B. Zizek (Hrsg): Formen der Aneignung des Fremden

Die Universalien der Kulturen

von Heiner Brückner

In­di­vi­du­el­le und ge­sell­schaft­li­che Dif­fe­renz­er­fah­rung zeigt sich ins­be­son­de­re im Um­gang mit dem Frem­den schlecht­hin als wer­ten­de An­ders­ar­tig­keit. Ein neu­er Sym­po­si­ums-Band “For­men der An­eig­nung des Frem­den” der bei­den Her­aus­ge­ber Bo­ris Zi­zek und Han­na N. Pie­pen­bring the­ma­ti­siert die An­eig­nungs­mög­lich­keit der den Kul­tu­ren ge­mein­sa­men Universalien.

Er­war­tungs­voll be­gann ich mir die Dis­kurser­güs­se der theo­re­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen so­wie durch em­pi­ri­sche Fall­bei­spie­le ver­ein­ten Er­ar­bei­tung über die An­eig­nung des Frem­den aus­ser­halb der ei­ge­nen Per­son an­zu­eig­nen, er­war­tungs­voll schlies­se ich den Band. Mög­li­cher­wei­se tau­gen die be­ab­sich­tig­ten wei­ter­füh­ren­den Aspek­te des Fremd­ver­ste­hens für eine ge­wis­se Öff­nung in­ner­halb von Fa­kul­täts­gren­zen zu ei­ner aka­de­mi­schen in­ter­kul­tu­rel­len Öff­nung dem Frem­den ge­gen­über. Als Re­sü­mee er­ge­ben sich die Struk­tur­ei­gen­schaf­ten der Po­si­ti­on des Frem­den: Er er­lebt eine Kri­se und Di­stanz zur neu­en Grup­pe, hat mehr Frei­hei­ten, al­ler­dings auch mehr Ri­si­ken und er­schliesst sich die Um­welt kon­stru­ie­rend durch ei­ge­ne Sinngebung.

Bekannte Kernaussagen in neuen Wörterhülsen

Boris Zizek - Hanna Piepenbring - Formen der Aneignung des Fremden - Universitätsverlag Winter Heidelberg - Rezensionen Glarean MagazinIm De­tail be­trach­tet, wer­den in die­sem Sym­po­si­ums-Band des “Zen­trums für In­ter­kul­tu­rel­le Stu­di­en zur Er­for­schung glo­ba­ler Kul­tur­phä­no­me­ne” be­kann­te Kern­aus­sa­gen mit neu ge­schlif­fe­nen Wör­ter­hül­sen be­stückt. Das Er­kennt­nis­pul­ver ist nicht aus­rei­chend, um eine Lun­te zu be­feu­ern, die ei­nen nach­hal­ti­gen Wir­kungs­tref­fer auf der Ver­än­de­rungs­ziel­schei­be ex­plo­die­ren las­sen könn­te. Das Frem­de wird fremd blei­ben, so­lan­ge es Men­schen gibt, die es als sol­ches be­las­sen oder als Ge­fähr­dung emp­fin­den, denn ak­zep­tie­ren und re­spek­tie­ren der Wür­de je­den Sub­jek­tes ver­langt ei­ge­ne Stand­haf­tig­keit und an­ge­mes­se­nes Zu­rück­neh­men sei­ner selbst.
Der 10. Band der Schrif­ten­rei­he In­ter­cul­tu­ral Stu­dies nimmt flüch­tig als ly­ri­sches Ex­em­pel das Ge­dicht „Der Fi­scher“ von Jo­hann Wolf­gang Goe­the un­ter die Lupe, das Was­ser nicht als Che­mi­ka­lie be­schreibt, son­dern als mit Le­bens­be­zug Er­fah­re­nes ge­stal­tet. Dar­in scheint nicht das Frem­de so fremd, son­dern viel­mehr ist die Per­son mit dem Frem­den des ihr Ver­trau­ten beschäftigt.

Der Ethnologie-Begriff in der Historie

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Wur­zelnd auf dem Ko­lo­ni­al­her­ren-Den­ken wird – his­to­risch fo­kus­siert – Eth­no­lo­gie zum Schlag­wort. Es ent­stand im Lau­fe des 19. Jahr­hun­derts aus der in­ne­ren Be­frem­dung durch die kul­tu­rel­le Stu­fen­ent­wick­lung zum Händ­ler, der be­weg­li­cher ist, weil er nicht an Tra­di­tio­nen ge­bun­den zu sein scheint. Im Mit­tel­al­ter sei­en die in­tel­lek­tu­el­len Fä­hig­kei­ten zur Völ­ker­ver­stän­di­gung ge­schaf­fen wor­den (To­do­rov). Doch sub­jek­ti­ve An­eig­nung ist mehr, als ein Stu­di­en­auf­ent­halt in ei­nem frem­den Land ver­mit­teln kann.
Im 20. Jahr­hun­dert be­güns­tigt der Be­ginn ex­pli­zi­ter theo­re­ti­scher Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Frem­den das Ver­ständ­nis vom Grenz­gän­ger oder Im­mi­gran­ten bis hin zur De­struk­ti­on „so­zia­ler Ex­ter­ri­to­ri­a­li­tät“, näm­lich ei­ner „So­zio­lo­gie der Ver­nich­tungs­la­ger“ in den na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Konzentrationslagern.

