J. Campe: Rossini – Die hellen und die dunklen Jahre

Besichtigung eines Lebens

von Wolf­gang-Ar­min Rittmeier

Mit Gioa­chi­no Ros­si­ni ver­bin­det si­cher je­der Freund klas­si­scher Mu­sik et­was – sei es nun die be­rühm­te Ou­ver­tü­re zu sei­ner Oper „Wil­helm Tell“, die Arie des Fi­ga­ro aus dem „Bar­bier von Se­vil­la“ oder ir­gend­ei­ne an­de­re je­ner sang­li­chen Me­lo­dien, die dem 1792 ge­bo­re­nen Kom­po­nis­ten so in­ten­siv aus der Fe­der flos­sen, dass sie pro­blem­los für das Oeu­vre ei­ner gan­zen Schar von Ton­set­zern ge­reicht hätten.
Eben­so wahr­schein­lich ist es, dass fast ein je­der, der den Na­men Ros­si­ni hört, auch ein be­stimm­tes Ge­sicht mit die­sem Na­men ver­bin­det, sei es nun das be­rühm­te Por­trait aus den 1820er Jah­ren, das der Scuo­la pit­to­ri­ca ita­lia­na ent­stammt, die Fo­to­gra­fie von Éti­en­ne Car­jat oder jene au­gen­zwin­kern­de Ka­ri­ka­tur, die den „Schwan von Pe­sa­ro“ bei der Zu­be­rei­tung ei­nes gros­sen Top­fes Pas­ta am hei­mi­schen Herd zeigt

Komponist zwischen Opern und Nudeln?

Joachim Campe: Rossini - Die hellen und die dunklen Jahre, Biographie, Theiss Verlag
Joa­chim Cam­pe: Ros­si­ni – Die hel­len und die dunk­len Jah­re, Bio­gra­phie, Theiss Verlag

Bei­des – Mu­sik und Op­tik – ha­ben sich nun im kol­lek­ti­ven Un­be­wuss­ten zu ei­nem ganz be­stimm­ten Ros­si­ni-Bild amal­ga­miert, das auch im­mer wie­der ger­ne be­dient wird: Ros­si­ni – als Mensch ein freund­li­cher, den leib­li­chen Ge­nüs­sen zu­ge­wand­ter und dar­um leicht adi­pö­ser Typ, als Kom­po­nist ein Meis­ter der Me­lo­die, der Hei­ter­keit, der Buf­fa. Und so kann man auch, ohne dass es in ir­gend­ei­ner Form ge­schmack­los schie­ne, CDs wie „Pas­ta clas­sics – Ko­chen mit Ros­si­ni“; „Ros­si­ni – Eine ku­li­na­risch-mu­si­ka­li­sche Bio­gra­phie“; oder auch „Ros­si­ni – Bon­vi­vant und Gour­met – mit 45 Re­zep­ten“ kau­fen. Mit Bach wäre in die­ser Sa­che kein Staat zu ma­chen. Aber Ros­si­ni, der Ita­lie­ner, das Kind der Son­ne, der zwi­schen Nu­deln und Chi­an­ti eben flott schmis­si­ge Opern auf das bel­sa­mi­co­be­fleck­te No­ten­pa­pier brin­gen konn­te, der eig­net sich…

Schlimm ist, dass man ei­gent­lich we­nig Ge­le­gen­heit hat, die­ses Bild zu über­prü­fen, zu dif­fe­ren­zie­ren, ja: zu re­la­ti­vie­ren. Klar, auf dem Markt gibt es Vol­ker Schier­less’ klei­ne Ro­wohlt-Mo­no­gra­phie von 1991. Ri­chard Os­bor­nes „Ros­si­ni – Le­ben und Werk“ ist schon seit län­ge­rem ver­grif­fen. Ar­nold Ja­cob­sha­gens ver­dienst­vol­les Buch „Gioa­chi­no Ros­si­ni und sei­ne Zeit“ aus der La­aber-Rei­he „Gros­se Kom­po­nis­ten und ihre Zeit“, 2015 er­schie­nen, ist für den ers­ten Zu­griff viel­leicht et­was zu wuch­tig. Da kommt Joa­chim Cam­pes gut 200 Sei­ten star­ke, beim Kon­rad Theiss Ver­lag er­schie­ne­ne Bio­gra­phie „Ros­si­ni – Die hel­len und die dunk­len Jah­re“ dem Le­ser, der ei­ni­ger­mas­sen zü­gig sein Ros­si­ni-Bild zu­recht­rü­cken möch­te, ge­ra­de recht.

