Humanmedizin: Musik und Herzinfarkt (Musikforschung)

Stressreduzierung durch Musikhören

von Walter Eigenmann

Auch wenn die Wis­sen­schaft­ler in al­ler Welt noch über zahl­lo­se De­tails strei­ten – hin­sicht­lich des Ge­samt­be­fun­des sind sie sich ei­nig: Mu­sik hat ei­nen enorm po­si­ti­ven Ef­fekt auf die kör­per­li­che und see­li­sche Be­find­lich­keit des Men­schen. Zahl­lo­se Stu­di­en aus vie­len Fach­ge­bie­ten von der Neu­ro­psy­cho­lo­gie über die Schul­päd­ago­gik und Kul­tur­so­zio­lo­gie bis hin zur An­thro­po­lo­gie und Ge­ron­to­lo­gie be­schäf­ti­gen sich mit dem Be­zugs­feld Mensch-Mu­sik, und alle do­ku­men­tie­ren sie den teils er­heb­li­chen the­ra­peu­ti­schen Ein­fluss des Mu­sik­hö­rens bzw. Mu­si­zie­rens auf den Men­schen. Eine neue Lang­zeit-Un­ter­su­chung be­legt nun, wel­che Wech­sel­wir­kung Mu­sik und Herz­in­farkt haben.

Musik und Körper

Verschluss Herzgefässe - Kardiologie - Report Musik und Herzinfarkt 2020 - Glarean Magazin
Ur­sa­che des Herz­in­fark­tes: Ver­schluss von Herzkranzgefässen

In den letz­ten Jah­ren misch­ten und mi­schen sich ver­stärkt auch spe­zi­fi­sche hu­man­me­di­zi­ni­sche For­schun­gen und Be­fun­de mit em­pi­risch ve­ri­fi­zier­ten Da­ten in die Dis­kus­si­on ein, in­wie­fern Mu­sik auch di­rekt auf kör­per­li­che De­fi­zi­te ein­wir­ke. Eine jüngst vom Ame­ri­can Col­lege of Car­dio­lo­gy ver­öf­fent­lich­te Stu­die do­ku­men­tiert jetzt bei­spiels­wei­se den the­ra­peu­ti­schen Ef­fekt des Mu­sik­hö­rens bei Pa­ti­en­ten mit ei­ner sog. Frü­hen Post­in­farkt-An­gi­na-Pec­to­ris.

Wie die­se Un­ter­su­chung des Bel­gra­der Kar­dio­lo­gen und Haupt­au­to­ren Prof. Dr. Pred­rag Mit­ro­vic aus­führt, über­le­ben in den USA ca. 700’000 Men­schen ei­nen Herz­in­farkt, und es wird ge­schätzt, dass etwa je­der neun­te die­ser Herz­in­farkt-Über­le­ben­de in­ner­halb der ers­ten 48 Stun­den nach dem In­farkt an Brust­schmer­zen und Angst­zu­stän­den leidet.
ge­mäss der Stu­die deu­tet nun al­les dar­auf hin, dass Mu­sik (in Kom­bi­na­ti­on mit me­di­ka­men­tö­sen Stan­dard-The­ra­pien) eine ein­fa­che, zu­gäng­li­che, auch häus­li­che Mass­nah­me sein könn­te, um die­se Sym­pto­me zu re­du­zie­ren und kar­dia­le Fol­ge­er­eig­nis­se zu verhindern.
Mit­ro­vic dazu: „Auf­grund un­se­rer Er­geb­nis­se glau­ben wir, dass Mu­sik­the­ra­pie al­len Pa­ti­en­ten nach ei­nem Herz­in­farkt hel­fen kann, nicht nur den Pa­ti­en­ten mit ei­ner frü­hen Post­in­farkt-An­gi­na. Sie ist auch sehr ein­fach und kos­ten­güns­tig umzusetzen.“

Medikamente mit oder ohne Musik

Predrag Mitrovic - Kardiologe Serbien - Report Musik und Herzinfarkt 2020 - Glarean Magazin
Kar­dio­lo­ge Prof. Dr. Pred­rag Mit­ro­vic (Ser­bi­en): „Mu­sik­the­ra­pie kann al­len Pa­ti­en­ten nach ei­nem Herz­in­farkt helfen“

Die For­scher um Pred­rag Mit­ro­vic re­kru­tier­ten da­bei 350 Pa­ti­en­ten, bei de­nen in ei­nem me­di­zi­ni­schen Zen­trum in Bel­grad ein Herz­in­farkt und eine Frü­he Post­in­farkt-An­gi­na dia­gnos­ti­ziert wur­de. Eine Hälf­te der Per­so­nen wur­de nach dem Zu­falls­prin­zip für eine Stan­dard­be­hand­lung ein­ge­teilt, wäh­rend die an­de­re Hälf­te zu­sätz­lich zur Stan­dard­be­hand­lung an re­gel­mäs­si­gen Mu­sik­sit­zun­gen teil­nahm. Bei den meis­ten Pa­ti­en­ten um­fass­te die Stan­dard­be­hand­lung eine Viel­zahl von Me­di­ka­men­ten wie Ni­tra­te, Aspi­rin, ge­rin­nungs­hem­men­de Me­di­ka­men­te, Be­ta­blo­cker, Sta­ti­ne, Kal­zi­um­ka­nal­blo­cker, blut­druck­sen­ken­de Me­di­ka­men­te und das an­gi­na-re­du­zie­ren­de Me­di­ka­ment Ranolazin.
Pa­ti­en­ten, die zu­sätz­lich eine Mu­sik­the­ra­pie er­hiel­ten, wur­den zu­nächst ei­nem Test un­ter­zo­gen, um fest­zu­stel­len, auf wel­che Mu­sik­rich­tung ihr Kör­per wahr­schein­lich po­si­tiv re­agie­ren wür­de. Die Teil­neh­mer hör­ten neun 30-Se­kun­den-Mu­sik­samples, die sie als be­ru­hi­gend emp­fan­den, wäh­rend die For­scher den Kör­per je­des Teil­neh­mers hin­sicht­lich un­will­kür­li­cher Re­ak­tio­nen auf die Mu­sik­pro­ben auf­grund der Erweiterung/Verengung der Pu­pil­len un­ter­such­ten. Da­nach wur­de eine Fein­ab­stim­mung der per­sön­li­chen Aus­wahl vor­ge­nom­men, in­dem die Pa­ti­en­ten über das op­ti­ma­le Mu­sik­tem­po und die op­ti­ma­le To­na­li­tät bestimmten.

