Mick Finlay: Arrowood – Die Mördergrube (Krimi)

Gestatten: William Arrowood, emotionaler Detektiv

von Isabelle Klein

Soll­ten Sie Sher­lock-Hol­mes-Fan sein, sei­en Sie vor­sich­tig, denn die­ser zwei­te Fall rund um den zweit­bes­ten Lon­do­ner De­tek­tiv Wil­liam Ar­ro­wood und sei­nen Ge­hil­fen Nor­man Bar­nett kann Sie leicht bis stark ag­gres­siv ma­chen, je nach­dem, wie stark Ihre Lie­be zum Su­per­hirn der De­tek­tiv­ge­schich­te aus­ge­prägt ist, denn laut Letz­te­rem ist Ers­te­rer schlicht­weg ein „Schar­la­tan“ (S.343).

Mick Finlay - Arrowood - Die Mördergrube - Krimi - Harper Collins - Cover - Glarean MagazinWil­liam Ar­ro­wood hat es nicht leicht. Stän­dig hält man ihm den ge­nia­len Sher­lock vor, der ge­ra­de raf­fi­niert ei­nen Er­ben ge­ret­tet hat (der Hol­der­nes­se-Fall). Ar­ro­woods Mei­nung nach al­les pu­rer Zu­fall, denn der Meis­ter­de­tek­tiv habe Spu­ren falsch ge­deu­tet und schlicht­weg Glück ge­habt. Wäh­rend Hol­mes also mit sei­nem de­duk­ti­ven Vor­ge­hen und dem Haupt­au­gen­merk auf dem Deu­ten von ma­te­ri­el­len Hin­wei­sen Fall nach Fall löst, hat un­ser ar­mer, über­ge­wich­ti­ger, stets von zu en­gen Schu­hen, grau­sa­men Darm­win­den und ei­ner un­treu­en Frau ge­plag­ter De­tek­tiv ein gänz­lich an­de­res Her­an­ge­hen: Er setzt auf Ge­füh­le, nicht auf Lo­gik, denn Men­schen sind nun mal von Ge­füh­len be­stimmt und han­deln nicht un­be­dingt lo­gisch. So ist Ar­ro­wood nach ei­ge­nen Wor­ten ein „emo­tio­na­ler De­tek­tiv“, der die Men­schen ver­steht und sich in sie hin­ein zu ver­set­zen versucht.

Eine „rasante Geschichte“?

Mick Finlay - Glarean Magazin
Mick Fin­lay

So auch in die­sem Fall: Die bei­den wer­den vom Ehe­paar Bar­nett an ei­nem kal­ten Neu­jahrs­mor­gen des Jah­res 1896 be­auf­tragt, die ver­lo­re­ne Toch­ter Bir­die wie­der mit ih­nen zu ver­ei­nen. Bir­die ist „geis­tes­schwach“ und habe sechs Mo­na­te zu­vor den eben­falls ent­wick­lungs­ver­zö­ger­ten Wal­ter Ock­well, der zu­sam­men mit sei­nen Ge­schwis­tern God­win und Ro­san­na ei­nen her­un­ter­ge­kom­me­nen Bau­ern­hof be­treibt, ge­hei­ra­tet. Seit­dem sei je­der Kon­takt von der Schwä­ge­rin un­ter­bun­den wor­den, man ma­che sich gros­se Sor­gen um das Wohl des ein­zi­gen Kindes.
Ar­ro­wood, des­sen letz­ter Fall be­reits fünf Wo­chen zu­rück­liegt, nimmt an, ob­wohl er von vorn­her­ein ahnt, dass das El­tern­paar et­was ver­birgt. Man ei­nigt sich dar­auf, dass er zu­min­dest her­aus­fin­den soll, ob Bir­die wohl­auf ist und dort nicht ge­fan­gen ge­hal­ten wird.

