Jakob Bangso: Connect – Electronic Works for Guitar (CD)

Von der Schwierigkeit, aufmerksam zu sein

von Horst-Die­ter Radke

Der ers­te Hör­ein­druck von „Ja­kob Bangso: Con­nect – Elec­tro­nic Works for Gui­tar“ war für mich ir­ri­tie­rend. Ich hat­te Schwie­rig­kei­ten, mich durch­gän­gig auf die Mu­sik zu kon­zen­trie­ren. Im­mer wie­der schweif­te die Auf­merk­sam­keit ab, ver­selbst­stän­dig­ten sich die Ge­dan­ken. Da dies nicht un­be­dingt an der Mu­sik lie­gen muss­te, ver­such­te ich beim er­neu­ten Hö­ren bes­ser da­bei zu blei­ben. Ich mei­ne in­zwi­schen, dass die­ses „Auf­merk­sam­keits­de­fi­zit“ der un­ge­wohn­ten Kom­bi­na­ti­on von akus­ti­schem und elek­tro­ni­schem In­stru­men­ta­ri­um ge­schul­det ist. Das, was die Gi­tar­re spielt, ist nicht spek­ta­ku­lär und iso­liert be­trach­tet we­nig ab­wechs­lungs­reich. Der elek­tro­ni­sche An­teil ent­spricht nicht dem, was wir all­ge­mein als „Mu­sik“ ver­ste­hen; kaum wahr­nehm­ba­re Me­lo­dien, ins­ge­samt nahe an das Spek­trum von „Ge­räu­schen“ ge­rückt. Kon­zen­trie­re ich mich auf das Zu­sam­men­spiel bei­der mu­si­ka­li­schen In­stru­men­te, fällt es mir leich­ter, die Auf­merk­sam­keit auf­recht zu erhalten.

Mehr Klang als Sein

Jakob Bangso: Connect – Electronic Works for Guitar (CD) Rezension Glarean MagazinDas ers­te Stück „Pe­rif­e­ri“ von Tine Su­rel Lan­ge lebt von der Kom­mu­ni­ka­ti­on der Gi­tar­re mit der Elek­tro­nik. Na­tür­lich auf­ge­nom­me­ne und ver­frem­de­te Ge­räu­sche wer­den mit den von der Gi­tar­re er­zeug­ten mu­si­ka­li­schen Ein­hei­ten live über ein Midi-Key­board ge­mixt. So ent­steht im Grun­de je­des Mal ein an­de­res Werk. Ob sich die­se von Auf­füh­rung zu Auf­füh­rung äh­neln, kann ich auf Grund ei­ner CD na­tür­lich nicht beurteilen.
Der Gi­tar­ren­part be­steht aus Ar­peg­gi­en und sehr ein­fa­chen Me­lo­dien, meist nur aus we­ni­ge Tö­nen ge­bil­det, die kaum va­ri­iert wer­den. In der zwei­ten Hälf­te wur­de per Over­dub eine zwei­te Gi­tar­ren­stim­me hin­zu­ge­fügt. Oder per Loop, was nahe liegt, wenn man an die Live-Per­for­mance denkt. Die elek­tro­ni­schen Klang­spie­le sind nicht un­be­dingt dem Gi­tar­ren­part zu­zu­ord­nen. Für mich wirkt das des­halb be­lie­big. Ich habe den Ein­druck, es wur­de mehr Auf­merk­sam­keit auf den „Klang“ (Sound) ge­legt als auf den Ge­halt der Komposition.

Tanz mit dem Computer

Ja­kob Bangsø Die fünf auf der CD ver­tre­te­nen elek­tro­ak­kus­ti­schen Wer­ke wur­den ex­tra für den jun­gen dä­ni­schen Gi­tar­ren­vir­tuo­sen Ja­kob Bangsø kom­po­niert. Der mehr­fach preis­ge­krön­te Mu­si­ker (geb. 1988) hat sich schnell als ei­ner der ak­tivs­ten und viel­sei­tigs­ten In­stru­men­ta­lis­ten Dä­ne­marks eta­bliert. Als So­list hat er sich be­son­ders bei in­ter­na­tio­na­len Gi­tar­ren-Wett­be­wer­ben her­vor­ge­tan. Vor drei Jah­ren er­hielt er als ers­ter Gi­tar­rist über­haupt das zwei­jäh­ri­ge Kar­rie­re­sti­pen­di­um The Young Eli­te von der Da­nish Arts Foundation.