Musiktherapie wirksamer als Standardbehandlung

Dar­auf­hin wur­den die betr. Teil­neh­mer ge­be­ten, sich die­se von ih­nen sel­ber ge­trof­fe­ne Mu­sik­aus­wahl täg­lich 30 Mi­nu­ten lang an­zu­hö­ren, wann im­mer es für sie am be­quems­ten war, idea­ler­wei­se in Ruhe und mit ge­schlos­se­nen Augen.
Sie­ben Jah­re lang setz­ten dann die Pa­ti­en­ten die­se täg­li­chen Hör­sit­zun­gen fort und do­ku­men­tier­ten sie in ei­nem Pro­to­koll. Im ers­ten Jahr kehr­ten sie alle drei Mo­na­te und da­nach jähr­lich zur Nach­un­ter­su­chung ins me­di­zi­ni­sche Zen­trum zurück.

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Nach sie­ben Jah­ren er­wies sich die Mu­sik­the­ra­pie als wirk­sa­mer als die Stan­dard­be­hand­lung al­lein im Hin­blick auf die Ver­rin­ge­rung von Angst, Schmerz­emp­fin­dung und Schmerz­be­las­tung. Die Pa­ti­en­ten mit Mu­sik­the­ra­pie hat­ten Durch­schnitts-Angst­wer­te, die um ein Drit­tel un­ter de­nen der Stan­dard­be­hand­lung la­gen, und sie be­rich­te­ten über um etwa ein Vier­tel ge­rin­ge­re Angina-Symptome.
Die­se Pa­ti­en­ten wie­sen auch si­gni­fi­kant nied­ri­ge­re Ra­ten be­stimm­ter Herz­er­kran­kun­gen auf, dar­un­ter eine 18-pro­zen­ti­ge Sen­kung der Rate der Herz­in­suf­fi­zi­enz, eine 23-pro­zen­ti­ge Sen­kung der Rate nach­fol­gen­der Herz­in­fark­te, eine 20-pro­zen­ti­ge Sen­kung der Rate der Not­wen­dig­keit ei­ner Ko­ro­nar­ar­te­ri­en-By­pass-Ope­ra­ti­on so­wie eine 16-pro­zen­ti­ge Sen­kung der Rate des Herztodes.

Stressreduktion dank Musik

Musik als Stressredundans im Sympathischen Nervensystem - Kardiologie - Report Musik und Herzinfarkt 2020 - Glarean Magazin
Mu­sik als Stress­re­duk­tor im Sym­pa­thi­schen Nervensystem

Was ist grund­sätz­lich der me­di­zi­ni­sche Grund die­ser po­si­ti­ven Ef­fek­te? Mit­ro­vic führt aus, dass die Mu­sik wir­ken kann, in­dem sie dazu bei­trägt, der Ak­ti­vi­tät des Sym­pa­thi­schen Ner­ven­sys­tems ent­ge­gen­zu­wir­ken, also dem Teil des Ner­ven­sys­tems, der die „Kampf-oder-Flucht-Re­ak­ti­on“ steu­ert, wenn eine Per­son mit ei­ner Stress­si­tua­ti­on kon­fron­tiert ist. Da die­se die Herz­fre­quenz und den Blut­druck er­höht, kann eine sym­pa­thi­sche Re­ak­ti­on das Herz-Kreis­lauf-Sys­tem zu­sätz­lich be­las­ten: „Un­ge­lös­te Ängs­te kön­nen eine Zu­nah­me der Ak­ti­vi­tät des Sym­pa­thi­schen Ner­ven­sys­tems be­wir­ken, was zu ei­ner Zu­nah­me der kar­dia­len Ar­beits­be­las­tung führt“, meint Mitrovic.
Er meint dar­um, dass re­gel­mäs­si­ge Sit­zun­gen mit Mu­sik­hö­ren die­se Kas­ka­de von Er­eig­nis­sen un­ter­bre­chen kön­nen, in­dem sie die mit An­gi­na pec­to­ris ver­bun­de­nen Ängs­te nach ei­nem Herz­in­farkt reduzieren.
Das For­scher­team plant nun, die Da­ten wei­ter zu ana­ly­sie­ren, um zu be­stim­men, ob die Mu­sik­the­ra­pie für be­stimm­te Un­ter­grup­pen von Pa­ti­en­ten, wie z.B. sol­che in ei­nem be­stimm­ten Al­ters­seg­ment oder sol­che mit an­de­ren Ge­sund­heits­zu­stän­den wie z.B. Dia­be­tes Vor­tei­le zei­gen könnte. ♦

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so­wie zum The­ma Mu­sik­psy­cho­lo­gie über Chris­toph Drös­ser: Hast du Töne?

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