Zeitgenosse einer bewegten Epoche

Rossinis Ehefrau und Muse: Die spanische Opernsängerin und Komponistin Isabella Colbran (1785-1845)
Ros­si­nis Ehe­frau und Muse: Die spa­ni­sche Opern­sän­ge­rin und Kom­po­nis­tin Isa­bel­la Col­bran (1785-1845)

Schon der Ti­tel sug­ge­riert, dass Ros­si­nis Le­ben ganz of­fen­sicht­lich nicht un­un­ter­bro­chen von ita­lie­ni­schem Son­nen­schein durch­flu­tet war. Tat­säch­lich gab es da – das sei gar nicht ab­ge­strit­ten – eine Men­ge Licht. In flüs­sig er­zäh­len­dem Stil be­rich­tet Cam­pe von der Kind­heit als Wun­der­kind, von den Er­fol­gen, aber auch den zahl­rei­chen Miss­erfol­gen, die Ros­si­ni – so wol­len es dem Le­ser die ent­spre­chend vor­ge­brach­ten Quel­len zu­min­dest na­he­le­gen – mit ei­ner ge­wis­sen po­si­ti­ven Grund­stim­mung, mit Hu­mor und ei­nem gu­ten Schuss Selbst­iro­nie hin­nahm. Man er­fährt von der be­son­de­ren Be­zie­hung Ros­si­nis zu sei­nen El­tern, die stets po­si­tiv war, bis es zu sei­ner Hoch­zeit mit der Sän­ge­rin Isa­bel­la Col­bran kam, die ei­nen Schat­ten auf das an sich gute Ver­hält­nis warf. Da­ne­ben ord­net Cam­pe die his­to­ri­sche Fi­gur Ros­si­ni, den Zeit­ge­nos­sen ei­ner der be­weg­tes­ten Epo­chen der eu­ro­päi­schen Ge­schich­te treff­lich in die His­to­rie ein, was wie­der­um eine ganz be­son­ders treff­li­che Leis­tung dar­stellt, ist Ros­si­ni doch selbst kaum je ein­mal als „Homo po­li­ti­cus“ auf­ge­tre­ten. Tat­säch­lich äus­ser­te er sich in Brie­fen und auf­ge­zeich­ne­ten Ge­sprä­chen nur sel­ten po­li­tisch, le­dig­lich manch eine sei­ner Opern kann sich ei­ner po­li­ti­schen Deu­tung nicht voll­stän­dig verschliessen.

Unruhige Persönlichkeit voller Widersprüche

...und der junge Rossini, 1822 gemalt von Friedrich Lieder
Der jun­ge Ros­si­ni, 1822 ge­malt von Fried­rich Lieder

Als Fol­ge sei­nes An­sin­nens, ein mög­lichst dif­fe­ren­zier­tes, aber nicht aus­ufern­des Bild des Kom­po­nis­ten zu ent­wer­fen, nimmt Cam­pe den Le­ser sei­ner klei­nen, aber doch sub­stan­zi­el­len Bio­gra­phie an die Hand und be­sich­tigt mit ihm schlag­licht­ar­tig vie­le Orte in Ros­si­nis Le­ben. Und vie­le Orte zu vie­len Zei­ten wa­ren wie ge­sagt glanz­voll: Nea­pel, Pa­ris, Lon­don und Wien be­grüss­ten, be­her­berg­ten und fei­er­ten den gros­sen Kom­po­nis­ten – man möch­te sa­gen: ge­büh­rend. Si­cher gab es da All­tags­kon­flik­te, eine kri­seln­de Ehe, Pro­ble­me mit Pro­fil­neu­ro­ti­kern, (opern-)politisches Rän­ke­spiel. Aber es gab eben auch Glanz, Ruhm und sehr viel Geld, be­son­ders in Paris.