Streams“ von An­dre­ja And­ric ist eine Suite für Gi­tar­re und Com­pu­ter. Elek­tro­nik steht bei die­ser Suite in stär­ke­rem Zu­sam­men­hang mit der Gi­tar­ren­stim­me als bei der Kom­po­si­ti­on zu­vor. Sie hat aus­ser­dem mehr Sub­stanz. Der Gi­tar­ren­klang wird vom Com­pu­ter re­sam­pled. Die Soft­ware da­für hat der Kom­po­nist sel­ber ent­wi­ckelt. Je­der Satz der Suite ist an­ders, nicht nur im Klang, son­dern auch im ge­sam­ten mu­si­ka­li­schen Aus­druck. Die ein­zel­nen, je­weils recht kur­zen Sät­ze, sind kon­tras­tie­rend an­ge­legt. Die Ab­fol­ge ist lo­gisch und eher auf­merk­sam­keits­för­dernd. Die bei­den Tän­ze könn­ten auch ohne Elec­tro­nic funk­tio­nie­ren und bei­spiels­wei­se im Un­ter­richt der Mit­tel­stu­fe ein­ge­setzt wer­den. Die­se Suite ist für mich die stärks­te Kom­po­si­ti­on auf die­ser CD.

Jakob Bangso - Gitarrist - Rezension Glarean Magazin
Mehr­fa­cher Preis­trä­ger in­ter­na­tio­na­ler Gi­tar­ren-Wett­be­wer­be: Ja­kob Bangso

Das Stück „Feed“ von Klavs Keh­le­et Han­sen lebt von Rück­kopp­lun­gen. Der of­fe­ne Aus­gangs­ak­kord der prä­pa­rier­ten Gi­tar­re ist Ba­sis für die elek­tro­ni­schen Ef­fek­te. Die Gi­tar­ren­stim­me ist re­la­tiv be­lang­los und dient le­dig­lich als Grund­la­ge für die elek­tro­ni­schen Ef­fek­te. Zu­sam­men klingt es wie der Dia­log zwi­schen Gi­tar­re und Elek­tro­nik. Ein in­ter­es­san­tes klei­nes Stück, das aber nach dem Hö­ren kaum Er­in­ne­rung hinterlässt.

Auch nach wie­der­hol­tem An­hö­ren für mich am schwers­ten zu fol­gen ist „Dive“ von Way­ne Sie­gel. Das liegt aber we­ni­ger am mu­si­ka­li­schen Ge­halt, son­dern dar­an, dass stän­di­ge As­so­zia­tio­nen ge­för­dert wer­den. Die Elek­tro­nik hat auch bei die­sem Stück eher er­gän­zen­den Cha­rak­ter, wirkt so als eine Art „Klangerwei­te­rung“ der Gi­tar­re. Der Kom­po­nist (Jahr­gang 1953) ist der ver­sier­tes­te un­ter de­nen, die auf die­ser CD ver­tre­ten sind. Er hat für vie­le Gen­res kom­po­niert, nicht nur elek­tro­ni­sche Mu­sik son­dern auch Or­ches­ter­wer­ke und Kam­mer­mu­sik. Trotz die­ses „Auf­merk­sam­keits­de­fi­zits“ beim Hö­ren bleibt von die­ser Kom­po­si­ti­on von al­len Kom­po­si­ti­on die­ser CD noch lan­ge nach dem Hö­ren am meis­ten im Ohr.


Exkurs: Komponieren für Gitarre & Computer

W.E. / An­hand der Suite „Streams“ von An­dre­ja And­ric lässt sich ver­an­schau­li­chen, wel­che kom­po­si­to­ri­schen Ba­sics vom Ur­he­ber ei­nes mo­der­nen elek­tro­ni­schen Wer­kes er­bracht wer­den, und wie hoch dann un­ter Um­stän­den die mu­si­ka­li­sche Ver­ant­wor­tung des In­ter­pre­ten ge­hen kann. In je­dem Fal­le ist eine sym­bio­ti­sche Be­zie­hung bei­der Künst­ler un­ab­ding­bar, wenn ein gül­ti­ges Re­sul­tat, sprich ad­äqua­te Um­set­zung des kom­po­si­to­ri­schen Wil­lens ei­ner­seits und der in­stru­men­tal­tech­ni­schen Rea­li­sie­rung an­de­rer­seits ge­ne­riert wer­den soll. Der An­teil des Im­pro­vi­sa­to­ri­schen ist da­bei ein sehr be­deut­sa­mer, ja ei­gent­lich essentieller:

Andreja Andric - Streams für Gitarre und Computer - Indroduction - Glarean Magazin
„Play ever­y­thing ar­peg­gio, mol­to ru­ba­to. Dwell on each chord as long as ne­ces­sa­ry. Ch­an­ge speed and dy­na­mic ac­cor­ding to the feel of the mo­ment. Prac­ti­ce with the com­pu­ter and lis­ten clo­se­ly to the com­bi­ned sound that co­mes out of the loud­spea­k­ers, fol­low it and ad­apt your play­ing to it.“ (Spiel-An­wei­sung des Kom­po­nis­ten An­dre­ja And­ric für den Gi­tar­ris­ten im 1. Satz von „Streams“ – Kom­plet­ter No­ten­aus­schnitt sie­he unten).