Immer das Gleiche

Und so ent­spinnt sich laut der Wer­bung der Times (vgl. hin­ten auf dem Co­ver) eine „ra­san­te Ge­schich­te, die sich von Twist zu Twist und Ge­fahr zu Ge­fahr be­wegt.“ Wo­mit wir schon mit­ten in dem sind, was für mich den gröss­ten Schwach­punkt der viel zu lan­gen Ge­schich­te rund um den See­len­zu­stand Bir­dies und eine in Fol­ge der Er­eig­nis­se ge­tö­te­te Kes­sel­fli­cke­rin dar­stellt. Es ist eben nichts ra­sant und vol­ler Wen­dun­gen – nein, man ver­liert ir­gend­wann (rund um die Mit­te her­um) leicht das In­ter­es­se wei­ter­zu­le­sen, denn ge­fühlt ge­schieht im­mer das Glei­che. Ar­ro­wood und Bar­nett neh­men den Zug in den süd­li­chen Vor­ort und kom­men ein­fach nicht wei­ter, da­bei wer­den sie von im­mer mehr Be­woh­nern an­ge­fein­det, ver­dro­schen und öf­fent­lich dif­fa­miert. Ge­ra­de Bar­nett wird ein ums an­de­re Mal Op­fer zahl­rei­cher Prü­gel, wäh­rend Ar­ro­wood sei­nen Ma­ria­ni-Wein in sich rein­schüt­tet und von der­mas­sen üb­len Darm­win­den ge­plagt wird, dass man sich fragt, was Fin­lay da­mit bezweckt.

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Für mich be­steht der gute Ar­ro­wood aus ei­ner ein­drucks­voll ver­fet­te­ten Ge­stalt, ei­nem rie­si­gen Zin­ken, aus auf­ge­dun­se­nen Füs­sen mit knor­rig gel­ben Ze­hen­nä­geln, schwarz an­ge­lau­fen (vgl. S.241), aus wi­der­li­chen Ge­räu­schen und Ge­stank – schlicht­weg ein ge­sund­heit­li­ches Wrack.
Sei­ne bei­den Prot­ago­nis­ten ne­ga­tiv in Sze­ne set­zen, das ver­mag Fin­lay gran­di­os. Uns (wie eben­falls vom Ver­lag ver­spro­chen) aber in die „düs­te­ren Ge­fil­de der vik­to­ria­ni­schen Ner­ven­heil­an­stal­ten“ zu füh­ren, das ge­schieht je­den­falls nicht. Oder nur sehr ober­fläch­lich, als die bei­den mal wie­der kräf­tig Prü­gel ein­ste­cken, weil sie im Ca­ter­ham Asyl­um for Safe Lu­na­tics and Im­be­ci­les rumschnüffeln.

Gepflegte Langeweile

Fas­sen wir zu­sam­men: „Die Mör­der­gru­be“ ist eine sich sehr ge­mäch­lich ent­fal­ten­de Ge­schich­te, die haupt­säch­lich von der blu­mi­gen und bild­ge­wal­ti­gen Aus­drucks­wei­se lebt (bzw. den Le­ser die Nase rümp­fen lässt). Dazu ei­ni­ge ins Spiel ge­wor­fe­ne Ne­ben­dar­stel­ler wie die mu­ti­ge Schwes­ter Et­tie, den trink­freu­di­gen Dorf­geist­li­chen oder den „Mon­go“ Wil­logh­by Krott, zu­züg­lich mil­de Ein­bli­cke ins be­trü­ge­ri­sche Trei­ben von Heil­an­stal­ten. Dar­über hin­aus? Nicht viel, und nichts Lehr­rei­ches oder gar Erfreuliches.
Fin­lay ent­wi­ckelt ein in­ter­es­san­tes Kon­zept, aus dem man durch den Ge­gen­satz Hol­mes-Ar­ro­wood hät­te ei­ni­ges ma­chen kön­nen. Doch er schreibt so schwer­fäl­lig, kon­zi­piert ei­nen Fall, der so von Wie­der­ho­lun­gen und ge­pfleg­ter Lan­ge­wei­le lebt, zeich­net sei­ne Cha­rak­te­re so ein­sei­tig, dass man ei­gent­lich nur froh ist, wenn die Ge­schich­te vor­bei ist. ♦

Mick Fin­lay: Ar­ro­wood – Die Mör­der­gru­be, Kri­mi­nal­ro­man, 480 Sei­ten Har­per Coll­ins, ISBN 9783959672931

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Mo­der­ne Kri­mis auch über Ni­klas Natt och Dag: 1793

… so­wie über den Kri­mi von Ro­land Stark: Tod in zwei Tonarten

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