. (…) Ela­ted. High. Full of en­er­gy (…) Of cour­se I am able to feel the­se things. It’s / har­der to achie­ve, but I can get the­re. // It’s just that I’ll have / a grea­ter fall back down to rea­li­ty. (…)” Eine der kon­zi­ses­ten Be­schrei­bun­gen ei­ner leich­ten De­pres­si­on, die ich je ge­le­sen habe.
Ein biss­chen dunk­ler wird es mit:
„I tried ex­plai­ning to my mo­ther why / I was crying this mor­ning. // It’s al­ways dif­fe­rent, / the re­ason or the cir­cum­s­tance. (…) So­me­ti­mes it just feels like sad­ness, / like a dark shadow / mir­ro­ring my every move. (…) I want to be alo­ne, un­bo­the­red // And then I feel guil­ty / for be­ing cold (…) In­no­cent vol­un­teers that I’m / shut­ting down. (…)“

Ohne inhaltlichen Anspruch

Lei­der gibt es nur we­ni­ge die­ser re­le­van­ten Tex­te. Der ganz über­wie­gen­de Teil klingt wie:
„Of all the ele­ments, // I’ll say that I’m snow, // mel­ting on im­pact // from your warmth”
oder:
„It is a pri­vi­le­ge to know you / in such a way that no one else does. // To be the so­meone who sees / your in­ti­ma­te self so completely”
Es sind Tex­te, wie sie je­der zwei­te Teen­ager in sein Ta­ge­buch krit­zelt, ohne be­son­de­ren in­halt­li­chen oder sprach­li­chen Anspruch.

Zu­rück zu den An­füh­rungs­zei­chen. Un­ge­ach­tet for­ma­ler De­fi­ni­tio­nen wir­ken die Tex­te nicht wie Ge­dich­te. Ja, es gibt Ver­se, es gibt Stro­phen – wo­bei ein sehr gro­ßer Teil der Stro­phen nur aus ei­nem ein­zi­gen Vers be­steht –, es gibt ein Ich. Doch das Ich hört sich an wie der Spre­cher ei­nes Tex­tes; die Auf­tei­lung in Ver­se und Stro­phen scheint kaum in­halt­li­che oder klang­li­che Be­deu­tung zu ha­ben, son­dern nur kür­ze­re oder län­ge­re Sprech­pau­sen zu markieren.

Zitatensammlung als Telenovela

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Das Buch ist kein Ge­dicht­band. Es ist eine Zi­tat­samm­lung. Rein­harts Zi­ta­te aus der Rol­le ih­res Le­bens, ei­ner fik­ti­ven Te­le­no­ve­la, in der die Haupt­dar­stel­le­rin sich im­mer wie­der un­sterb­lich ver­lie­ben darf, im­mer wie­der ent­täuscht wird, ih­rem Schatz Lie­bes­er­klä­run­gen macht, ihn mit ei­ner an­de­ren sieht, ihn an­schreit, ver­flucht, mit ei­ner Freun­din ba­na­le Dis­kus­sio­nen über den Sinn des Le­bens führt, und ab und zu ein­mal ei­nen groß­ar­ti­gen Mo­no­log hal­ten darf.
Und er­staun­li­cher­wei­se: Wenn man das Buch so liest, dann wird es plötz­lich stim­mig. Dann ver­misst man kei­ne Ge­dicht­ti­tel mehr, kei­ne Sei­ten­zah­len. Dann sind Pa­thos und Ba­na­li­tät kei­ne läs­ti­gen Be­glei­ter mehr, son­dern not­wen­di­ge Vor­aus­set­zun­gen für ein Ge­lin­gen. Und die gu­ten Tex­te wer­den zu den Stern­stun­den der Se­rie und von den Fans hun­dert­fach auf Pin­te­rest gepostet.
Der durch­schnitt­li­che Ly­ri­k­le­ser wird die­ses Buch nicht un­be­dingt be­nö­ti­gen. Als Weih­nachts­ge­schenk für ei­nen Teen­ager, dem er das Kon­zept von Ly­rik nä­her­brin­gen möch­te, scheint es mir aber bes­tens geeignet.

Lili Rein­hart: Swim­ming Les­sons / frei­schwim­men, zwei­spra­chi­ge Aus­ga­be englisch/deutsch, über­setzt von Anna Ju­lia Strüh, 272 Sei­ten, FISCHER New Me­dia, ISBN 978-3-7335-0615-5

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Neue Ly­rik auch von Christl Grel­ler: Ich den­ke po­si­tiv (Ge­dich­te)

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