Kom­po­nist And­ric sel­ber über sein Werk „Streams“: „Die Par­ti­tur ist auf ihre we­sent­li­chen Be­stand­tei­le re­du­ziert, um die Im­pro­vi­sa­ti­on zu för­dern, und bie­tet so Platz für ver­schie­de­ne  In­ter­pre­ta­tio­nen, er­leich­tert die recht­zei­ti­ge Ent­wick­lung des Stü­ckes. Der Com­pu­ter än­dert die Ton­hö­he des In­stru­ments in Echt­zeit, nach vor­be­rei­te­ten Schemata.
Auf die­se Wei­se fügt es der auf dem Live-In­stru­ment ge­spiel­ten Mu­sik Rhyth­men und Me­lo­dien hin­zu und „formt“ die Live-Per­for­mance auf die­se Art. Der Pro­zess er­in­nert an die Wir­kung, die heis­se Luft auf un­se­re Wahr­neh­mung hat, wenn wir auf ent­fern­te Ob­jek­te schau­en, oder, wie es der Ti­tel an­deu­tet, dass das flies­sen­de Was­ser ei­nen Ein­fluss auf un­se­re Wahr­neh­mung des Bach­bet­tes und der Kie­sel­stei­ne un­ter dem Was­ser hat“.
Der fol­gen­de Aus­schnitt be­inhal­tet die mu­si­ka­li­schen so­wie die auf­nah­me- und com­pu­ter­tech­ni­schen An­ga­ben des Kom­po­nis­ten für den 1. Satz sei­nen Suite „In­tro­duc­tion“. Bes­ten Dank an An­dre­ja And­ric für die Zu­sen­dung sei­ner Notationen:

An­dre­ja And­ric - Streams - Score (In­tro­duc­tion) - Glarean Magazin

Ein versöhnlicher Ausklang

FAZIT: Die CD von Ja­kob Bangso: Con­nect ist eine ge­lun­ge­ne Zu­sam­men­stel­lung von Gi­tar­ren­mu­sik, die mit und von elek­tro­ni­schen Ele­men­ten lebt. Ins­be­son­de­re die Kom­po­si­tio­nen von And­ric, Sie­gel und Da­vid loh­nen die An­schaf­fung. Es sind Stü­cke, die man ger­ne wie­der­holt hö­ren mag. Die Kom­po­si­tio­nen von Lan­ge und Han­sen bre­chen am stärks­ten mit den üb­li­chen Hör­ge­wohn­hei­ten und kön­nen des­halb viel­leicht erst nach viel­fa­chem Hö­ren ent­spre­chend ge­wür­digt werden.

451“ von Kaj Dun­can Da­vid ist die ab­schlies­sen­de Suite die­ser CD. Sie scheint vom In­ter­pre­ten et­was mehr zu for­dern, als die Kom­po­si­tio­nen zu­vor. Den Ti­tel hat der Kom­po­nist in An­leh­nung an Bradbury’s Ro­man „Fah­ren­heit 451“ ge­wählt. Die ein­zel­nen Sät­ze sind le­dig­lich mit A, B und C über­schrie­ben und un­ter­schei­den sich stark von­ein­an­der. Der ers­te Satz lebt von gros­sen dy­na­mi­schen Un­ter­schie­den, der zwei­te kommt sehr per­kus­siv und im drit­ten Satz steht die Gi­tar­re so stark im Vor­der­grund, dass die Elek­tro­nik kaum zu spü­ren ist. Sie ist aber vor­han­den. Un­klar ist mir, ob die zwei­te Gi­tar­ren­stim­me per Over­dub oder per Loop ein­ge­spielt wur­de. Ein sehr schö­ner Aus­klang die­ser Suite und da­mit auch die­ser CD. ♦

Div. Kom­po­nis­ten: Con­nect – Elec­tro­nic Works for Gui­tarJa­kob Bangso Gi­tar­re, Au­dio-CD (48 min), Da­Ca­po Clas­si­cal (Na­xos)

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Elek­tro­ni­sche Mu­sik auch über
Elec­tro­nic Cham­ber Mu­sic (CD & Vinyl)

… so­wie zum The­ma Neue Mu­sik das
In­ter­view mit dem Schwei­zer Kom­po­nis­ten Fa­bi­an Müller

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