Überanpassung ohne versöhnende Verschmelzung

Als For­men der Ver­kör­pe­rung, um das Frem­de als an sich kul­tu­rel­les und er­lern­tes Kon­strukt in All­tags­si­tua­tio­nen zu über­win­den, wer­den Ele­men­te der „Mar­ti­al Arts“ an­ge­führt und me­tho­do­lo­gisch eine Lü­cke im deut­schen For­schungs­dis­kurs zur Kul­tur­ab­hän­gig­keit in den Gren­zen der Bio­gra­phie­for­schung auf­ge­deckt. Der Bei­trag über die „Ma­rok­ko-Rei­se Eu­gè­ne De­lacroix’“ ver­steht dar­über hin­aus künst­le­ri­sches Han­deln als eine ge­stei­ger­te Form der Aneignung.

Formen der Aneignung des Fremden - Interkulturen - Anpassung - Bevölkerung - Rezensionen Glarean Magazin
“Neu­es Fremd­sein auf­grund von Über­an­pas­sung ohne ver­söh­nen­de Verschmelzung”

Die so­zi­al­wis­sen­schaft­li­che Per­spek­ti­ve un­ter­schei­det zwi­schen dras­ti­scher In­hu­ma­ni­tät in­ner­halb der Mensch­heits­ge­schich­te und em­pa­thi­scher Of­fen­heit und er­wähnt die mo­ra­li­sche Sei­te der Be­geg­nung mit dem Frem­den vom Ein­fluss früh­kind­li­cher Fremd-Erfahrungen.
Das 21. Jahr­hun­dert wird mit­tels Feld­for­schung ex­em­pli­fi­ziert, ein­mal an­hand der sub­kul­tu­rel­len in­di­schen Hip­Hop-Sze­ne. Und auch am Bei­spiel ko­rea­ni­scher Re­mi­gran­ten von Kran­ken­schwes­tern und Berg­ar­bei­tern, die in den 60er und 70er Jah­ren von der BRD an­ge­wor­ben wor­den wa­ren, wird deut­lich, dass nach ei­ner Über­an­pas­sung ein neu­es Fremd­sein ge­än­der­ter Wer­te zu kei­ner ver­söh­nen­den Ver­schmel­zung führt.

Partielle Assimilation unabdingbar

In ei­ner sub­jekt­theo­re­ti­schen Ana­ly­se ge­langt der Au­tor zu der Ein­sicht, dass eine par­ti­el­le As­si­mi­la­ti­on un­ab­ding­bar ist, um in ei­nem frem­den Mi­lieu zu be­stehen. Die Merk­ma­le Ob­jek­ti­vi­tät und (zwei­fel­haf­te) Loya­li­tät als Grenz­gän­ger oder Im­mi­grant, kön­nen durch As­si­mi­la­ti­on dazu füh­ren den ei­ge­nen Sta­tus zu ver­lie­ren oder in­ner­halb der Ur­sprungs­grup­pen ewi­ge Rand­exis­tenz zu bleiben.
Für die aku­te ak­tu­el­le ge­sell­schaft­li­che Lage in der Mi­gra­ti­ons-De­bat­te reis­sen die vor­lie­gen­den in­ter­na­tio­na­len Bei­trä­ge aus so­zi­al- und er­zie­hungs­wis­sen­schaft­li­cher, psy­cho­lo­gi­scher, lin­gu­is­ti­scher und his­to­ri­scher Per­spek­ti­ve wich­ti­ge Aspek­te an. Sie ver­deut­li­chen dar­über hin­aus die Kom­ple­xi­tät, die der ge­sell­schaft­li­che An­eig­nungs­pro­zess er­for­dert. Mehr aber nicht. ♦

Bo­ris Zi­zek, Han­na N. Pie­pen­bring (Hrsg): For­men der An­eig­nung des Frem­den, 180 Sei­ten, Uni­ver­si­täts­ver­lag Win­ter Hei­del­berg, ISBN 978-3-8253-4687-4

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma In­ter­kul­tu­rel­le An­pas­sung auch über Adi­be­li Ndu­ka-Agwu: Ras­sis­mus auf gut Deutsch

… so­wie zum The­ma Kul­tur-An­eig­nung den Es­say von Rolf Stolz: Die Kul­tur-Uto­pie Europa

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