Sandra Brökel: Das hungrige Krokodil (Roman)

Vier Pässe in die Freiheit

von Günter Nawe

Per­sön­li­ches ist be­kannt­lich im­mer Po­li­ti­sches. So ver­hält es sich auch in der Bio­gra­phie des Dr. Pa­vel Vo­dák. Der tsche­chi­sche Arzt er­leb­te und er­litt die dra­ma­ti­schen Er­eig­nis­se im Pra­ger Früh­ling 1968. Mit die­sem Pra­ger Früh­ling ver­band er wie vie­le an­de­re Hoff­nung auf Re­for­men, auf Frei­heit, auf De­mo­kra­tie. Und er ver­band da­mit sein ganz per­sön­li­ches Schick­sal; und das sei­ner Fa­mi­lie. Eine wah­re Ge­schich­te – im Ro­man „Das hung­ri­ge Kro­ko­dil“ aufgearbeitet.

Die Ge­schich­te wird er­zählt von der Schrift­stel­le­rin San­dra Brö­kel an­läss­lich der Tat­sa­che, dass sich in die­sem Jahr zum 50. Mal ein hoch­po­li­ti­sches Er­eig­nis jährt: Der Pra­ger Früh­ling 1968. Ein Ju­bi­lä­um, das lei­der bei den vie­len an­de­ren Ju­bi­lä­en die­ses Jah­res et­was un­ter­zu­ge­hen scheint. Um so mehr ist es zu be­grüs­sen, dass sich San­dra Brö­kel in ih­rem span­nen­den und be­rüh­ren­den Fa­mi­li­en­ro­man, der auf eben die­ser wah­ren Ge­schich­te und auf den Er­in­ne­run­gen von Dr. Pa­vel Vo­dák (1920-2002) ba­siert, an­ge­nom­men hat. An­ge­nom­men nicht nur die­ser Zeit, son­dern auch der Men­schen in die­ser Zeit und der wah­ren Er­leb­nis­se des Prot­ago­nis­ten. Sie ver­bin­det auf die­se Wei­se Zeit­ge­schich­te und per­sön­li­che Ge­schich­te – und schreibt die­sen Ro­man so­zu­sa­gen als ein his­to­ri­sches Zeitdokument.

Metapher für die Gefrässigkeit

Sandra Brökel - Das hungrige Krokodil - Familienroman - Pendragon VerlagDas hung­ri­ge Kro­ko­dil“ – der Ti­tel des Ro­mans ist eine Me­ta­pher für die Ge­fräs­sig­keit, für die Ge­fah­ren, die von die­sem Tier aus­ge­hen. Es steht bild­haft für die kom­mu­nis­ti­sche Dik­ta­tur in der Tsche­cho­slo­wa­ki­schen Re­pu­blik, für Schau­pro­zes­se, für Ver­fol­gung, für öko­no­mi­sche Pro­ble­me. So sieht und er­lebt es auch Pa­vel Vo­dák – vor al­lem, wie das „Kro­ko­dil“ im­mer wie­der zu­schnappt, wie freie Ge­dan­ken, frei­es Han­deln schon im An­satz er­stickt wer­den. Auf Dau­er kann und will der Arzt aus Lei­den­schaft, eine in­ter­na­tio­na­le Ka­pa­zi­tät, die­se Re­pres­sa­li­en nicht er­tra­gen – auch um sei­ner Fa­mi­lie und vor al­lem sei­ner Toch­ter willen.

Sandra Brökel
San­dra Brökel

So ge­hört er bald zu de­nen, die vol­ler Hoff­nung auf Re­for­men, auf Frei­heit und De­mo­kra­tie, Wi­der­stand leis­ten. Er schliesst sich ei­ner Grup­pe an, die ei­nen „So­zia­lis­mus mit mensch­li­chem Ge­sicht“ for­dern, die ein Do­ku­ment for­mu­liert, das un­ter dem Be­griff „Ma­ni­fest der 2000 Wor­te“ Ge­schich­te schrei­ben soll­te. Vá­clav Ha­vel, wie vie­le an­de­ren ei­ner der füh­ren­de Köp­fe des Pra­ger Früh­lings hat es so for­mu­liert: „Hoff­nung ist nicht die Über­zeu­gung, dass et­was gut aus­geht, son­dern die Ge­wiss­heit, dass et­was Sinn hat, egal wie es aus­geht.“ Der Satz bleibt rich­tig, auch für Vo­dák, selbst wenn am 21. Au­gust 1968 rus­si­sche Pan­zer in Prag den „Pra­ger Früh­ling“ in ei­nen ei­si­gen po­li­ti­schen Win­ter ver­wan­deln. Pa­vel Vo­dáks Träu­me von dem „So­zia­lis­mus mit mensch­li­chem Ge­sicht“ sind ausgeträumt.

Hohes Mass an Authentizität

FAZIT

San­dra Brö­kel hat ei­nen auf­re­gen­den Fa­mi­li­en­ro­man ge­schrie­ben, der wei­test­ge­hend auf Tat­sa­chen be­ruht – und dem Le­ser ein wich­ti­ges po­li­ti­sches Er­eig­nis ins Ge­dächt­nis ruft, das vor 50 Jah­ren die Welt in Auf­re­gung ver­setzt hat: Der Pra­ger Früh­ling 1968. Ge­schickt ver­steht es die Au­torin vie­le Fak­ten und ein we­nig Fik­ti­on, His­to­ri­sches, Po­li­ti­sches und Per­sön­li­ches zu ei­nem span­nen­den Ro­man zu verbinden.

Er kann und will nicht mehr in die­sem Lan­de blei­ben, er will, dass sei­ne Toch­ter vor al­lem, aber auch die gan­ze Fa­mi­lie in Frei­heit le­ben kön­nen. Eine aben­teu­er­li­che Rei­se be­ginnt, nach­dem es Vo­dák ge­lun­gen ist, Päs­se zu or­ga­ni­sie­ren – vier Päs­se in die bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Frei­heit. Ob­wohl un­ter Be­wa­chung, ge­lin­gen ihm und sei­ner Fa­mi­lie eine dra­ma­ti­sche Flucht über Ju­go­sla­wi­en. Auch wenn er und sei­ne Fa­mi­lie spä­ter – so die wah­re Ge­schich­te – in Deutsch­land wie­der Fuss fas­sen kön­nen, bleibt doch die Fra­ge, ob der Preis, den er für die Frei­heit ge­zahlt hat, nicht zu hoch ist.

San­dra Brö­kel hat ih­rem Ro­man eine kur­ze bio­gra­fi­sche No­tiz über Dr. Pa­vel Vo­dák vor­an­ge­stellt. Da­durch ist ein ho­hes Mass an Au­then­ti­zi­tät ge­ge­ben. Mehr noch: Die­ser Fa­mi­li­en­ro­man ist ein Tat­sa­chen­ro­man, der den Le­ser packt, ihm ein­mal mehr und not­wen­di­ger­wei­se eine Zeit und ein Er­eig­nis ins Ge­dächt­nis ruft, de­ren Fol­gen heu­te noch spür­bar sind. ♦

San­dra Brö­kel: Das hung­ri­ge Kro­ko­dil, Fa­mi­li­en­ro­man, Pend­ra­gon Ver­lag, 318 Sei­ten, ISBN 978-3-86532-608-9

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Die 60er Jah­re“ auch über Ru­dolf Gross­kopff: Un­se­re 60er Jahre

… so­wie über den Ro­man von Lau­ra Ste­ven: Speak Up

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