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Doch da fin­den sich auch be­son­ders dunk­le Orte in der Bio­gra­phie Ros­si­nis, Orte von de­nen man viel­leicht nicht so ger­ne spricht, die Cam­pe dem Le­ser aber nicht vor­ent­hält. Ei­ner die­ser Orte ist der of­fen­kun­dig sehr star­ke Se­xus Ros­si­nis, den er mit gros­ser Be­geis­te­rung in Bor­del­len aus­leb­te, wo er sich in Fol­ge ei­ner Go­nor­rhoe eine Ure­thri­tis, also eine üble Harn­röh­ren­ent­zün­dung zu­zog, die ihm das Le­ben schwer mach­te, und die in Pa­ris – nicht ohne Ri­si­ko – ope­riert wer­den muss­te. Ein an­de­rer der dunk­len Orte, an dem sich Ros­si­ni im Lau­fe sei­nes Le­bens im­mer wie­der und mit zu­neh­men­der In­ten­si­tät auf­hal­ten soll­te, war die schwar­ze Welt der De­pres­si­on. Mit nüch­ter­nem Blick zeigt Cam­pe, wie Ros­si­ni nach 1823 im­mer wie­der in höchst nie­der­ge­schla­ge­ne Stim­mun­gen ver­fiel, schliess­lich wohl auch auf­grund die­ser Er­kran­kung auf­hör­te, Opern zu kom­po­nie­ren und sich pha­sen­wei­se kom­plett iso­lier­te. Ge­ra­de in den letz­ten Jah­ren scheint – so zeigt es Cam­pe – Ros­si­ni eine eher un­ru­hi­ge Per­sön­lich­keit ge­we­sen zu sein, von Schlaf­lo­sig­keit und Schmer­zen ge­plagt, über­haupt an­fäl­lig für alle mög­li­chen Er­kran­kun­gen, bis­wei­len auch für Krän­kun­gen, im­mer wie­der den Wohn­sitz wech­selnd, sich mit To­des­ängs­ten herumquälend.

Differenzierte Beschreibung jenseits aller Hagiographie

Das Bild vom hei­te­ren Ros­si­ni ist, das macht die Lek­tü­re von Cam­pes Buch sehr dif­fe­ren­ziert deut­lich, also ein höchst ein­di­men­sio­na­les. Das Schö­ne ist letzt­lich, dass der Au­tor kei­ne Ha­gio­gra­phie schrieb, son­dern Ros­si­ni als Men­schen aus Fleisch und Blut prä­sen­tiert, mit al­len Stär­ken und Schwä­chen, die da­mit einhergehen.

Fa­zit: Die neue Bio­gra­phie von J. Cam­pe: Ros­si­ni zeigt dif­fe­ren­ziert auf, dass das Bild vom hei­te­ren Ros­si­ni ein höchst ein­di­men­sio­na­les ist. Hier wird viel­mehr Ros­si­ni als Mensch aus Fleisch und Blut prä­sen­tiert – also kei­ne Ha­gio­gra­phie, son­dern die Dar­stel­lung ei­nes Mu­sik-Ge­nies mit al­len Stär­ken und Schwä­chen. Ein Buch, des­sen Lek­tü­re Freu­de macht.

Es spricht eine Men­ge Zu­nei­gung zu sei­nem Ge­gen­stand aus Cam­pes Zei­len, die man auf­grund des höchst an­ge­neh­men Kon­ver­sa­ti­ons­to­nes aus­ge­spro­chen ger­ne liest. Ein­zi­ges Man­ko des Bu­ches mö­gen des Au­tors stre­cken­wei­se zu in­ten­siv an­ein­an­der­ge­reih­ten Nach­er­zäh­lun­gen der Opern­hand­lun­gen im Ver­bund mit an­ge­ris­se­nen Deu­tungs­hin­wei­sen zu den Wer­ken sein. Nicht nur, dass das so wirkt, als wol­le der Au­tor hier ein we­nig zu deut­lich auf sei­ne Ge­lehr­sam­keit hin­wei­sen. Es fehlt manch ei­nem Deu­tungs­an­satz auch an Stim­mig­keit, weil das For­mat des klei­nen Wer­kes den Raum für tief­schür­fen­de Werk­be­trach­tun­gen und aus­ge­feil­te Ar­gu­men­ta­tio­nen letzt­lich nicht her­gibt. Nicht sel­ten lan­gen die in­ter­pre­ta­to­ri­schen Fin­ger­zei­ge Cam­pes ins Lee­re oder setz­ten beim Le­ser ei­ner sol­chen knap­pen Schrift zu vie­le Kennt­nis­se der Ma­te­rie selbst vor­aus. Hier wäre eine kla­re­re Ab­gren­zung wün­schens­wert gewesen.
Ins­ge­samt je­doch ein Buch, des­sen Lek­tü­re Freu­de macht. ♦

Joa­chim Cam­pe: Ros­si­ni – Die hel­len und die dunk­len Jah­re, Bio­gra­phie, 222 Sei­ten, Kon­rad Theiss Ver­lag (WBG), ISBN 978-3-8062-3671-2

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Mu­si­ker-Bio­gra­phien auch die neu­en Mu­si­ker-An­ek­do­ten (2)

… so­wie aus der Rei­he „Mu­sik-Zi­tat der Wo­che“ von Urs Frau­chi­ger: Über das Konzert-Publikum

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